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Abgrenzung öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Handeln: Teilnahme am Straßenverkehr

Abgrenzung öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Handeln: Teilnahme am Straßenverkehr

31. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Der verbeamtete Lehrer Langhals (L) will mit seiner Klasse auf Klassenfahrt nach Deppendorf fahren. Auf dem Weg zum Treffpunkt baut L mit seinem privaten PKW einen Auffahrunfall.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Handeln: Teilnahme am Straßenverkehr

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es ist fraglich, ob L's Teilnahme am Straßenverkehr öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist.

Ja, in der Tat!

Nehmen Amtsträger am Straßenverkehr teil, muss differenziert werden, ob die Teilnahme am Straßenverkehr öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich eingeordnet wird. Die rechtliche Natur der Teilnahme eines Amtsträgers am Straßenverkehr ist besonders hinsichtlich Schadensersatzansprüchen aus Amtshaftung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB relevant. Ob eine Teilnahme öffentlich-rechtlicher Natur ist, bemisst sich (insbesondere nach der Rspr. des BGH) danach, ob die Zielsetzung einer Fahrt dem Bereich hoheitlicher Betätigung zuzurechnen ist und zwischen der Zielsetzung sowie der Straßenverkehrsteilnahme ein enger innerer und äußerer Zusammenhang besteht.
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2. Nach einer anderen Ansicht (in der Literatur) ist die Teilnahme am Straßenverkehr immer privatrechtlicher Natur.

Ja!

Nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass bei der Amtshaftung eine Haftungsprivilegierung durch die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB besteht, plädiert ein Teil des Schrifttums für eine generelle privatrechtliche Qualifikation von behördlicher Straßenverkehrsteilnahme (Ausnahme: Sonderbefugnisse nach § 35 StVO). Hierfür besteht allerdings kein praktisches Bedürfnis (mehr), da der BGH mittlerweile die Vorschrift des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB für die dienstliche Teilnahme eines Amtsträgers am Straßenverkehr für unanwendbar erklärt hat.

3. Die Teilnahme des Amtsträgers am Straßenverkehr ist nur dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie unmittelbar der Ausführung eines hoheitlichen Geschäfts dient.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Teilnahme eines Amtsträgers am Straßenverkehr ist dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die Zielsetzung einer Fahrt dem konkreten Bereich hoheitlicher Betätigung zuzurechnen ist und zwischen der Zielsetzung sowie der Straßenverkehrsteilnahme ein enger innerer und äußerer Zusammenhang besteht. Dieser Zusammenhang liegt nach der Rspr. schon dann vor, wenn die Verkehrsteilnahme, sei es auch nur mittelbar, der Ausführung des hoheitlichen Geschäfts dient und in einer solchen Beziehung zur unmittelbaren Verwirklichung des staatshoheitlichen Ziels steht, dass ein einheitlicher Lebensvorgang gegeben ist.

4. Weil L erst zum Treffpunkt der Klassenfahrt fuhr und die Klassenfahrt noch nicht begonnen hatte, ist seine Teilnahme am Straßenverkehr privatrechtlicher Natur.

Nein, das trifft nicht zu!

Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Verkehrsteilnahme und der hoheitlichen Aufgabe liegt vor, wenn die Verkehrsteilnahme, sei es auch nur mittelbar, der Ausführung des hoheitlichen Geschäfts dient und in einer solchen Beziehung zur unmittelbaren Verwirklichung des staatshoheitlichen Ziels steht, dass ein einheitlicher Lebensvorgang gegeben ist. L's Fahrt zum Treffpunkt der Klassenfahrt dient zumindest mittelbar der Verwirklichung seiner hoheitlichen Aufgabe, die Klassenfahrt durchzuführen.

5. L fuhr mit seinem privaten Auto. Die Fahrt ist deswegen privatrechtlicher Natur, auch wenn ein Zusammenhang zu seiner hoheitlichen Tätigkeit besteht.

Nein!

Die Teilnahme eines Amtsträgers am Straßenverkehr ist dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die Zielsetzung einer Fahrt dem konkreten Bereich hoheitlicher Betätigung zuzurechnen ist und zwischen der Zielsetzung sowie der Straßenverkehrsteilnahme ein enger innerer und äußerer Zusammenhang besteht. Dieser Zusammenhang ist besonders dann problematisch, wenn der Amtsträger ein privates Fahrzeug benutzt. Der Zusammenhang ist nach der Rspr. dennoch gegeben, wenn die Wahl dieses Verkehrsmittels zur sinnvollen Verwirklichung des hoheitlichen Ziels geboten war. Dass L sein privates Fahrzeug nutzt, um zum Treffpunkt der Klassenfahrt zu gelangen, ist geboten. Die Fahrt ist öffentlich-rechtlicher Natur.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

7.3.2022, 09:53:20

Gibt es hier eigentlich einen Gleichlauf zum Themenkomplex "Arbeitsunfall" in privatrechtlichen Verhältnissen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.3.2022, 15:19:45

