+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T ergreift die 15-jährige O, um sie für mehr als eine Woche festzuhalten und gegen ihren Willen zur Prostitution zu zwingen. O kann aber bereits nach ganz kurzem Kampf fliehen.
Einordnung des Falls
§§ 239 Abs. 3, 22 StGB (versuchte Erfolgsqualifizierung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T die O ergriffen hat, verwirklicht er den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB).
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen
in Studium und Referendariat richtig.
...Wird geladen
Nein, das trifft nicht zu!
Eine bestimmte Dauer der Freiheitsentziehung setzt die Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) dem Wortlaut nach nicht voraus. Um nur strafwürdiges Unrecht zu erfassen, wird eine gewisse Erheblichkeitsschwelle in den Tatbestand hineininterpretiert. Kurzfristige Beeinträchtigungen der Fortbewegungsfreiheit reichen nicht aus.
O kann nach kurzem Kampf fliehen. Die Erheblichkeitsschwelle ist nicht überschritten.
2. Auch der Versuch der Freiheitsberaubung ist strafbar.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen
in Studium und Referendariat richtig.
...Wird geladen
Ja!
Das ordnet § 239 Abs. 2 StGB ausdrücklich an.
T war fest zur Tat entschlossen (Tatentschluss). Indem T die O ergriffen hat, hat er auch unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
3. T erfüllt auch die §§ 239 Abs. 3 Nr. 1, 22 StGB.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen
in Studium und Referendariat richtig.
...Wird geladen
Genau, so ist das!
§ 239 Abs. 3 StGB normiert einen Verbrechenstatbestand, sodass sich wie bei § 221 StGB und § 226 StGB die Möglichkeit eines Versuchs in der Form ergibt, dass der Täter die Herbeiführung der Folge in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Versuch setzt mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich der längeren Dauer voraus und beginnt mit dem Ansetzen zum Grundtatbestand.
Laut Sachverhalt hatte T Vorsatz, O länger als eine Woche festzuhalten.
Die frühere Ablehnung dieser versuchten Qualifizierung durch eine Mindermeinung, die sich auf die fehlende Versuchsstrafbarkeit des Grunddelikts stützte, hat sich mit der Einfügung des § 239 Abs. 2 StGB erledigt (sie ist nur noch im Rahmen des § 221 StGB relevant).