Öffentliches Recht

Grundrechte

Freizügigkeit (Art. 11 GG)

Sachlicher Schutzbereich: Keine Ausreisefreiheit – "Elfes-Entscheidung"

Sachlicher Schutzbereich: Keine Ausreisefreiheit – "Elfes-Entscheidung"

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der deutsche Politiker Wilhelm Elfes (E) will aus politischen Gründen aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Die zuständige Behörde verwehrt E die Verlängerung seines Reisepasses. E kann damit Deutschland nicht verlassen.

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Einordnung des Falls

Sachlicher Schutzbereich: Keine Ausreisefreiheit – "Elfes-Entscheidung"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) gewährt deutschen Staatsangehörigen das Recht, Aufenthalt und Wohnsitz im gesamten Bundesgebiet frei zu wählen.

Genau, so ist das!

Art. 11 Abs. 1 GG bestimmt: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“Das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) gewährt das Recht, unbeschränkt durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Der sachliche Schutzbereich der Freizügigkeit garantiert also die Freiheit des Ziehens, also die Fortbewegungsfreiheit. Der persönliche Schutzbereich der Freizügigkeit beschränkt sich auf deutsche Staatsangehörige. Art. 11 Abs. 1 GG ist ein sog. Deutschen-Grundrecht.
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2. Das Recht auf Freizügigkeit gewährt auch das Recht auf Ausreise. Durch die Passversagung ist E in seinem Recht aus Art. 11 Abs. 1 GG betroffen.

Nein, das trifft nicht zu!

Art. 11 Abs. 1 GG bestimmt: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ Bereits der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 GG („im Bundesgebiet“) spricht damit für eine Beschränkung der Freizügigkeit auf das Bundesgebiet und gegen eine dadurch geschützte Ausreisefreiheit.Systematisch spricht gegen eine Ausreisefreiheit, dass die Möglichkeiten zur Beschränkung des Grundrechts nach Art. 11 Abs. 2 GG erkennbar auf innerstaatliche Konstellationen bezogen sind. Auch historische Gründe sprechen gegen die Verankerung einer Ausreisefreiheit in Art. 11 Abs. 1 GG. Vor der Elfes-Entscheidung des BVerfG 1957 war stark umstritten, ob Art. 11 Abs. 1 GG auch die Ausreisefreiheit schützt.

3. Die Ausreisefreiheit wird von Art. 11 Abs. 1 GG nicht geschützt. Kann E sich für die Ausreisefreiheit auf ein anderes Grundrecht berufen?

Ja!

Die Ausreisefreiheit wird zwar nicht von Art. 11 Abs. 1 GG erfasst, ist aber durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) innerhalb der Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung geschützt. Für sein Recht auf Ausreise kann E sich auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Im konkreten Fall war die Passversagung zulasten von E nach Ansicht des BVerfG durch die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit - namentlich durch gesetzliche Gründe der Passversagung - gerechtfertigt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

15.3.2022, 21:18:44

Welche historischen Gründen sprechen denn gegen die Ausreisefreiheit?

Vincent

Vincent

16.3.2022, 13:41:42

Früher gab es Art. 112 WRV, der dies ausdrücklich ermöglicht hat. Dass diese Regelung nicht ins GG übernommen wurde, spricht historisch gehen die Ausreisefreiheit. Außerdem, so laut text, war dies früher auch nicht gewollt, aufgrund der Nachbarschaft zur sowjetischen Besatzungszone. JuS 2019, 549

HAGE

hagenhubl

2.9.2024, 10:50:08

Aber gerade wegen der Zustände in der ehemaligen DDR wäre es doch wichtig auch ein Recht auf Ausreise im Grundgesetz zu verankern. Dort wurden Menschen, die das Land verlassen wollten, erschossen. Davon will sich die Bundesrepublik Deutschland ja wohl distanzieren. Dies sollte sie auch tun.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

1.10.2024, 12:28:16

Danke für Deine Anmerkung @[hagenhubl](233869). Es ist unbestritten, dass verfassungsrechtlich ein Recht auf Ausreise aus Art. 2 Abs. 1 GG besteht (auch wenn es im Einzelfall aus gesetzlich normierten Gründen eingeschränkt werden kann, z.B. die zu erwartende Begehung bestimmter Straftaten im Ausland zu verhindern). Die von Dir benannten fürchterlichen und menschenverachtenden Umstände im Grenzregime der ehemaligen DDR sind verbrecherisch gewesen und wurden vom Bundesverfassungsgericht in der „

Mauerschützen

“-Entscheidung (von uns hier aufbereitet: https://applink.jurafuchs.de/6PFuAuRYkNb) auch überaus deutlich benannt und mit konkreten Rechtsfolgen versehen. Allerdings folgt daraus nicht, dass Art. 11 Abs. 1 GG auch die Ausreisefreiheit schützt. Auch ist deshalb allein nicht erforderlich, dass Deutschland das Recht auf Ausreise im Verfassungstext schützt oder schützen sollte. Es ist wichtig, politische Einschätzungen und Forderungen von rechtlichen Bewertungen sauber zu trennen. Ich hoffe, meine Ausführungen helfen Dir dabei. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

15.7.2022, 10:59:44

Kann man hier auch noch

Art 21 AEUV

und Art 45 EUGRC anführen? Regelt ja auch die Ein-und Ausreise von Unionsbürgern und wäre hier ja auch durchaus möglich dich darauf zu berufen oder? 🤔

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 12:57:04

Hallo Der Weingärtner, nach allgemeiner Ansicht schützen die Rechte aus der AEUV nicht vor Inländerdiskriminierung. Desweiteren hat

Art. 21 AEUV

in Deutschland Umsetzung durch das Gesetz über die Allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern erfahren, welches gem. Art. 21 Abs. 2 AEUV ausnahmsweise vorrangig zu prüfen ist. Zudem ist bzgl. der EuGrCh der Prüfungsmaßstab fraglich - das BVerfG prüft diese nur in Fällen der Durchführung von Unionsrecht durch die Mitgliedsstaaten, also wenn das einschlägige Recht unionsrechtlich determiniert ist. Nur dann könnte sich der Beschwerdeführer auch erfolgreich auf die europäischen Grundrechte berufen. Dann würde aber keine Prüfung der deutschen Grundrechte mehr erfolgen. Dies ist hier nicht der Fall. Auch im Rahmen der Solange-Rechtsprechung kommt es hier nicht ausnahsweise zu einem Rückgriff auf die europäischen Grundrechte, da ein gleichrangiges Schutzniveau über Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet werden kann. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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