Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Abdrängende Sonderzuweisungen bei doppelfunktionalen Maßnahmen


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Klassisches Klausurproblem

In der Stadt S findet ein Antiken-Festival statt. In dessen Schatten soll ein großer Deal mit gefährlichen Drogen stattfinden, den die Polizei unterbinden möchte. Polizist P durchsucht die Anreisenden daraufhin, darunter A, der kein Rauschgift bei sich führt. A findet Ps Verhalten rechtswidrig.

Einordnung des Falls

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO): Abdrängende Sonderzuweisungen bei doppelfunktionalen Maßnahmen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich und nichtverfassungsrechtlicher Art.

Ja!

Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich. Nach der Sonderrechtstheorie / modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die streitentscheidenden Normen einen Hoheitsträger einseitig berechtigen oder verpflichten. Die hier einschlägigen streitentscheidenden Normen sind solche des Polizei- und Ordnungsrechts sowie des Strafrechts, die Hoheitsträger einseitig berechtigen und verpflichten. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt somit vor. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art.

2. Ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich und nicht verfassungsrechtlicher Art, ist stets der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Verwaltungsrechtsweg ist für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist (sog. abdrängende Sonderzuweisungen) (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Wichtige abdrängende Sonderzuweisungen zum ordentlichen Rechtsweg sind § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 3 GG (Amtshaftung), § 23 EGGVG (Justizverwaltungsakte) und §§ 62 Abs. 1 S. 1, 67f. OWiG (Einspruch gegen Bußgeldbescheid). Liegt eine abdrängende Sonderzuweisung offensichtlich nicht vor, genügt die Feststellung, dass abdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind.

3. Bei doppelfunktionalen Maßnahmen richtet sich die Rechtswegzuständigkeit nach der Rechtsprechung des BVerwG nach dem Schwerpunkt der Maßnahme (sog. Schwerpunkttheorie).

Ja, in der Tat!

Nach st. Rspr. des BVerwG und wohl überwiegender Ansicht im Schrifttum bemisst sich die Rechtswegzuständigkeit bei doppelfunktionalen Maßnahmen danach, ob der Schwerpunkt der Maßnahme auf dem repressiven oder präventiven Handeln liegt. Ist die Maßnahme (eher) präventiv, richtet sich der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ist die Maßnahme (eher) repressiv, gilt die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG, wonach Maßnahmen von Justizbehörden dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen sind. Teile der Literatur räumen hinsichtlich des Rechtswegs bei doppelfunktionalen Maßnahmen dagegen ein Wahlrecht ein.

4. Die Durchsuchung des A durch P ist überwiegend repressiver Natur.

Nein!

Es lässt sich kaum eine Handlung der Polizei finden, die zu 100 % präventiver oder repressiver Art ist. Maßgeblich ist daher, wo der Schwerpunkt der Handlung liegt. Vorliegend möchte die Polizei primär den erwarteten großen Drogendeal unterbinden, statt bei Festivalbesuchern Verstöße gegen das BtMG festzustellen. Das Handeln der Polizei ist damit im Schwerpunkt präventiver Natur. Die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG findet keine Anwendung. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO).

5. Die Streitigkeit ist nach der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen, wenn P gegenüber A repressiv zur Verfolgung einer bestimmten Straftat handelte.

Genau, so ist das!

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art sind nach der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen, wenn die betreffende Maßnahme repressiv ist. Eine Durchsuchung kann präventiv (zur Gefahrenabwehr) (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG) oder repressiv (zur Strafverfolgung, Sicherung von Beweismitteln) erfolgen (vgl. § 163b Abs. 1 StPO). Ist eine polizeiliche Maßnahme - wie hier - sowohl präventiv (Verhinderung des Inverkehrbringens von Rauschgift) als auch repressiv (Beweissicherung für potenzielles Strafverfahren wegen BtMG-Verstoß), liegt eine sog. doppelfunktionale Maßnahme vor.

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H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

9.10.2020, 09:46:29

Was wäre, wenn A eine kleine Menge, sagen wir 2 Gramm Gras dabei gehabt hätte? Eine solche Menge dürfte bei einem großen Deal wohl kaum eine Rolle spielen. Wäre sie dann auch präventiv?

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

9.10.2020, 18:13:54

Ob oder inwiefern der A sich tatsächlich rechtswidrig verhalten hat spielt hier keine Rolle. Es kommt im hießigen Fall rein auf die objektive Betrachtung des Zwecks der Maßnahme an.

Natze

Natze

12.12.2023, 13:36:37

gehen wir jetzt von einem gewieften Klausurersteller in der öffRKlausur aus: was wäre in der Fülle der zu prüfenden Maßnamen auch repressive Maßnahmen festgestellt werden die Folge? fallen sie dann in der verwaltungsrechtlichen Klausur aus dem Prüfungsumfang raus (weil diese Streitigkeit an die ordentliche Gerichtsbarkeit verwiesen wird) oder wie verfährt man damit?

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

15.12.2023, 17:00:19

Hallo Natze, danke für deine Frage! In diesem Fall stellst Du in Deinem Gutachten fest, dass bezüglich des repressiven Teils der Maßnahme der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist. In Deinem weiteren Gutachten prüfst Du dann in der Tat nur bezüglich der präventiven Maßnahme weiter. Denn, wie du schon richtig sagst: Du schreibst eine Klausur im Verwaltungsrecht. :) Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen! Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

Natze

Natze

15.12.2023, 22:16:31

Vielen Dank, das hilft mir weiter! :)

Nocebo

Nocebo

31.5.2024, 10:26:08

Hier wäre vielleicht der Hinweis nützlich, dass im Zweifel aufgrund des Vorrangs der Gefahrenabwehr ein präventives Handeln vorliegt :) Das lässt sich in Klausuren auch immer gut verwenden.


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