Hallo Isabell, hier müsstest Du mir noch etwas auf die Sprünge helfen, worauf Deine Frage im Einzelnen abzielt :-) Gegenüber Dritten (hier der Unfall

beteiligte

) haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich erst einmal voll. Dem Arbeitnehmer könnte aber bei betrieblich veranlasster Tätigkeit ein Rückgriffsanspruch gegen den Arbeitgeber bzw. ein

Freistellungsanspruch

nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zustehen. Bei Autounfällen springt zudem in der Regel die Haftpflichtversicherung ein. Ein unmittelbarer Anspruch des Dritten gegen den Arbeitgeber dürfte daran scheitern, dass zwischen dem Unfall

beteiligte

n und dem Arbeitgeber idR kein Vertragsverhältnis besteht und eine Zurechnung nach

§ 278 BGB

somit ausscheidet. Trifft das Deine Frage? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

7.3.2022, 15:31:28

Ich hatte zwar eine andere Konstellation im Kopf, aber die von dir geschilderte gehört da auch zu. Ich habe mich folgendes gefragt: Wenn ich in Zweifelsfällen im ptivatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis das Arbeitsverhältnis für betroffen halte, ich in der gleichen Situation unter Beteiligung von Beamten dann spiegelbildlich die öffentlich-rechtlichen Normen anwende? Sobald also die Tätigkeit, und nicht die Privatperson, ausschlaggebend ist, immer die spezielleren Normen greifen? Ist es jetzt klarer geworden, was ich meine?

Natze

Natze

6.4.2024, 12:55:11

Würde ich auch gerne wissen :)

TI

tigan

28.3.2025, 11:48:25

Liebe Jurafuchs-Community, verstehe ich das richtig, dass demnach eine verbeamtete Person, die sich auf dem Weg zur Arbeit befindet, eigentlich immer öffentlich-rechtlich handelt, weil ja ein enger innerer und äußerer Zusammenhang besteht und die Zielsetzung der Fahrt dann dem Tätig werden in

hoheitlich

er Funktion dient und somit die Fahrt dem konkreten Bereich

hoheitlich

er Betätigung zuzurechnen ist? Hat jemand vielleicht ein Beispiel dafür, wann kein öffentlich-rechtliches Handeln bei der Fahrt zur Arbeit vorliegt?

K.Attalla

K.Attalla

22.4.2025, 15:30:15

Hey, ich hätte jetzt gesagt, der Weg zur Arbeit ist gerade nicht öffentlich-rechtlicher Natur, weil die Fahrt zur Arbeit noch nicht dem Bereich

hoheitlich

er Betätigung zuzurechnen ist. Schließlich arbeitet der Beamte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Fahrt eines Lehrers zur Jugendherberge gehört zu einer konkreten Aufgabe, die er als Lehrer zu erfüllen hat. Ich sehe hier daher einen Unterschied.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

15.5.2025, 10:48:12

Hallo @[tigan ](296717), Du merkst anhand der ganzen rechtlichen "Gummibegriffe" in unserer Erläuterung der Rspr schon ("enger innerer und äußerer Zusammenhang", "einheitlicher Lebensvorgang" etc), dass das eine sehr einzelfallabhängige Frage ist, die man zwar grob in bestimmte Kategorien einteilen, aber nicht pauschalisieren kann. Inhaltlich hat @[K.Attalla](217236) schon einen wichtigen Hinweis gegeben: Man wird nicht pauschal sagen können, dass der Weg zur Arbeit mit dem privaten Pkw stets öffentlich-rechtlicher Natur iSd Amtshaftung ist. Ebenso wenig wird man es allerdings wohl nur "aufgabenbezogen" sehen können, denn auch die tägliche Arbeit könnte man ja als Aufgabe in diesem Sinn sehen. So kann es insbesondere darauf ankommen, ob der Zielort, an dem die Tätigkeit verrichtet werden soll, mit einem Pkw (deutlich) besser/schneller zu erreichen ist (näher BeckOGK-BGB/Thomas, Stand 1.2.2025, § 839 Rn 118). Beispiele für einen explizit fehlenden Zusammenhang findest Du zB bei BeckOGK-BGB/Thomas, Stand 1.2.2025, § 839 Rn 119: Genehmigt war eine Dienstreise "Eisenbahn", benutzt wurde aber stattdessen der private Pkw, wobei es zu einem Unfall kam. Auch bei Umwegen auf dem Weg zur Arbeit/Aufgabe müssen wir genauer hinschauen (sind sie zB verkehrsbedingt oder persönlicher Natur?). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

OKA

okalinkk

18.4.2025, 17:58:19

liegt dies daran, dass im Strassenverkehr sowieso alle sorgfältig handeln müssen und somit Subsidiaritätserwägungen keine Rolle spielen dürfen?


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