Ausgleichsanspruch im Mehrpersonenverhältnis

10. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

L liefert M unter Eigentumsvorbehalt antike Steine (Wert: € 250). Es wird vereinbart, dass M die Steine bis zur Kaufpreiszahlung nicht veräußern darf. E beauftragt M, eine Mauer auf seinem (Es) Grundstück zu errichten. E weiß nicht, dass, die verwendeten Steine nicht M gehören.

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Einordnung des Falls

Ausgleichsanspruch im Mehrpersonenverhältnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann L von E Herausgabe der Steine (§ 985 BGB) verlangen, nachdem mit ihnen die Mauer errichtet wurde?

Nein!

Der Herausgabeanspruch setzt voraus, dass L noch Eigentümerin der Steine ist. Hier kommt aber ein Eigentumsverlust nach § 946 BGB in Betracht. Dieser setzt voraus, dass eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden wird, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird. Wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks ist alles, was mit dem Grund und Boden fest verbunden wurde (§ 94 Abs. 1 BGB).Durch das Errichten der Mauer wurden die Steine fest mit dem Grund und Boden des Grundstücks des E verbunden. Damit sind die Steine wesentlicher Bestandteil des Grundstücks von E. E hat somit nach § 946 BGB Eigentum an den Steinen erworben.
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2. L könnte ein Wertersatzanspruch zustehen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Wertersatz nach §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB sind im Mehrpersonenverhältnis allerdings streitig.

Genau, so ist das!

In einem Mehrpersonenverhältnis, in dem zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner keine Leistungsbeziehung besteht, ist zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Wertersatz nach §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 I 1 Alt. 2 BGB besteht. Die herrschende Literatur stellt darauf ab, ob ein gutgläubiger Erwerb des Anspruchsgegners (hier also E) möglich gewesen wäre. Die Rechtsprechung lässt den Anspruch hingegen nur zu, wenn es keine vorrangigen Leistungsbeziehungen zwischen den Beteiligten gibt.

3. Besteht zwischen L und M eine Leistungsbeziehung?

Ja, in der Tat!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.L liefert die Steine an M zur Erfüllung des zwischen ihnen bestehenden Kaufvertrags hinsichtlich der Steine. Zwar ist der Kaufpreis bisher nicht entrichtet und somit das Eigentum nicht auch M übergegangen. Auch durch die bloße Besitzverschaffung mehrt L aber das Vermögen des M. Dies tut er bewusst und zweckgerichtet.

4. Besteht zwischen M und E eine Leistungsbeziehung?

Ja!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.M baut die Mauer auf Es Grundstück, um seiner vertraglichen Pflicht aus dem Werkvertrag nachzukommen und mehrt so bewusst und zweckgerichtet das Vermögend es E.Auch wenn keine rechtsgeschäftliche Übertragung der Steine stattgefunden hat, so basiert der gesetzliche Eigentumserwerb des E nach h.M. letztlich auf einer Leistung des M in Form des Einbaus.

5. Nach der h.L. steht L gegenüber E ein Entschädigungsanspruch zu (§§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die h.L. lässt einen Wertersatzanspruch nach §§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB trotz bestehender Leistungsbeziehungen zu, wenn ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich gewesen wäre. Dies wird insbesondere damit begründet, dass ansonsten ein bösgläubiger Erwerber im Rahmen der §§ 946ff. BGB im Vergleich zum rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb begünstigt würde.E war gutgläubig hinsichtlich Ms Eigentümerstellung. Die Steine sind L auch nicht abhandengekommen. Ein gutgläubiger Erwerb des E wäre daher möglich gewesen, weshalb nach Ansicht der h.L. kein Entschädigungsanspruch von L gegen E besteht.

6. Steht L nach Ansicht des BGH ein Entschädigungsanspruch gegen E zu (§§ 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH wendet auch im Rahmen des § 951 Abs. 1 S. 1 BGB den Grundsatz der Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion an. Demnach hängt die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch nach § 951 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB besteht, grundsätzlich davon ab, ob es vorrangige Leistungsbeziehungen gibt.Zwischen L und E kommt mangels Leistungsbeziehung lediglich eine Eingriffskondiktion in Betracht. Allerdings sperren die bestehenden Leistungsbeziehungen zwischen L und M und M und E nach Ansicht des BGH grundsätzlich die Anwendbarkeit der Nichtleistungskondiktion.Hier kommen beide Ansichten zum selben Ergebnis. Ein Streitentscheid ist entbehrlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

29.8.2022, 16:01:06

Könnt ihr mir bitte die Argumentation der hL noch einmal erklären? Die habe ich in der Aufgabe nicht verstanden.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 19:03:15

