Nichtigkeit Fall 2: § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG

3. Dezember 2024

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Klassisches Klausurproblem

Behörde B schließt mit L einen Vertrag, wonach sich B zum Erlass einer Baugenehmigung verpflichtet, wenn L die Erschließungskosten für sämtliche Baugrundstücke im Baugebiet übernimmt. Das Baugebiet liegt im Bezirk der Behörde C, die B nicht zum Vertragsschluss ermächtigt hat.

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Einordnung des Falls

Nichtigkeit Fall 2: § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B und L haben einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen.

Ja!

In Abgrenzung zum (einseitigen) Erlass eines Verwaltungsakts liegt ein Vertragsschluss vor, wenn die Behörde und der Bürger sich darüber geeinigt haben, dass eine bestimmte Rechtsfolge eintreten soll. Ob der Vertrag öffentlich-rechtlich ist, richtet sich nach der rechtlichen Qualität des Vertragsgegenstands. Dieser ist öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die zugrundeliegenden Normen öffentlich-rechtlich sind, d.h. in jedem denkbaren Anwendungsfall Hoheitsträger verpflichten und/oder berechtigen (= mod. Subjektstheorie). B und L haben sich darüber geeinigt, dass B eine Baugenehmigung zu Gunsten von L erlassen wird, wenn L sämtliche Erschließungskosten im Baugebiet übernimmt. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag liegt vor.
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2. Der Vertrag ist schon deswegen rechtswidrig, weil die Vertragsform im konkreten Fall unzulässig war.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Rechtmäßigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrag setzt zunächst voraus, dass die Behörde in dem konkreten Fall überhaupt das Instrument des öffentlich-rechtlichen Vertrags benutzen durfte. Unzulässig ist der öffentlich-rechtliche Vertrag als Handlungsform, wenn das Gesetz ausdrücklich oder stillschweigend eine andere Handlungsform vorschreibt (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Grundsätzlich ist kein Gesetz ersichtlich, nachdem B in diesem konkreten Fall nicht mit Hilfe eines öffentlich-rechtlichen Vertrags handeln durfte. B hätte im konkreten Fall auch die Baugenehmigung (= Verwaltungsakt) mit Auflagen oder Bedingungen gegenüber L erlassen können. Es liegt ein subordinationsrechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 S. 2 VwVfG vor.

3. Der Vertrag ist formell rechtmäßig, insbesondere hat die örtlich zuständige Behörde gehandelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Wie ein Verwaltungsakt, kann auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (formell) rechtswidrig sein. Die formelle Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass die Behörde Zuständigkeits- und Formvorschriften eingehalten hat. Die Zuständigkeit ergibt sich aus dem jeweils einschlägigen Fachrecht sowie subsidiär aus § 3 VwVfG. Örtlich zuständig für die Abgabe einer Willenserklärung, die den Erlass einer Baugenehmigung verspricht, ist die Behörde, in deren Bezirk das betroffene Baugebiet liegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Das Baugebiet, in dem L bauen möchte, liegt nicht im Bezirk der Behörde B. B ist örtlich unzuständig. Zur Verkürzung des Falles wird die materielle Rechtmäßigkeit hier nicht geprüft. In einem Gutachten prüfst Du diese bitte auch dann, wenn der Vertrag bereits formell rechtswidrig ist.

4. Die formelle Rechtswidrigkeit des Vertrags führt immer auch zur Nichtigkeit.

Nein!

Nicht jeder rechtswidrige öffentlich-rechtliche Vertrag ist auch automatisch rechtsunwirksam (= nichtig). Vielmehr kommt es auf die „Art“ der Rechtswidrigkeit an, also auf die Gründe, weswegen der Vertrag rechtswidrig ist. Zentrale Norm zur Beurteilung ist hier § 59 VwVfG. Zunächst sind die speziellen Nichtigkeitsgründe aus § 59 Abs. 2 VwVfG in Betracht zu ziehen, sofern es sich um einen subordinationsrechtlichen Vertrag handelt. Ergibt sich die Nichtigkeit nicht bereits daraus, ist der allgemeinere § 59 Abs. 1 VwVfG zu prüfen. Der Vertrag zwischen B und L ist nicht schon allein deswegen nichtig, weil er formell rechtswidrig ist. Vielmehr ist § 59 VwVfG zu prüfen. Vorliegend handelt es sich um einen subordinationsrechtlichen Vertrag (§ 54 S. 2 VwVfG), sodass auch § 59 Abs. 2 VwVfG zu prüfen ist.

5. Der Vertrag ist hier nichtig, weil B außerhalb ihrer örtlichen Zuständigkeit gehandelt hat, ohne hierzu berechtigt zu sein.

Genau, so ist das!

In den speziellen Nichtigkeitsgründen findet sich ein Verweis auf § 44 VwVfG (§ 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Hier wird wieder die Parallele zur Beurteilung eines Verwaltungsakts deutlich: Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist dann nichtig, wenn ein an seiner Stelle erlassener Verwaltungsakt nichtig wäre. Grund dafür ist, dass die Nichtigkeitsregelungen des § 44 VwVfG nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Behörde einen Vertrag schließt, statt einen Verwaltungsakt zu erlassen. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag muss („mindestens“) den Anforderungen entsprechen, die an einen Verwaltungsakt gestellt werden. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG erklärt Verwaltungsakte für nichtig, welche von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen wurden, wenn diese nicht dazu ermächtigt war. Die örtlich zuständige Behörde C hat B nicht zum Vertragsschluss ermächtigt. Der Vertrag ist nichtig gem. § 59 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG.
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