Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Brand eines Kfz in einer Lagerhalle: Zurechnung der Betriebsgefahr?

Brand eines Kfz in einer Lagerhalle: Zurechnung der Betriebsgefahr?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fahrzeughalter B hat einen Unfall. Sein beschädigtes Auto ist nicht mehr fahrbereit. B lässt es von K abschleppen. K bringt das Auto in ihre Lagerhalle. Es wird nicht mehr bewegt. Drei Tage später brennt das Auto aufgrund eines technischen Defekts. Dabei wird die Lagerhalle beschädigt.

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Einordnung des Falls

Brand eines Kfz in einer Lagerhalle: Zurechnung der Betriebsgefahr?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Schadensersatzhaftung eines Kfz-Halters ergibt sich aus § 18 Abs. 1 StVG.

Nein!

Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughalter ist § 7 Abs. 1 StVG. Ein Anspruch besteht unter folgenden Voraussetzungen: (1) Anspruchsgegner ist Fahrzeughalter eines Kfz; (2) Schutzgutverletzung; (3) beim Betrieb eines KfZ; (4) kein Ausschluss des Anspruchs (§§ 7, 17, 8 StVG); (5) Mitverschulden (§ 9 StVG) (6) ersatzfähiger Schaden (§§ 10ff. StVG, §§ 249ff. BGB). § 18 StVG normiert die Haftung des Fahrzeugführers zusätzlich zur Halterhaftung nach § 7 StVG.
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2. Indem durch den Brand die Lagerhalle beschädigt worden ist, wurde ein Schutzgut der K verletzt (§ 7 Abs. 1 StVG).

Genau, so ist das!

Die Haftung des Halters nach § 7 Abs. 1 StVG setzt voraus, dass ein Mensch getötet, dessen Körper oder Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Erfasst werden demnach nur Personen- und Sachschäden. Hier wurde die Lagerhalle der K beschädigt. Damit wurde das Eigentum der K verletzt.

3. Selbst bei dem schwer beschädigten Auto handelt es sich noch um ein Kfz (§ 7 Abs. 1 StVG).

Ja, in der Tat!

Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein, als Kraftfahrzeuge. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt es sich auch bei schwer beschädigten sowie nicht mehr betriebsbereiten Fahrzeugen (noch) um Kraftfahrzeuge im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG (RdNr. 9). Es handelt sich folglich um ein Kfz im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG.

4. B haftet nach § 7 Abs. 1 StVG nur, wenn er den Brand verschuldet hat.

Nein!

Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist eine Gefährdungshaftung. Bei dieser Art der Haftung haftet der Schädiger verschuldensunabhängig für den Schadenserfolg, der sich aus einer erlaubten Gefahr (z.B. Betrieb einer gefährlichen Einrichtung, Halten eines Haustieres) ergeben hat. Ein Verschulden des B ist nicht erforderlich. In Klausuren sind die Normen aus der Gefährdungshaftung als „stärkste“ Anspruchsgrundlage daher zu Beginn zu prüfen. Für Verkehrsunfälle heißt das, dass §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG immer vor §§ 823 ff. BGB zu prüfen sind. Nach § 16 StVG sind die § 823 ff. BGB gerade nicht gesperrt. Beispiele für weitere Gefährdungshaftungen sind die Tierhalterhaftung (§ 833 S. 1 BGB) und die Produkthaftung (§ 1 Abs. 1 ProdHaftG).

5. Das Merkmal „bei Betrieb“ nach § 7 Abs. 1 StVG ist weit auszulegen.

Genau, so ist das!

Bei Betrieb eines Fahrzeuges hat sich der Unfall ereignet, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbunden ist. Die Rechtsprechung legt dieses Haftungsmerkmal weit aus. Ausreichend ist, dass bei einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das KfZ zumindest (mit-)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht.

6. Der Schaden ist „bei Betrieb“ entstanden, obwohl sich das Kfz zum Zeitpunkt der Brandentstehung weder in Bewegung noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden hat.

Ja, in der Tat!

Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Es reicht also aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kfz steht. Dies war hier der Fall, da der Brand durch einen Defekt an einer Betriebseinrichtung des Kfz ausgelöst wurde. BGH: Es mache keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wolle man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist (RdNr. 8).
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