+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V geht mit Tochter T, für die er sorgeberechtigt ist, und seinem Hund spazieren. Plötzlich rennt der Hund los und spannt dadurch die Hundeleine, über die T stolpert und sich verletzt. V unterhält bei H eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. V tritt etwaige Ansprüche gegen H an T ab.
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Einordnung des Falls
Haftung der Eltern bei Verletzung ihres Kindes durch den eigenen Hund
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T kann nun auch von H Schadensersatz verlangen, wenn ihr ein Schadensersatzanspruch gegen V zusteht.
Ja, in der Tat!
Der Versicherungsgeber ist aus dem Versicherungsvertrag dazu verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Forderungen freizustellen, denen dieser infolge der Hundehaltung ausgesetzt ist. Damit der Versicherungsnehmer eine Forderung gegen den Versicherungsgeber an einen Dritten abtreten kann (§ 398 BGB), muss er sich also selbst gegenüber dem Dritten schadensersatzpflichtig gemacht haben.
Eigentlich verstößt eine solche Abtretung gegen § 399 BGB, weil der Anspruch des Versicherungsnehmer (hier: V) gegen den Versicherungsgeber (hier: H) auf Freistellung gerichtet ist und ein Freistellungsanspruch für den Dritten (hier: T) als Geschädigter keinen Sinn ergibt. In der Rechtsprechung ist es aber anerkannt, dass in dieser Konstellation die Abtretung trotzdem zulässig ist und sich der Freistellungsanspruch entgegen § 399 BGB automatisch in einen Zahlungsanspruch umwandelt (BGH, Beschl. v. 12.10.2011 – IV ZR 163/10).
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Nein!
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB sind: (1) Rechtsgutverletzung; (2) Verletzungshandlung; (3) „haftungsbegründende“ Kausalität (zwischen Verletzungshandlung und -erfolg); (4) Rechtswidrigkeit; (5) Verschulden; (6) Schaden; (7) „haftungsausfüllende“ Kausalität (zwischen Verletzungserfolg und Schaden).
Als Verletzungshandlung kommt nur eine Verkehrssicherungspflichtverletzung durch V in Betracht. Eine solche ist aber, zumal V den Hund angeleint hat, mindestens zweifelhaft. Jedenfalls wird man V kein Verschulden dafür anlasten können, dass sie T nicht gegen jedes denkbare Verhalten des Hundes abgesichert hat. 3. In Betracht kommt weiter ein Schadensersatzanspruch aus § 833 S. 1 BGB. Dieser ist nämlich verschuldensunabhängig.
Genau, so ist das!
Der Anspruch aus § 833 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Rechtsgutverletzung; (2) Verursachung durch ein Tier; (3) Verwirklichung einer spezifischen Tiergefahr; (4) kausaler Schaden; und (5) Haltereigenschaft des Schuldners. Ein Verschulden des Halters ist hingegen keine Anspruchsvoraussetzung. Es handelt sich also um einen Fall der Gefährdungshaftung.
4. Die in § 833 S. 1 BGB genannten Voraussetzungen sind erfüllt.
Ja, in der Tat!
Durch den Sturz sind Körper und Gesundheit der T verletzt. Diese Verletzung hat der Hund des V kausal verursacht, indem er sich in einer für Tiere typischen, unberechenbaren Weise verhalten hat (spezifische Tiergefahr). Dadurch ist T auch mindestens ein immaterieller Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB) entstanden. Auch ist V Halter des Hundes.
5. Allerdings kommt eine Haftungsbeschränkung nach § 1664 Abs. 1 BGB in Betracht. Diese gilt nämlich grundsätzlich auch für verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlagen.
Ja!
Gemäß § 1664 Abs. 1 BGB haben Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Dies führt in der Regel dazu, dass Eltern bei der Ausübung ihrer elterlichen Sorge nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften (§ 277 BGB). BGH: Der Wortlaut der Norm sowie ihr Sinn und Zweck – Schutz des Familienfriedens – geböten es, sie auch auf verschuldensunabhängige deliktische Anspruchsgrundlagen wie § 833 BGB anzuwenden (RdNr. 8).
6. Der Anwendungsbereich des § 1664 Abs. 1 BGB – Ausübung der elterlichen Sorge – ist vorliegend auch eröffnet.
Genau, so ist das!
BGH: § 1664 Abs. 1 BGB gelte auch im Rahmen deliktischer Verhaltenspflichten, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgingen (RdNr. 8).
V ist mit T gemeinsam spazieren gegangen; dies ist gerade eine typische Ausübung der elterlichen Sorge. Seine in diesem Zusammenhang bestehenden deliktischen Verhaltenspflichten sind damit der elterlichen Sorge unmittelbar zuzuordnen und gehen in ihr auf.
7. Von der Anwendung des § 1664 Abs. 1 BGB ist vorliegend aber abzusehen, weil V und T einvernehmlich gegen H – einen Dritten – vorgehen und deshalb kein Familienkonflikt droht.
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Der Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB hindere Haftungsansprüche bereits in ihrer Entstehung. Damit sei es unvereinbar, die Anwendung der Norm von später hinzutretenden, veränderlichen Begleitumständen abhängig zu machen. Es sei deshalb unerheblich, wenn sich die Familienmitglieder im Nachhinein einvernehmlich dazu entschlössen, ausschließlich gegenüber Dritten Ansprüche geltend zu machen (RdNr. 9).
8. Der Anwendung des § 1664 Abs. 1 BGB steht aber entgegen, dass die für die Hundehaltung geltenden Regelungen keinen Raum für individuelle Sorgfaltsmaßstäbe lassen.
Nein!
Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung für Schadensfälle im Straßenverkehr, da die besondere Gefährlichkeit des Straßenverkehrs keine personenbezogenen Minderungen der Sorgfaltspflichten zulasse (vgl. BGH NJW 1970, 1271). BGH: Es könne dahinstehen, ob dieser Grundsatz auch für die Hundehaltung gelte, da der Anspruch aus § 833 BGB schon von vornherein unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung bestehe.
9. T kann von H Schadensersatz verlangen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jede Haftung des V gegenüber T ist wegen § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Deshalb hatte sie auch keinen Freistellungsanspruch gegenüber H, den sie an T hätte abtreten können.
Geht es um die Haftung eines Kraftfahrzeughalters, kann der Geschädigte auch ohne Abtretung direkt gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters vorgehen (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG), weil die Kfz-Haftpflicht eine Pflichtversicherung nach § 1 S. 1 PflVG ist. Aber auch dies ist natürlich nur dann möglich, wenn der Halter – anders als hier – dem Geschädigten gegenüber haftet.