Implantate (3) | mit Körper verbunden / Herzschrittmacher


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arzt T entwendet den entnommenen Herzschrittmacher dem bereits toten Patienten O. Zu Lebzeiten hatte O das Gerät des Pharmaunternehmens P unter Eigentumsvorbehalt erworben und nie abbezahlt.

Einordnung des Falls

Implantate (3) | mit Körper verbunden / Herzschrittmacher

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Frage, wann Implantate bzw. Hilfsmittel als (diebstahlsfähige) Sachen und wann als Teil des Körpers anzusehen sind, ist unumstritten.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die wohl überwiegende Ansicht geht davon aus, dass Implantate ihre Sacheigenschaft verlieren und Teil des menschlichen Körpers werden, wenn sie mit diesem dauerhaft verbunden sind und ohne invasiven Eingriff nicht entfernt werden können. Erst wenn ein Implantat wieder vom Körper getrennt wird, erlangt es seine Sachqualität zurück. Das Eigentum erwirbt der Träger dann nach § 953 BGB analog. Es handelt sich dabei um eine Analogie des im Sachenrecht verankerten Gedanken, dass "wesentliche Bestandteile" eines größeren Ganzen nicht mehr selbstständig behandelt werden, sondern als "Teil des Ganzen" dessen rechtliche Eigenschaften übernehmen (vgl. §§ 93 bzw. 947 Abs. 2 BGB).

2. Ein Teil der Literatur differenziert bei Implantaten danach, ob die Implantate als Ersatz eines Körperteils oder bloß zur Unterstützung dienen.

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Ja!

Nach dieser Auffassung kommt es für die Sachqualität auf deren Wirkungsweise an. Substitutiv-Implantate, sind solche, die ein defektes Körperteil ersetzen. Supportiv-Implantate, sind solche, die dem Körper als Hilfsmittel beigefügt werden. Letztere behalten jedenfalls dann ihre Sachqualität, wenn sie wiederverwendbar sind. Als Argument für die Unterscheidung wird angeführt, dass es bei bloß unterstützenden Implantaten kein Bedürfnis gäbe, die Sacheigenschaft zu verneinen. Der Verlust der Sacheigenschaft würde zudem dazu führen, dass Rechte Dritter an der Sache ausgeschlossen wären. Gegen diese Auffassung spricht aber, dass sich für die Differenzierung im Wortlaut der Norm kein Anhaltspunkt findet und sich auch nicht mit dessen Sinn und Zweck deckt.

3. Geht man davon aus, dass ein Implantat bei dauerhafter Verbindung seine Sachqualität verliert (h.M.), dann ist der Herzschrittmacher für O fremd.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach h.M. verlieren dauerhaft verbundene Implantate mit Implementierung ihre Sacheigenschaft. Diese gewinnen sie erst nach Trennung vom Körper oder bei Tod des Trägers. Lebt der Träger zum Zeitpunkt der Trennung, so wird er Eigentümer des Implantats (§ 953 BGB analog). Ist er verstorben, so ist das Implantat herrenlos, bis die Erben ihr Aneignungsrecht ausüben.Ein Herzschrittmacher wird unter der Haut eingesetzt und ist mit langen Elektroden ausgerüstet, die über eine große Vene bis ins Herz reichen. Je nach Aktivität hält er fünf bis 15 Jahre. Er ist somit fest mit dem Körper des S verbunden und hat seine Sacheigenschaft verloren. Nach Os Tod erlangt er zwar die Sacheigenschaft zurück, bleibt aber zunächst herrenlos und ist damit keine fremde Sache im Sinne des § 242 Abs. 1 BGB.

4. Differenziert man bei der Sachqualität von dauerhaften Implantaten nach der Wirkweise (a.A.), hat O durch Implementierung des Herzschrittmachers Eigentum an diesem erlangt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach einem Teil der Literatur kommt es für die Sachqualität auf deren Wirkungsweise an. Substitutiv-Implantate, sind solche, die ein defektes Körperteil ersetzen. Supportiv-Implantate, sind solche, die dem Körper als Hilfsmittel beigefügt werden. Letztere behalten jedenfalls dann ihre Sachqualität, wenn sie wiederverwendbar sind.Os Herzschrittmacher ist ein Supportiv-Implantat und wiederverwendbar. Der Herzschrittmacher hat somit nach a.A. nie seine Sachqualität verloren. Damit bleibt P bis zum Eintritt der Bedingung des Eigentumsvorbehalts (=vollständige Kaufpreiszahlung) Eigentümer des Herzschrittmachers.

5. Differenziert man bei der Sachqualität von dauerhaften Implantaten nach der Wirkweise (a.A.), war der Herzschrittmacher für T fremd (§ 242 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Eine Sache ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist.Differenziert man bei der Sachqualität von Implantaten nach der Wirkweise (a.A.), stand der Herzschrittmacher auch nach Os Tod noch im Eigentum des P. Damit war er für A fremd im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB.

