Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Kein dringendes betriebliches Erfordernis (Hintergrund)

Kein dringendes betriebliches Erfordernis (Hintergrund)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aufgrund zurückgehender Aufträge will Arbeitgeber A im gleichen Umfang Personal reduzieren. A kündigt Maschinenbauer M deshalb ordentlich. Der Auftragsrückgang könnte allerdings durch den Abbau von Überstunden der anderen Arbeitnehmer ausgeglichen werden.

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Einordnung des Falls

Kein dringendes betriebliches Erfordernis (Hintergrund)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Kündigung kann auch durch betriebliche Gründe sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Ja, in der Tat!

Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dann ordentlich kündigen, wenn die Kündigung aus personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Eine Kündigung kann daher auch durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt und damit sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 S. 1 Var. 3 KSchG). Grund dafür ist, dass es dem Arbeitgeber im Hinblick auf die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 und Art. 14 GG garantierte unternehmerische Freiheit möglich sein muss, Betriebsstrukturen zu verändern, auch wenn dadurch Arbeitsplätze wegfallen.
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2. Eine betriebsbedingte Kündigung erfordert strengere Voraussetzungen als eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung.

Ja!

Da die betriebsbedingte Kündigung - anders als bei der personen- oder verhaltensbedingten Kündigung - nicht durch Gründe bedingt ist, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen, sind strenge Voraussetzungen erforderlich: (1) unternehmerische Entscheidung wegen eines dringenden betrieblichen Grundes, die zum dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes führt, (2) keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit oder sonstige mildere Mittel, (3) ordnungsgemäße Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). Eine Interessenabwägung wird bei der betriebsbedingten Kündigung überwiegend abgelehnt, da für eine solche aufgrund des Erfordernisses des dringenden betrieblichen Grundes und der Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 KSchG kein Raum mehr sei.

3. Es liegt eine selbstbindende unternehmerische Entscheidung des A vor.

Genau, so ist das!

Die unternehmerische Entscheidung kann selbstbindend oder gestalterisch erfolgen. Sie ist selbstbindend, wenn der Arbeitgeber die Zahl der Arbeitnehmer unmittelbar von externen Faktoren (wie Absatzzahlen) abhängig macht. Demgegenüber ist sie gestaltend, wenn der Arbeitnehmer für sich Unternehmensziele, die dafür benötige Arbeitnehmeranzahl und etwaige Konsequenzen wie Rationalisierungsmaßnahmen festlegt, also die betriebliche Organisation verändert. A macht hier die Anzahl der Arbeitnehmer unmittelbar von den Auftragszahlen abhängig, sodass eine selbstbindende unternehmerische Entscheidung vorliegt.

4. Zu seiner unternehmerischen Entscheidung wird A durch einen innerbetrieblichen Grund bewegt.

Nein, das trifft nicht zu!

Sowohl innerbetriebliche Umstände (neue Fertigungsmethoden, organisatorische Veränderung, Rationalisierungsmaßnahmen) als auch außerbetriebliche Umstände (Auftragsmangel, Umsatzrückgang, Absatzprobleme) können Ursache für eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers und Arbeitsplatzwegfall sein und einen betrieblichen Grund darstellen. Aufgrund des Auftragsrückgangs liegt ein außerbetrieblicher Umstand und damit ein betriebliches Erfordernis vor. Das Vorliegen außerbetrieblicher Gründe unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Der Arbeitgeber muss daher im Fall einer selbstbindenden unternehmerischen Entscheidung beweisen, dass sich der Arbeitsplatzverlust tatsächlich auf den außerbetrieblichen Umstand zurückführen lässt.

5. Handelt es sich dem betrieblichen Grund auch um einen dringenden betrieblichen Grund?

Nein!

Ein dringender betrieblicher Grund (§ 1 Abs. 2 KSchG) liegt vor, wenn die Kündigung wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar ist. Entscheidend ist also, ob dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere technische, organisatorische oder wirtschaftliche Maßnahmen als durch Entlassung zu entsprechen. Es muss somit nicht die unternehmerische Entscheidung selbst dringlich sein, sondern maßgeblich ist, dass ihre Umsetzung gerade die Kündigung betrieblich dringend erforderlich macht. Dies ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die Kündigung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Zwar stellt der Auftragsrückgang einen betrieblichen Grund dar. Allerdings ist dieser nicht dringend, da ihm zunächst auch durch den Abbau von Überstunden und nicht allein durch Kündigung begegnet werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

rex ipso iure

rex ipso iure

27.5.2024, 15:21:03

da die betriebsbedingte kündigung für den arbeitgeber unvermeidbar sein soll, könnte man somit auch hier sinngemäß den ultima ratio prinzip gedanklich mit aufnehmen, oder?

rex ipso iure

rex ipso iure

27.5.2024, 15:21:53

Das Prinzip* ( hatte vor was anderes geschrieben und habe vergessen den Artikel zu korrigieren)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.5.2024, 16:34:36

Hallo uncle Ruckus, genauso ist es! Das ist derselbe Gedanke in andere Worte gekleidet. Wir haben das nun in der Aufgabe nochmal explizit ergänzt. Bei einem Arbeitsverhältnis im Anwendungsbereich des KSchG ist die Kündigung ultima Ratio. Abmahnung und Versetzung haben Vorrang. Dabei muss jedoch beachtet werden: Die unternehmerische Entscheidung für den Abbau von Arbeitsplätzen kann an sich nicht auf Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit überprüft werden. Dies würde einen Eingriff in die unternehmenspolitische Freiheit des Arbeitgebers darstellen. Der Arbeitgeber hat den Grund für den Wegfall des Arbeitsplatzes darzulegen. Die Grenze ist Unsachlichkeit oder Willkür. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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