Versammlung auf fremdem Grundstück („Bierdosen-Flaschmob“)
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A plant auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten N-Platz einen 15-minütigen "Bierdosen-Flashmob für die Freiheit" gegen Alkoholverbote in der Öffentlichkeit. Teilnehmer sollen eine Bierdose trinken. Die private G-GmbH, Eigentümerin des N-Platzes, spricht ein Hausverbot gegen A aus.
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Einordnung des Falls
Versammlung auf fremdem Grundstück („Bierdosen-Flaschmob“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Bierdosen-Flashmob ist eine Versammlung.
Ja!
Nach dem Versammlungsbegriff ist eine Versammlung (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Der gemeinsame Zweck der Versammlung muss nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung liegen. Die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung umfasst auch nicht verbale Ausdrucksformen.
Das Austrinken einer Dose Bier soll auf die zunehmenden Alkoholverbote in der Öffentlichkeit aufmerksam machen. Der Versammlungsbegriff ist erfüllt.
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2. Art. 8 Abs. 1 GG gewährt ein Recht darauf, über den Ort der Versammlung zu bestimmen.
Genau, so ist das!
Der sachliche Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erstreckt sich auf die Durchführung der Versammlung, die Vorbereitung und Organisation sowie die Auswahl des Gegenstands, des Orts und der Zeit.
3. G kann sich auf ihr Eigentumsrecht (Art. 14 GG) berufen.
Ja, in der Tat!
Inländische juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts können sich auf Grundrechte berufen, soweit sie "ihrem Wesen nach" auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Dies ist der Fall, wenn das Grundrecht kollektiv ausgeübt werden kann. Maßgeblich ist hierbei, welche Freiheitsräume die Grundrechte schaffen sollen und ob die juristische Person diese Freiheitsräume auch nutzen kann. Juristische Personen können Inhaber einer Eigentumsposition sein, das Eigentumsrecht kann also kollektiv ausgeübt werden.
4. Zwischen Privaten kommt die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung zur Anwendung.
Ja!
Grundrechte beeinflussen als objektive Prinzipien das Privatrecht (mittelbare Drittwirkung). Die in den Grundrechten festgelegten Werte finden in der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln des Privatrechts Berücksichtigung, indem diese grundrechtskonform ausgelegt werden.
5. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet, weil die G-GmbH unmittelbar an Grundrechte gebunden ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an Grundrechte gebunden. Grundrechte sind nach ihrem Sinn und Zweck Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Die Auffassung, dass Grundrechte über Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 3 GG hinaus unmittelbar zwischen Bürgern wirken (unmittelbare Drittwirkung), wird vom BVerfG und der ganz h.M. zu Recht abgelehnt.
Die G-GmbH ist eine juristische Person des Privatrechts. A kann sich gegenüber G nicht unmittelbar auf Grundrechte berufen.
6. Die Versammlungsfreiheit der A entfaltet vorliegend ihre Wirkung, weil die G-GmbH mittelbar an Grundrechte gebunden ist.
Ja, in der Tat!
Ausgehend vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entfaltet sich die mittelbare Drittwirkung der Versammlungsfreiheit zwischen Privaten nach - nicht unwidersprochener - Rechtsprechung des BVerfG auch an solchen Orten, die vom privaten Grundstückseigentümer zum allgemeinen kommunikativen Verkehr eröffnet sind. Für den Schutz der Kommunikation ist der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz auch dann erforderlich, wenn Private die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation bereitstellen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren.
Der N-Platz ist für den Publikumsverkehr geöffnet. G ist dadurch zumindest mittelbar an Grundrechte gebunden.
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St1gmata
28.11.2019, 14:48:21
Wieso ist die rein privatrechtliche g mbh hier Grundrechtsgebunden. In wiefern wird im wege der Auslegung beim Hausverbot die Versammlubgsfreiheit eingestellt ? Denn nur so kann ja die mittelbare Grundrechtsbindung wirken ? Bei der
fraport entscheidung war die Ag von der öffebtlichen Hand beherscht hier ist jedoch eine reine privatrechtliche Person gebunden.
