Postulationsfähigkeit 1
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die 20-jährige A hat ihren konservativen Vater mittlerweile überzeugt, dass sie alt genug ist, um prozessfähig zu sein. Der Vater meint nun, A müsse sich bei der Einlegung der Verfassungsbeschwerde anwaltlich vertreten lassen.
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Einordnung des Falls
Postulationsfähigkeit 1
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Prozessfähigkeit im Zusammenhang eines Gerichtsverfahrens bedeutet die Fähigkeit, einen Prozess zu führen und Prozesshandlungen vorzunehmen.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Für die Einlegung von Verfassungsbeschwerden vor dem BVerfG herrscht Anwaltszwang. A benötigt einen Rechtsanwalt.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jomolino
17.12.2021, 18:25:30
Hier differenziert ihr jetzt ja…
Lukas_Mengestu
17.12.2021, 21:00:11
Hi nomamo, in der Tat ist die gängige Abgrenzung in der Literatur reichlich kryptisch: „Die Verfahrensfähigkeit (=
Prozessfähigkeit) bezeichnet die Fähigkeit, Prozesshandlungen aus eigenem Recht selbst oder durch einen selbst gewählten Bevollmächtigten vor- und entgegenzunehmen.“ (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 60. EL Juli 2020, BVerfGG § 90 Rn. 169) „Von der
Prozessfähigkeit(Verfahrensfähigkeit) zu unterscheiden ist die
Postulationsfähigkeit. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, rechtserhebliche prozessuale Handlungen selbst vorzunehmen.“(Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 60. EL Juli 2020, BVerfGG § 90 Rn. 175) Als Gedankenstütze kann man sich aber zur Unterscheidung merken, dass es bei der
Prozessfähigkeitim Kern eigentlich um die Frage geht, ob ich eine Prozesshandlung physisch (=zB keine juristische Person, sondern nur ihr gesetzlicher Vertreter) und geistig ausführen kann (=keine Geschäftsunfähigen, beschränkt Geschäftsfähige nur soweit sie das Grundrecht ihrem Wesen nach begreifen). Dagegen geht es bei der
Postulationsfähigkeitum die Frage, ob die Handlung auch rechtserheblich ist. Vereinfacht gesagt: Ich KANN die Handlung nicht nur ausführen, sie BEWIRKT auch etwas. Außer in den Fällen mit Anwaltszwang fallen Postulations- und
Prozessfähigkeitimmer zusammen. Beste Grüße Lukas – für das Jurafuchs-Team
Dogu
12.5.2024, 20:21:19
Angenommen, der Bf. wird in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten bzw. erscheint allein. Wird die VerfB dann wegen einer Säumnis verworfen?
Paulah
13.5.2024, 13:05:59
Bei einer Verfassungs
beschwerde kann man sich, anders als beim Zivilprozess ab Landgericht, selbst vertreten: https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Homepage/_zielgruppeneinstieg/Merkblatt/Merkblatt_node.html
Dogu
13.5.2024, 16:12:21
Mir ging es nicht um Einleitung des Verfahrens, sondern die mündliche Verhandlung. Dort herrscht Vertretungszwang (22 I 1 a.E. BVerfGG). Was ist, wenn der
Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht anwaltlich vertreten wird?
Paulah
13.5.2024, 20:59:40
Ach so, sorry, habe ich falsch verstanden. Dann weiß ich es nicht genau, würde aber die typische Juristenantwort wählen: Es kommt darauf an. In jedem Fall ist A vor Gericht nicht postulationsfähig und ihre Prozesshandlungen sind unwirksam. Der Richter hat aber, soweit ich weiß, einen gewissen Handlungsspielraum. Wenn der Richter mies gelaunt ist, könnte er die
Beschwerde als nicht zulässig beurteilen, weil der Anwaltszwang eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist, und die
Beschwerde abweisen. Er könnte deshalb auch nach § 34 Abs. 2 BVerfGG eine Missbrauchsgebühr verhängen. Oder beides. Wenn er seinen netten Tag hat, könnte er aber nur auf den Anwaltszwang hinweisen und die Sitzung vertagen.
Nora Mommsen
25.5.2024, 12:08:00
Hallo ihr beiden, eine gute Frage und einige präzise Überlegungen, die du angestellt hast Paulah. Beauftragt ein Beteiligter für die mündliche Verhandlung keinen Rechtsanwalt, bleiben seine vorher schriftlich gestellten Anträge zwar wirksam, er kann in der mündlichen Verhandlung aber keine Anträge stellen und keine sonstigen prozessualen Rechte (z. B. Zeugenbefragung) wahrnehmen. Der fehlende Nachweis einer wirksamen Vollmacht führt zur
Unzulässigkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfs. Das Gericht kann für die Nachreichung einer Vollmacht eine Frist setzen. Die Vollmacht muss aber spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung vorliegen. In der mündlichen Verhandlung selber bleiben dem Gericht daher nicht mehr viele Möglichkeiten tatsächlich. Wurde der Antragsteller zuvor auf die Bedenken gegen die
Unzulässigkeit hingewiesen, sprich auf die fehlende Vertretung in der mündlichen Verhandlung, kann der Verwerfungsbeschluss nach § 24 BVerfGG ohne Begründung ergehen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team