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SK

Skinnynorris

11.5.2021, 22:43:40

Wie ist es mit Unterschlagung ? Oder wäre Arzt T dann hier straflos ?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

12.5.2021, 01:00:40

Ich hätte an Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB gedacht.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

12.5.2021, 01:01:36

Ich hätte an Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB gedacht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.5.2021, 17:54:20

Richtig, da es sich nicht um eine herrenlose Sache handelt, ist aufgrund des fehlenden Gewahrsamsbruchs zwar kein Diebstahl, aber jedenfalls eine Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB einschlägig. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Melanie 🐝

Melanie 🐝

24.5.2021, 09:47:55

Ist das mit dem Übergang auf die Erben bei Goldzähnen denn genauso? Erinnere mich daran, gelernt zu haben, dass das Eigentum nicht auf die Erben übergeht, weil der Goldzahn Bestandteil der Leiche sind. Warum ist das dann hier anders?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

24.5.2021, 12:58:58

Grundsätzlich sind künstliche mit dem menschlichen Körper fest eingefügte Bestandteile keine Sachen, solange sie mit dem Körper verbunden sind. Das gilt in einer ganzheitlichen Betrachtung des menschlichen Körpers sowohl für ersetzende Bestandteile (zB künstliche Gelenke, Organspende) als auch für unterstützende Implantate (zB wie der vorliegende Herzschrittmacher). Werden die Bestandteile jedoch vom Körper abgetrennt, werden sie zu selbstständigen Sachen, die regelmäßig automatisch in das Eigentum ihres bisherigen Trägers fallen (vgl. nur Kretschmer, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller [Hrsg.], Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 242 Rn. 16). Zum Zahngold hat das OLG Hamburg (B. v. 19.12.2011 - AZ.: 2 Ws 123/11) ausgeführt: „die mit dem Leichnam fest verbundenen künstlichen Körperteile des Zahngoldes, die in Form und Funktion defekte Körperteile ersetzen, sog. Substitutiv-Implantate […], gehören zur Leiche und teilen während der Verbindung deren Schicksal […]. […] Als Folge der Einäscherung steht das Zahngold nicht mehr in fester Verbindung zu den menschlichen Rückständen und ist es folglich ab diesem Zeitpunkt eine bewegliche, eigentumsfähige Sache.“ Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Zahngold - anders als der Herzschrittmacher - zunächst herrenlos ist. Hintergrund ist, dass das Zahngold nicht im Eigentum des Verstorbenen steht, weswegen es nicht an die Erben übergehen kann. Das Zahngold erlangt nämlich erst mit der Trennung vom Körper damit erst deutlich nach dem Tode des Erblassers über Hauptsache Qualität. § 1922 Abs. 1 BGB stellt jedoch gerade auf den Zeitpunkt des Todes ab. OLG Hamburg: „ nach Einäscherung eines Leichnams ist kremiertes Zahngold eine herrenlose Sache. Den Hinterbliebenen bzw. den Erben steht daran ein vorrangiges Aneignungsrecht zu.“ Im vorliegenden Fall hat der Verstorbene den Herzschrittmacher gekauft und vollständig (mit der letzten Rate) bezahlt. Da es sich um eine wiederverwendbares Supportiv-Implantat handelt, konnte er daran Eigentum erwerben. Solche Zusatzimplantate gehen nach § 1922 BGB in das Eigentum der Erben über, wenn sie der Verstorbene zu Eigentum erworben hatte (vgl. Busch, in: MüKo StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 21).

IU

iustus

25.7.2021, 22:37:48

Danke bzgl der Antwort. Ich meine mich an einen Fall zu erinnern, bei dem die Stadt München (?) das Zahngold benutzt hatte, um den Friedhof zu finanzieren. Nun weiss ich endlich auch, warum die das konnten, bzw. warum sie meinten das zu dürfen.

JA

Jacob

8.11.2022, 08:53:18

Wieso haben die Erben hier ein Aneignungsrecht? Nach dem h.M. verliert der Herzschrittmacher seine Sachqualität und A kann § 958 BGB Eigentum erwerben.

Pilea

Pilea

2.12.2022, 09:26:07

Ist das Aneignungsrecht der Erben irgendwie rechtlich geschützt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.12.2022, 18:12:41

Hallo Pilea, diejenigen mit dem Aneignungsrecht (Erben bzw. nahe Angehörige) können zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. So steht ihnen zB ein Herausgabeanspruch analog § 985 BGB zustehen (vgl. LG Mainz Urt. v. 6.1.1984 – 7 O 170/83, BeckRS 1984, 04259) und das Aneignungsrecht ist als sonstiges Recht auch über § 823 Abs. 1 BGB geschützt (BeckOGK/Spindler, 1.11.2022, BGB § 823 Rn. 177). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

NI

Nickname

29.9.2023, 15:06:51

Wie kann die Sache denn herrenlos sein, wenn sie unter Eigentumsvorbehalt stand und die Raten nie vollständig abbezahlt wurden? Dann ist doch ganz allgemein und nach beiden Ansichten der Eigentümer P, da kein Eigentumsübergang auf O und damit ist die Sache auch nicht herrenlos. Sie hat dem O ja nie gehört und deshalb haben auch die Erben bei der ersten Ansicht und wohl h.M. kein Aneignungsrecht auf die Sache.

LL

Leo Lee

1.10.2023, 11:52:32

Hallo Nickname, Es stimmt zwar völlig, dass es etwas komisch klingt, dass trotz Eigentumsvorbehalts auf einmal die Sache herrenlos sein soll. Beachte allerdings, dass sich die h.M. gerade dadurch auszeichnet, dass ungeachtet der Eigentumsverhältnisse Implantate schlechthin Teil der Person werden und mithin nicht mehr eigentumsfähig sind (weil ein menschlicher Körper nicht eigentumsfähig ist). Somit war das Pharmaunternehmen zwar Eigentümer, jedoch verlor es das Eigentum mit der Implementierung. Beachte noch, dass wir uns hier im Strafrecht befinden; im Zivilrecht würde das Pharmaunternehmen natürlich – vor allem vertraglich – noch Rechte haben :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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