Lawlawlaw
10.12.2019, 22:14:10
Wendelin Neubert
3.1.2020, 19:29:28
TeamRahad 🧞
27.7.2020, 08:44:56
TeamRahad 🧞
27.7.2020, 08:44:03
@St1gmata vielleicht hast du dir ja die gleiche Frage wie ich gestellt, nämlich über welche Generalklausel (§§ 242 / 138 / 826 / ... BGB) die Grundrechte hier mittelbare Anwendung finden. Mir persönlich erschließt sich das auch aus der zitierten Entscheidung selbst nicht ganz, das BVerfG spricht nur von den Grundrechten als "objektive Prinzipien", von Abwägung und praktischer Konkordanz und sagt, dass beide Seiten sich vor dem Zivilgericht auf ihre jeweilige Grundrechtsposition berufen können... Vielleicht liegt es einfach daran, dass es nur eine Eilentscheidung ist 🤷
Karolin H
15.9.2020, 11:18:36
Lukas_Mengestu
23.7.2021, 13:00:50
Julia G.
26.10.2020, 18:16:29
Mir ist ebenfalls nicht klar, wieso die private GmbH im vorliegenden Fall über mittelbare Drittwirkung das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auf ihrem Grundstück gewährleisten soll.
Lukas_Mengestu
23.7.2021, 13:07:08
jurafuchsles
8.12.2022, 12:27:24
NickFischer
25.5.2023, 14:44:13
Kann man in diesem Zusammenhang auch zusätzlich das Argument bringen, dass Eigentum gemäß Art. 14 II 1 verpflichtet, (sozusagen unter gewissen Voraussetzungen das Versammlungsrecht zu gewährleistungen)?
Nora Mommsen
27.5.2023, 09:39:18
TomBombadil
2.5.2024, 22:58:29
Hallihallo, ich meine, in meinem Kopf spukt noch eine Klausur rum, in der es um die Frage ging, ob Versammlungen auf Autobahnen zulässig sein können ... vielleicht wäre es möglich, hierzu auch eine Aufgabe zu erstellen. Vielen Dank! :)
Wurde in der Lösung eigentlich sehr gut erklärt. Lies sie dir nochmal durch.
Hallo St1gmata, in diesem Fall weitet das BVerfG seine Rechtsprechung zur MITTELBAREN Grundrechtsbindung aus: Die mittelbare Drittwirkung der Versammlungsfreiheit entfaltet sich zwischen Privaten auch an solchen Orten, die vom privaten Grundstückseigentümer zum ALLGEMEINEN KOMMUNIKATIVEN VERKEHR eröffnet sind, also die öffentlich zugänglich sind. Das BVerfG will Art. 8 Abs. 1 GG im öffentlichen Raum unabhängig von den Eigentumsverhältnissen schützen. Vgl. bitte auch das Urteil des BVerfG zu Stadionverboten (1 BvR 3080/09). Achtung, bitte nicht mit Fraport verwechseln: Bei Fraport bestand eine UNMITTELBARE Grundrechtsbindung, weil Fraport mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht (Art. 1 Abs. 3 GG). Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin von Jurafuchs
@St1gmata vielleicht hast du dir ja die gleiche Frage wie ich gestellt, nämlich über welche Generalklausel (§§ 242 / 138 / 826 / ... BGB) die Grundrechte hier mittelbare Anwendung finden. Mir persönlich erschließt sich das auch aus der zitierten Entscheidung selbst nicht ganz, das BVerfG spricht nur von den Grundrechten als "objektive Prinzipien", von Abwägung und praktischer Konkordanz und sagt, dass beide Seiten sich vor dem Zivilgericht auf ihre jeweilige Grundrechtsposition berufen können... Vielleicht liegt es einfach daran, dass es nur eine Eilentscheidung ist 🤷
Ich wäre auch nicht über eine Generalklausel gegangen sondern über die Einwirkung der Grundrechte in die allgemeinen Prinzipien des Zivilrechts, hier konkret die Eigentumsfreiheit. 1004, 862 BGB sind Konkretisierungen des Art. 14 GG. Daher müssen sie auch im Lichte der Grundrechte betrachtet werden und entsprechend teleologisch reduziert werden, wo sie in Grundrechte anderer unverhältnismäßig eingreifen.
