Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
Gestörte Gesamtschuld und das Familienprivileg
Gestörte Gesamtschuld und das Familienprivileg
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bei einem Autounfall im Jahre 2020 wird S verletzt. Fahrerin war seine Mutter M, Halterin seine Oma O. M, mit der S in häuslicher Gemeinschaft lebt, hatte den Unfall allein verursacht. Die Krankenversicherung K des S, die Leistungen erbracht hatte, will den Kfz-Haftpflichtversicherer V in Anspruch nehmen.
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Einordnung des Falls
Gestörte Gesamtschuld und das Familienprivileg
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. S steht ein Schadensersatzanspruch gegen O zu (§ 7 Abs. 1 StVG).
Genau, so ist das!
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2. S steht weiter ein Schadensersatzanspruch gegen M zu (§§ 18 Abs. 1 StVG; 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
3. O und M haften ggü. S als Gesamtschuldner, wobei M im Innenverhältnis zu O für die gesamten Unfallfolgen allein einzustehen hat.
Ja!
4. S kann ausschließlich O und M wegen Schadensersatz in Anspruch nehmen.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Dieser Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 VVG) ist akzessorisch zum jeweiligen Haftpflichtanspruch.
Ja, in der Tat!
6. Da die Krankenkasse im Jahr 2020 die Behandlungskosten von S übernommen hat, kann K von M Ersatz der Behandlungskosten verlangen (§§ 116 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 SGB X).
Nein!
7. Daher konnte nach damaliger Rechtslage auch der Anspruch des S gegen Ms Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 VVG) nicht geltend gemacht werden (§ 116 Abs. 1, Abs. 6 S. 1 SGB X).
Genau, so ist das!
8. Sind die Ansprüche des S gegen O (§ 7 Abs. 1 StVG) und gegen Os Haftpflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 VVG) auf K übergegangen (§ 116 Abs. 1 SGB X)?
Ja, in der Tat!
9. Allerdings kann die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld beschränkt sein.
Ja!
10. Nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld wäre daher eine Inanspruchnahme der O durch K (§§ 7 Abs. 1 StVG, 116 Abs. 1 SGB X) ausgeschlossen.
Genau, so ist das!
11. Aufgrund der Akzessorietät des Direktanspruchs kann K damit grundsätzlich auch ggü. der Haftpflichtversicherung der O keinen Anspruch geltend machen (§§ 115 Abs. 1 VVG, 116 Abs. 1 SGB X).
Ja, in der Tat!
12. Etwas anderes ergibt sich hier aber aus der Vorschrift des § 116 Abs. 1 VVG.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
karllarenz
20.9.2022, 08:43:57
Mich irritiert, dass ihr schreibt, der Anspruch des S gegen M sei wegen 116 VI 1 SGB X (nach alter Rechtslage) nicht übergegangen. Dem Wortlaut nach hindert die Norm nicht die Legalzession, sondern nur die Geltendmachung (!) des übergegangenen Anspruchs. Keine Ahnung, ob Rspr. und Lit. die Norm entgegen ihrem Wortlaut auslegen - aber falls dem so ist, wäre ein Hinweis hilfreich.
Nordisch
20.9.2022, 09:46:07
Ja, fand das auch sehr verwirrend. Vielleicht könntet ihr den Fall der aktuellen Rechtslage anpassen?
Lukas_Mengestu
20.9.2022, 10:23:08
Vielen Dank euch beiden! Wir haben die Aufgabe noch einmal präzisiert. In der Tat geht der Anspruch auch im Falle der Privilegierung des § 116 Abs. 6 SGB X über, kann von der Krankenversicherung aber nicht geltend gemacht werden. Durch die geänderte Rechtslage wurde nunmehr die
gestörte Gesamtschuldim Bereich des Straßenverkehrs aufgelöst. Denn da nach neuer Rechtslage auch gegen M bzw. die dahinterstehende Haftpflichtversicherung der Anspruch geltend gemacht werden kann, besteht bei Unfällen nach dem 31.12.2020 keine Störung mehr und dieser besondere Kniff entfällt. Wichtig ist insofern genau darauf zu achten, wann das Unfallereignis stattgefunden hat, denn für alle früheren Schadensereignisse gilt nach wie vor die alte Rechtslage (vgl. § 120 Abs. 1 S. 3 SGB X, wäre in der Klausur angegeben, wenn es darauf ankäme). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Michelle Ga
15.10.2022, 21:31:52
Ich denke, es wäre hilfreich bei der Frage, die das erste Mal auf das SGB eingeht, einen Hinweis einzufügen, dass es hier um die alte Rechtslage gehen soll. In dem Sachverhalt übersieht man schnell, dass der Unfall schon 2020 war und ich hatte um ehrlich zu sein, keine Ahnung, dass sich die Rechtslage geändert hatte. (Ich kannte nur die Neue)
Lukas_Mengestu
26.10.2022, 13:16:13
Vielen Dank für den Hinweis, Michelle! Wir haben die Jahreszahl nun noch besonders hervorgehoben, um hier die Aufmerksamkeit zu schärfen. Sollte man hier allerdings dann trotzdem noch falsch abbiegen, so bietet das unserer Auffassung nach zumindest noch Gelegenheit, sich intensiver mit der Gesetzesänderung zu befassen :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team