Brand eines Kfz in einer Lagerhalle: Zurechnung der Betriebsgefahr?


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fahrzeughalter B hat einen Unfall. Sein beschädigtes Auto ist nicht mehr fahrbereit. B lässt es von K abschleppen. K bringt das Auto in ihre Lagerhalle. Es wird nicht mehr bewegt. Drei Tage später brennt das Auto aufgrund eines technischen Defekts. Dabei wird die Lagerhalle beschädigt.

Einordnung des Falls

Brand eines Kfz in einer Lagerhalle: Zurechnung der Betriebsgefahr?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schadensersatzhaftung eines Kfz-Halters ergibt sich aus § 18 Abs. 1 StVG.

Nein!

Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughalter ist § 7 Abs. 1 StVG. Ein Anspruch besteht unter folgenden Voraussetzungen: (1) Anspruchsgegner ist Fahrzeughalter eines Kfz; (2) Schutzgutverletzung; (3) beim Betrieb eines KfZ; (4) kein Ausschluss des Anspruchs (§§ 7, 17, 8 StVG); (5) Mitverschulden (§ 9 StVG) (6) ersatzfähiger Schaden (§§ 10ff. StVG, §§ 249ff. BGB). § 18 StVG normiert die Haftung des Fahrzeugführers zusätzlich zur Halterhaftung nach § 7 StVG.

2. Indem durch den Brand die Lagerhalle beschädigt worden ist, wurde ein Schutzgut der K verletzt (§ 7 Abs. 1 StVG).

Genau, so ist das!

Die Haftung des Halters nach § 7 Abs. 1 StVG setzt voraus, dass ein Mensch getötet, dessen Körper oder Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Erfasst werden demnach nur Personen- und Sachschäden. Hier wurde die Lagerhalle der K beschädigt. Damit wurde das Eigentum der K verletzt.

3. Selbst bei dem schwer beschädigten Auto handelt es sich noch um ein Kfz (§ 7 Abs. 1 StVG).

Ja, in der Tat!

Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein, als Kraftfahrzeuge. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt es sich auch bei schwer beschädigten sowie nicht mehr betriebsbereiten Fahrzeugen (noch) um Kraftfahrzeuge im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG (RdNr. 9). Es handelt sich folglich um ein Kfz im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG.

4. B haftet nach § 7 Abs. 1 StVG nur, wenn er den Brand verschuldet hat.

Nein!

Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist eine Gefährdungshaftung. Bei dieser Art der Haftung haftet der Schädiger verschuldensunabhängig für den Schadenserfolg, der sich aus einer erlaubten Gefahr (z.B. Betrieb einer gefährlichen Einrichtung, Halten eines Haustieres) ergeben hat. Ein Verschulden des B ist nicht erforderlich. In Klausuren sind die Normen aus der Gefährdungshaftung als „stärkste“ Anspruchsgrundlage daher zu Beginn zu prüfen. Für Verkehrsunfälle heißt das, dass §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG immer vor §§ 823 ff. BGB zu prüfen sind. Nach § 16 StVG sind die § 823 ff. BGB gerade nicht gesperrt. Beispiele für weitere Gefährdungshaftungen sind die Tierhalterhaftung (§ 833 S. 1 BGB) und die Produkthaftung (§ 1 Abs. 1 ProdHaftG).

5. Das Merkmal „bei Betrieb“ nach § 7 Abs. 1 StVG ist weit auszulegen.

Genau, so ist das!

Bei Betrieb eines Fahrzeuges hat sich der Unfall ereignet, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbunden ist. Die Rechtsprechung legt dieses Haftungsmerkmal weit aus. Ausreichend ist, dass bei einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das KfZ zumindest (mit-)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht.

6. Der Schaden ist „bei Betrieb“ entstanden, obwohl sich das Kfz zum Zeitpunkt der Brandentstehung weder in Bewegung noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden hat.

Ja, in der Tat!

Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Es reicht also aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kfz steht. Dies war hier der Fall, da der Brand durch einen Defekt an einer Betriebseinrichtung des Kfz ausgelöst wurde. BGH: Es mache keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wolle man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist (RdNr. 8).

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FML

FML

4.4.2021, 09:04:03

Würde die Haltereigenschaft bei einem irreparablen Totalschaden am KfZ entfallen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.4.2021, 09:40:14

Interessante Frage, im Ergebnis dürfte dies aber jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn das Fahrzeug auf einen entsorgungsunternehmer übereignet wird. Zudem wird man bei einem gänzlich zerstörten Fahrzeug Schwierigkeiten haben "bei Betrieb" anzunehmen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Ira

Ira

17.4.2021, 10:17:17

Ich war lange nicht mehr online. Hier hat sich viel getan, v.a. sind die Antworten viel anschaulicher dargestellt und in "Maßstab" und "Subsumtion" unterteilt. Loving it!

