Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Krankheitsbedingte Kündigung (keine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers)

Krankheitsbedingte Kündigung (keine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers)

6. November 2024

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Klassisches Klausurproblem

Der bei Arbeitgeber A angestellte Dachdecker D fällt vom Hausdach und erleidet eine Lähmung seiner Beine, sodass er dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Seine arbeitsvertragliche Tätigkeit als Gerüstbauer wird er voraussichtlich nie mehr ausüben können, eine Tätigkeit im Büro des A aber schon. Das KSchG ist anwendbar.

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Einordnung des Falls

Krankheitsbedingte Kündigung (keine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann dem D aufgrund der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ordentlich kündigen, sofern betriebliche Interessen beeinträchtigt sind und eine unzumutbare Belastung vorliegt.

Genau, so ist das!

Damit die personen- und krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen des KSchG nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, sind folgende Voraussetzungen erforderlich: (1) eine negative Gesundheitsprognose, (2) eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten und (3) umfassende Interessenabwägung im Einzelfall, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Arbeitgebers und damit zur Kündigungsberechtigung führt. Dabei ist zu beachten, dass die Kündigung stets ultima ratio ist.
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2. Es liegt eine negative Gesundheitsprognose vor.

Ja, in der Tat!

Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen (Wiederholungsgefahr). Im Fall von lang andauernden Erkrankungen muss der Arbeitnehmer bei Kündigungszugang tatsächlich erkrankt sein und es muss damit zu rechnen sein, dass dieser Zustand noch längere Zeit andauern wird. (negative Gesundheitsprognose). Zwar liegen bisher keine vorangegangenen Fehlzeiten des D vor, jedoch ist er im Zeitpunkt des Kündigungszugangs zum einen arbeitsunfähig erkrankt, zum anderen wird D nie wieder als Dachdecker tätig sein können, sodass eine negative Gesundheitsprognose infolge dauernder Leistungsunfähigkeit gegeben ist.

3. Sind die betrieblichen Belange durch die Lähmung des D erheblich beeinträchtigt?

Ja!

Die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Belange kann sich aus konkreten Betriebsablaufstörungen oder erheblicher Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen des Arbeitgebers ergeben. Sofern der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in Zukunft überhaupt nicht mehr erbringen kann (dauernde Leistungsunfähigkeit), ist das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört, sodass eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung besteht. D ist aufgrund der Lähmung seiner Beine dauerhaft arbeitsunfähig, sodass die betrieblichen Belange erheblich beeinträchtigt sind.

4. Die Weiterbeschäftigung des D stellt zudem eine unzumutbare Belastung für A dar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall ist zu prüfen, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Arbeitgebers und damit zur Kündigungsberechtigung führt. Dabei ist zu beachten, dass die Kündigung stets ultima ratio ist. Zugunsten des Arbeitnehmers ist zu berücksichtigen: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Ursachen für die Erkrankung, Zumutbarkeit weiterer Überbrückungsmaßnahmen, Möglichkeit der Umsetzung auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz, usw. Da A auch Büromitarbeiter beschäftigt, besteht die Möglichkeit D auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz im Büro zu versetzen. Dies ist auch keine unzumutbare Belastung des A.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

2.8.2022, 13:30:59

Wie verhält sich das in der Praxis wenn man einen kleinen Betrieb hat, den AN nach den oben getroffenen Wertungen beschäftigen müsste, jedoch im Büro alle Stellen besetzt sind? Findet dann eine Sozialauswahl nach § 1 III KSchG statt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.8.2022, 15:41:49

Hallo frausummer, in der Tat müsste der Arbeitgeber in diesem Fall den Arbeitsplatz nicht frei kündigen. Die Weiterbeschäftigung ist vielmehr nur dann zumutbar, wenn ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, dieser also unbesetzt ist. Grundsätzlich ist hierfür der Zeitpunkt der Kündigung maßgeblich, wobei aber auch Arbeitsplätze als frei gelten, bei denen schon im Zeitpunkt der Kündigung mit Sicherheit vorhersehbar ist, dass sie bis Ablauf der Kündigung bzw. in absehbarer Zeit nach Ablauf der KÜndigungsfrist frei werden (Hergenröder, in : MüKoBGB, 8.A. 2020, KSchG § 1 RdNr. 113). Es bedarf insoweit nicht der (betriebsbedingten) Kündigung eines anderen Mitarbeiters. Vielmehr ist dann die krankheitsbedingte Kündigung verhältnismäßig, weil es keine andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

AV

aviva

27.2.2023, 19:22:33

Wie steht es dann in dem Fall um Ausbildungsanforderungen z.B. bei der Weiterbeschäftigung im Büro. IdR werden Dachdecker*innen nicht gleichzeitig eine Bürokaufmannsl

ehre

gemacht haben.

Skra8

Skra8

20.2.2024, 12:08:05

Die Frage habe ich mir auch gestellt; könnte man das ggfs. nochmal aufnehmen?

PET

petruvia

8.5.2024, 21:30:17

Der Frage schließe ich mich an.

CR7

CR7

11.6.2024, 12:26:21

https://www.haufe.de/personal/haufe-personal-office-platin/krankheitsbedingte-kuendigung-voraussetzungen-443-weiterbeschaeftigung-nach-umschulung-und-fortbildungsmassnahme_idesk_PI42323_HI3633333.html Umschulungen und Fortbildungsmaßnahmen kommen im Rahmen einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nur dann in Betracht, wenn der aktuelle Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mitursächlich für die Erkrankung ist und damit gerechnet werden kann, dass der Wechsel auf einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz zu einer Beendigung, jedenfalls aber zu einer ausreichenden Minderung der Beeinträchtigungen führt. Eine Umschulung hat das Ziel, dem Arbeitnehmer die notwendige fachliche Qualifikation für die Ausübung eines anderen Berufs zu vermitteln. Fortbildungsmaßnahmen bezwecken dagegen, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den gestiegenen Anforderungen in seinem Beruf durch die Vermittlung der dafür notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten gerecht zu werden. Der Arbeitgeber muss aber nur dann umschulen oder fortbilden, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung feststeht oder mit hinreichender Sicherheit voraussehbar ist, dass nach Abschluss der Maßnahme ein geeigneter freier und leidensgerechter Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens vorhanden ist. Interessenabwägung Was für den Arbeitgeber hinsichtlich einer Schulung oder Weiterbildung finanziell und zeitlich zumutbar ist, lässt das BAG offen. Zur Beantwortung dieser Frage muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Zumindest ist eine Umschulung oder Fortbildung dann unzumutbar, wenn sie in angemessener Zeit offenbar keinen Erfolg verspricht bzw. sich über einen längeren Zeitraum (z. B. 2 Jahre) erstrecken müsste. Gleiches gilt, wenn der Erfolg der Maßnahme z. B. wegen des Bildungsstands des Arbeitnehmers oder wegen seines Alters ungewiss ist.

STE

StellaChiara

1.9.2024, 13:01:35

was heisst hier der arbeitsplatz muss mitursächlich für die erkrankung sein?


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