Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 Abs. 1 EGGVG: Verständnis der Norm


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Klassisches Klausurproblem

Referendarin R nutzt zur Vorbereitung aufs Staatsexamen die öffentlich zugängliche Gerichtsbibliothek des Oberlandesgerichts. Als diese wegen der Corona-Pandemie für den Publikumsverkehr geschlossen wird, klagt R auf Zugang zur Bibliothek vor dem OLG.

Einordnung des Falls

Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 Abs. 1 EGGVG: Verständnis der Norm

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die streitentscheidenden Normen sind solche des öffentlichen Rechts (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Ja!

Die Zwei-Stufen-Theorie unterscheidet bezüglich der streitentscheidenden Norm zwischen dem “Ob” (Zugang zur öffentlichen Einrichtung) und dem “Wie” (Modalitäten der Nutzung) des Begehrs. Die Stufe des "Ob" richtet sich stets nach öffentlich-rechtlichen Normen. Die Stufe des "Wie" kann sich sowohl nach öffentlich-rechtlichen Normen richten (bei Benutzungssatzung), als auch nach zivilrechtlichen Normen (AGB). Ansprüche auf Zugang zu einer Bibliothek, einer öffentlich-rechtlich konstituierten Einrichtung, sind somit stets öffentlich-rechtlicher Art.

2. Obwohl die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind und der Verwaltungsrechtsweg grundsätzlich eröffnet ist, könnte hier eine abdrängende Sonderzuweisung zu den ordentlichen Gerichten vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Verwaltungsrechtsweg ist für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist (sog. abdrängende Sonderzuweisungen) (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Wichtige abdrängende Sonderzuweisungen zum ordentlichen Rechtsweg sind § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 3 GG (Amtshaftung), § 23 EGGVG (Justizverwaltungsakte) und §§ 62 Abs 1 S. 1, 67f. OWiG (Einspruch gegen Bußgeldbescheid). Liegt eine abdrängende Sonderzuweisung offensichtlich nicht vor, genügt die Feststellung, dass abdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind.

3. Vorliegend greift hier die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG zum ordentlichen Rechtsweg, da das OLG für das bürgerliche Recht zuständig ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG entscheiden die ordentlichen Gerichte u.a. über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts. Hintergrund ist die besondere Sachnähe von ordentlichen Gerichten gegenüber Verwaltungsmaßnahmen auf den in § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG genannten Rechtsgebieten. Der Betrieb einer Gerichtsbibliothek und die Regelung ihres Zugangs für gerichtsfremde Personen stehen in keinem Zusammenhang mit den Rechtsgebieten des bürgerlichen Rechts i.S.d. § 23 EGGVG. Die Tatsache, dass es sich um die Bibliothek eines Gerichts des ordentlichen Rechtswegs handelt, ändert daran nichts.

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Rambo

Rambo

8.10.2023, 01:44:34

Hallo, sind Referendare nicht in der Regel verbeamtet? Dann würde hier eine

aufdrängende Sonderzuweisung

in Betracht kommen (§ 54 BeamStG). LG

Paulah

Paulah

8.10.2023, 13:25:52

Nach den Juristenausbildungsgesetzen sind Rechtsreferendare keine Beamten auf Widerruf mehr.

SE.

se.si.sc

8.10.2023, 18:30:39

Ausnahme seit diesem Jahr wieder Thüringen, dort grds Wahlrecht (§ 7 II ThürJAG).

Paulah

Paulah

8.10.2023, 22:44:03

Danke für den Hinweis se.si.sc!

JM

Johnny Monaco

13.11.2023, 10:07:50

In MV sind die verbeamtet…

AN

Ani

26.11.2023, 19:37:15

In Hessen ebenfalls

FAREF

faref

31.12.2023, 15:44:13

Hi, weshalb kann ich hier nicht einfach die Zwei Stufen Theorie anwenden? Der Zugang zu Bibliothek ist nach dem was ich erinnere, ein Teil der Leistungsverwaltung. Da hier um das „Ob“ des Zugangs gestritten wird, wäre ich so auch im Öffentlichen Recht

LEO

Leonie

14.1.2024, 13:31:15

Die Zwei-Stufen-Theorie wird in diesem Fall auch angewendet, allerdings an einem vorherigen Prüfungspunkt (wie du auch sagst: bei der Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt). Über die Bejahung des „Ob“ als öR Streitigkeit bejahen wir diesen Punkt. Die

abdrängende Sonderzuweisung

wird jedoch danach geprüft (wie auf der Fragekarte auch eingeleitet: trotz Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, könnte der Verwaltungsrechtsweg trotzdem nicht gegeben sein, WENN/SOBALD eine

abdrängende Sonderzuweisung

einschlägig ist.) Den Punkt prüfen wir hier vorliegend genauer. Du hast also mit deinen Ausführungen grds. Recht, trotzdem muss danach noch geschaut werden, ob das Gesetz nicht anderswo vorschreibt, dass trotz Vorliegen der Voraussetzungen von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, der ordentliche Gerichtsweg gegeben ist. Vlt. anschaulicher: I.

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

1.

Aufdrängende Sonderzuweisung

2. Generalklausel, § 40 I 1 VwGO a. öR-Streitigkeit b. nichtverfassungsR Art 3. Keine

abdrängende Sonderzuweisung

4. ZE: Verwaltungsrechtsweg eröffnet nach § 40 I 1 VwGO


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