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

17.4.2021, 21:17:11

Hi Ira, klasse, vielen Dank für das Feedback! Freut uns sehr 🤩 Lieben Gruß, - Christian

QUIG

QuiGonTim

7.5.2021, 11:02:05

Wie ist der Begriff des Fahrzeugführers in 18 Abs. 1 StVG auszulegen? Wird K durch das Abschleppen des Auto des B schon zum Fahrzeugführer? Wäre es in der Klausur sinnvoll, dies zu prüfen?

FML

FML

7.5.2021, 11:14:18

Fahrzeugführer ist derjenige, der das Kfz eigenverantwortlich in Betrieb setzt und es während der Fahrt leitet. Das ist bei einem Abschleppvorgang also nicht einschlägig.

Jeylastar

Jeylastar

19.7.2021, 16:02:13

Die Lagerhalle ist aber keine Sache im Sinne des § 90 BGB, wird der Sachbegriff im § 7 StVG weiter ausgelegt?

FML

FML

19.7.2021, 16:14:57

Eine Lagerhalle ist kein körperlicher Gegenstand?

Ferdinand

Ferdinand

20.7.2021, 09:25:22

Natürlich ist eine Lagerhalle eine Sache im Sinne von § 90 BGB und § 7 StVG - bloß keine bewegliche, was aber keine der beiden Vorschriften verlangt.

PPAA

Philipp Paasch

29.5.2022, 22:16:44

Liebes Jurafuchs-Team, danke für die Aufbereitung des Falls. Ich hatte es an anderer Stelle schonmal erwähnt und mit Quellen belegt: Das Eigentum ist kein Rechtsgut, sondern ein Recht. Zumindest im Zivilrecht ist dies ganz h.M. Vgl. insoweit auch § 823 Abs. 1 BGB "[...] das Eigentum oder ein anderes Recht [...]". LG :-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 20:48:55

Vielen Dank für den Hinweis, Philipp. In der Tat ist im Zivilrecht zwischen Rechtsgütern (Körper, Leben, Gesundheit, Freiheit...) und Eigentum als "Recht" zu differenzieren. Wir haben die Fragestellung insoweit etwas angepasst. Zu beachten ist aber, dass im Hinblick auf die Beschädigung der Sache nicht nur das Eigentum, sondern auch der berechtigte Besitz geschützt wird. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

15.6.2022, 22:30:07

Der berechtigte Besitz wird meines Wissens nach auch unter "sonstiges Recht" diskutiert, guter Punkt. 🤔

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

30.6.2022, 16:52:40

Wenn der Fahrzeughalter einen Unfall baut ("hat"), dann muss er zugleich Fahrzeugführer sein. Nach meiner Lesart hat die erste Antwort nur Sinn, wenn das Auto des B ohne sein Zutun beschädigt wird, aber dann von einem Unfall des B zu sprechen hat hinsichtlich Syntax und Semantik wenig Sinn.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.7.2022, 10:01:21

Hallo Rick-Dich, vielen Dank für Deinen Hinweis. Die erste Frage ist etwas tricky. Denn es handelt sich hier um eine abstrakte Rechtsfrage. Es geht hier also nicht um den konkreten Fahrzeughalter B, sondern generell um die Frage, wann Fahrzeughalter haften. Im konkreten Fall ist es natürlich so, dass B hier nicht nur Fahrzeughalter, sondern auch Fahrzeugführer ist. Insofern kommt auch eine Haftung aus § 18 StVG in Betracht. Da die Haftungsvoraussetzungen für § 7 Abs. 1 StVG aber geringer sind (kein Verschulden), prüft man aber auch in diesem Fall zunächst die Halterhaftung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Bubbles

Bubbles

14.11.2023, 11:27:49

Im Vertiefungshinweis der vierten Frage wird die Produkthaftung aus § 1 ProdHaftG als Produzentenhaftung bezeichnet. Die Produzentenhaftung wird jedoch in § 823 I BGB geprüft und ist keine Gefährdungshaftung (aber ggf. Beweislastumkehr)

LELEE

Leo Lee

19.11.2023, 11:02:22

Hallo Bubbles, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben dies nun entsprechend korrigiert :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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