Hallo ihr beiden, in der Tat geht das Bundesverfassungsgericht nicht explizit auf eine Generalklausel ein. Wie Karloin aber schon zutreffend ausgeführt hat, ist dies auch nicht zwingend notwendig. Die mittelbare Drittwiirkung der Grundrechte erfolgt zwar häufig über den Weg der Generalklauseln als besonders auslegungsbedürftige und - fähige Vorschriften ("Einfallstor"). Letztlich ist die Möglichkeit, die Grundrechte im Privatrechtsverkehr anzuwenden nicht auf diese Generalklauseln beschränkt. Vielmehr können sämtliche auslegungsfähige Normen "Brückennormen" für den Einfluss der Grundrechte sein (vgl. hierzu auch den Aufsatz von de Wall/Wagner, Die sog. Drittwirkung der Grundrechte, JA 2011, 734). Insofern spielen die Grundrechte auch bei der Frage mit hinein, ob hier ein
Abwehranspruch des Eigentümers nach §§ 1004, 862 BGB besteht. Eine Bindung Privater durch die Grundrechte bestehe insoweit "jedenfalls dann, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat." Die identische Formulierung hatte das BVerfG schon im Fraport - Urteil verwendet.
Wie diese Kollision praktisch aufzulösen ist, hat das BVerfG im Ergebnis aber offenlassen können. Vielmehr hat es sich vor dem Hintergrund, dass es im Rahmen der Eilentscheidung nur eine Folgenabwägung zu treffen hatte, mit den konkreten Grundsätzen zur Auflösung explizit nicht auseinandergesetzt ("Nach welchen konkreten Grundsätzen diese Grundrechtskollision der Privaten [...] untereinander aufzulösen ist, kann folglich auch im Wege des Eilverfahrens nicht entschieden werden.)
Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Hallo Julia, das BVerfG hat insoweit entschieden, dass in Konstellationen, in denen der Private in tatsächlicher Hinsicht eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung wie der Staat ausübt, diesen auch vergleichbare Pflichten treffen. Eine solch vergleichbare Position hält es jedenfalls für gegeben, wenn der Private sein Eigentum für den Publikumsverkehr öffnet und damit ein öffentliches Forum schafft. Bei der Frage, inwieweit ein
Abwehranspruch nach §§ 1004, 862 BGB gegenüber den Versammlungsteilnehmern besteht, muss insoweit ausnahmsweise auch die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer berücksichtigt werden und insoweit die Kollision (Art. 14 vs. Art. 8 GG) im Wege der praktischen Konkordanz aufgelöst werden.
Welche Leitlinien bei der Auflösung dieser Kollision zum Tragen kommen, hat das BVerfG leider nicht vorgegeben. Bei der Entscheidung handelte es sich um eine Eilentscheidung, bei der letztlich nur die Folgen eines Verbotes mit den Folgen der Durchführung gegeneinander abgewogen worden waren.
Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Prüft man dann die Abwägung zwischen Art. 14 und Art. 8 GG in Dem Punkt keine Duldungspflicht iSd § 1004 II BGB? Oder an welchem Punkt der Prüfung kann man diese einbringen?
Hallo NickFischer, danke dir für die Anmerkung. Das ist genau die Quintessenz des Falls in anderen Worten zusammengefasst. Da der Platz für Publikumsverkehr allgemein geöffnet ist, kann die Eigentümerin nicht Versammlungen generell verbieten. Anders sieht das natürlich aus, wenn das Grundstück ausschließlich privat genutzt wird. Da kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieses für Versammlungen geöffnet werden muss. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
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