Verschuldensmodifikation 1 (Grundsätzliches)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Onkel O schenkt seinem Neffen N einen alten Motorroller. Dabei übersieht O leicht fahrlässig, dass die Bremsen aufgrund der langen Standzeit nicht mehr funktionieren. Bei der ersten Fahrt hat N einen Unfall und verletzt sich. Der Roller bleibt unbeschädigt.
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Einordnung des Falls
Verschuldensmodifikation 1 (Grundsätzliches)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. O hat eine Pflicht aus dem Schenkungsvertrag verletzt (§§ 516 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. O hat diese Pflichtverletzung auch zu vertreten (§280 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Nein!
3. O hat durch die Schenkung des defekten Motorrollers kausal die Rechtsgüter des N verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
4. Die Begriffe "Verschulden" und "Vertretenmüssen" sind identisch.
Nein, das trifft nicht zu!
5. O hat die kausale Rechtsgutsverletzung auch zu verschulden (§ 823 Abs. 1 BGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jopies
2.10.2021, 23:32:50
Ich verstehe euch an dieser Stelle nicht. Erst sagt ihr Verschulden und Vertretenmüssen sind unterschiedlich, weil beim Vertretenmüssen zum Verschulden noch Haftungsmodifikationen hinzukommen, das Verschulden davon aber unabhängig ist. Bei der nächsten Frage geht es dann darum ob ein Verschulden vorliegt. Eure Antwort lautet nein, weil die Haftungsmodifikation aus §521 greift. Ich glaube das ist widersprüchlich.
Lukas_Mengestu
3.10.2021, 20:34:35
Hallo Jopies, die Terminologie ist hier in der Tat etwas tricky. Wie auch schon im Fall beschrieben handelt es sich bei dem "Vertretenmüssen" iSd § 276 BGB zunächst einmal um den Oberbegriff, unter den folgende vier Elemente fallen: a) Vorsatz b) Fahrlässigkeit c) Fälle milderer Haftung (zB Verleiher haftet nur für Vorsatz + grobe Fahrlässigkeit, §
599 BGB) d) Fälle schwererer Haftung (zB Verantwortlichkeit während des Verzuges auch für bloßen Zufall, § 287) Verschulden iSd § 823 BGB dagegen beschränkt sich grundsätzlich auf die Elemente a) "Vorsatz" und b) "Fahrlässigkeit". Soviel zunächst einmal zum Grundsatz. Das bedeutet also, dass man zB im Falle des Verzuges einen Schaden "zu vertreten" hat, obwohl der Schaden rein zufällig entstanden ist und man ihn nicht "verschuldet" hat - also weder vorsätzlich, noch fahrlässig den Schaden herbeigeführt hat. Eine deliktische Haftung würde in diesem Fall dagegen mangels Verschulden ausscheiden. In der vertraglichen Sonderbeziehung kann also die Haftung deutlich verschärft sein im Vergleich zur deliktischen Haftung. Umgekehrt hält man es dagegen für wertungswidersprüchlich, wenn im Rahmen der vertraglichen Sonderbeziehung eine Haftungsmilderung besteht, die dann aber nicht zum Tragen kommt, weil der Geschädigte einfach einen deliktischen Anspruch geltend macht. Aus diesem Grund wendet man zB die Haftungsmilderung des § 521 BGB auch im Deliktsrecht an. Terminologisch bleibt es aber dann dabei, dass im Grundsatz der Schaden "verschuldet" war (also einfache Fahrlässigkeit vorlag), aber der Anspruch im Ergebnis aufgrund der Haftungsmodifikation versagt wird. Das Ergebnis wird also nachträglich korrigiert. So etwas klarer? Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jopies
10.10.2021, 17:48:40
Ich glaube ich habe jetzt ungefähr verstanden was ihr wollt aber davon ergibt sich null aus den Aufgaben oder den Antwortbegründungen. Diese bleiben sehr verwirrend.
Lukas_Mengestu
10.10.2021, 19:03:43
Danke Jopies! Wenn es für Dich jetzt etwas klarer ist, dann ist das schon mal super. Wir haben die Aufgabe nun trotzdem noch einmal überarbeitet, um die Unterscheidung etwas klarer zu machen :). Letztlich handelt es sich schlicht um eine Wertungsfrage, dass trotz Fahrlässigkeit ein Verschulden von der hM abgelehnt wird. Rein terminologisch ist das aber tatsächlich widersprüchlich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
evanici
11.9.2023, 15:53:49
Ich glaube, der Hinweis in Deiner ersten Antwort, dass das insbesondere in eine Richtung funktioniert, ist sehr erhellend! Also dass bei Wertungswidersprüchen zum Vertragsrecht der
Verschuldensmaßstabentsprechend
teleologischreduziert bzw. angeglichen wird, umgekehrt aber vertraglich mehr zu vertreten sein kann als man deliktisch zu verschulden hat...
Lukas_Mengestu
11.9.2023, 18:23:26
Das freut mich zu hören!
Im🍑nderabilie
14.6.2022, 12:17:31
Noch eine Frage dazu: Werden dann ausschließlich die milderen Haftungsmodifikationen übertragen, oder auch die strengeren? Danke!
Lukas_Mengestu
16.6.2022, 13:54:24
Hallo Imonderabilie, lediglich Haftungserleicherungen (Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit/eigenübliche Sorgfalt) werden übertragen, damit die vertraglichen Vereinbarungen nicht durch die gesetzlichen Ansprüche unterlaufen werden. Bei Haftungsverschärfungen ist dies indes nicht notwendig. Einer Übertragung von Haftungsverschärfungen wird hier dagegen nicht vorgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team