Hallo Deliktusmaximus, die bereicherungsrechtlichen Mehrpersonenkonstellationen sind in der Tat juristisches Hochreck und nicht ganz leicht zugänglich. Um das Argument der drohenden Besserstellung des bösgläubigen Erwerbers zu verstehen, muss man sich zunächst überlegen, wie dieser Fall zu lösen wäre, wenn es nicht um einen gesetzlichen, sondern rechtsgeschäftlichen Eigentumsübergang gegangen wäre: Hätte M die Materialien nicht bei E eingebaut, sondern einfach rechtsgeschäftlich übereignet, so wären hierfür die §§ 929ff. BGB einschlägig. Da M lediglich unter Eigentumsvorbehalt die Materialien erworben hat, fehlte ihm die

Verfügungsbefugnis

. E könnte damit rechtsgeschäftlich nur dann Eigentum erwerben, wenn er in gutem Glauben an Ms

Eigentümer

stellung ist (§ 932 BGB). Ist er dagegen bösgläubig, so scheitert die

Übereignung

. In dem letztgenannten Fall wäre L

Eigentümer

geblieben und könnte die Materialien nach § 985 BGB von E direkt herausverlangen. Der bösgläubige E wäre bei rechtsgeschäftlichem Erwerb also nicht vor einem unmittelbaren Zugriff des L geschützt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 19:03:49

Genau so möchte es die h.L. auch im Falle des gesetzlichen Eigentumserwerbs halten. War der Erwerber gutgläubig, so soll lediglich die Leistungskondiktion greifen. L könnte sich in diesem Fall nur an M halten. Sofern dieser kein Geld hat, so hat L Pech gehabt. Ist E dagegen bösgläubig, so kommt nach der hL auch hier ein Direktdurchgriff über die

Nichtleistungskondiktion

in Betracht. Die an sich vorrangige Leistungsbeziehung zwischen L-M soll hier keine Sperrwirkung entfalten.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 19:04:17

Die Rechtsprechung nimmt dagegen an, dass sich L in beiden Fällen (also sowohl bei Gut- als auch bei

Bösgläubigkeit

nur an M halten könne, da diese Leistungsbeziehung vorrangig sei. Damit wäre also der bösgläubige Erwerber im Falle des gesetzlichen Eigentumsübergang vor einem direkten Durchgriff geschützt und damit bessergestellt, als wenn er die Sache rechtsgeschäftlich erworben hätte (dann nämlich

Herausgabeanspruch

des

Eigentümer

s nach § 985 BGB). Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

8.10.2023, 14:54:41

Nur für mein Verständnis: die Rspr. nimmt einen Anspruch nur, wenn es keine anderen möglichen vorangehen Ansprüchen gibt, richtig?

CR7

CR7

19.1.2024, 09:56:57

Die Rechtsprechung sieht hier einen Vorrang der Leistungsbeziehung. Du musst also zwischen M <-> E und L <-> M rückabwickeln. Der L soll sich nicht mit E auseinandersetzen müssen und E soll seine Einwendungen gegen M behalten dürfen. L soll auch nicht das Insolvenzrisiko des E tragen müssen. Hätte E jetzt bspw. die Steine nicht von M durch Leistung erlangt, also nicht bewusst und zweckgerichtet, sondern hätte E die Steine bei M geklaut und sie dann eingebaut, dann hätten wir eine andere Situation. Denn dann fehlt das Leistungselement des M. Aber beachte dann, dass dann EBV greift.

AM

Api M.

24.1.2024, 18:30:04

Warum kommt hier keine konkludente, dingliche Einigung und somit ein

gutgläubiger Erwerb

i.S.d. §§ 929 S. 1, 932 in Betracht?

ajboby90

ajboby90

26.1.2024, 00:08:16

Es würde nichts ändern, denn wegen §946 findet ohnehin der gesetzliche Eigterwerb statt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 11:04:59

Hallo Api M, das könnte man grundsätzlich konstruieren. Das entspricht in der Regel aber nicht dem vertraglichen Willen. Der Besteller hat in der Regel kein Interesse an dem Eigentum an den Materialien, weswegen es hier an einer entsprechenden (konkludenten) Einigung zur

Übereignung

fehlt. Letztlich ist dies unschädlich, da das Eigentum dann jedenfalls gesetzlich übergeht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

rlaw

rlaw

28.1.2024, 18:38:33

Nur nochmal für mein Verständnis: Die Lösung der Rechtsprechung ist eigentlich keine besondere sondern nur das ganz normale Subsidiaritätsmodell, was jeder ab der ersten Stunde Bereicherungsrecht eingetrichtert bekommt. Einzig die Lit. will von dem normalen Vorrang der LK abweichen aus Wertungsgesichtspunkten. Wenn ich den Streit daher aufmache dann sage ich "Grundsätzlich Subsidiarität. In der Lit wird jedoch vertreten, ausnahmsweise unter Wertungsgesichtspunkten einen Durchgriff zu erlauben, sofern ein hypothetischer RG-Erwerb nicht funktioniert hätte (= also bei

Bösgläubigkeit

). Dies wird begründet mit ..." Richtig? Man diskutiert also, ob man eine Ausnahme zulassen sollte? (Ich hatte nämlich immer Schwierigkeiten, wie & wann man das Problem einleitet :-))


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