Strafrecht

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Bayrisches Oberlandesgericht entscheidet: Containern strafbar? - Jurafuchs

Bayrisches Oberlandesgericht entscheidet: Containern strafbar? - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A wühlt in einem Supermarktcontainer nach weggeworfenem Essen.

Supermarktbetreiber S stellt einen verschlossenen Container auf seinem Gelände auf. Dort wirft er alle nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel hinein und lässt sie dann vom Entsorgungsunternehmen abholen. A bricht den Container auf, entnimmt einige Lebensmittel und nimmt sie mit nach Hause.

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Einordnung des Falls

Das Bayerische Oberlandesgericht bestätigte die Verurteilung von zwei Studentinnen wegen Diebstahls, nachdem sie weggeworfenes Essen aus einem verschlossenen Supermarktcontainer genommen hatten („Containern“). Zwar seien die Lebensmittel ausgesondert worden, um sie entsorgen zu lassen. Dadurch habe der Supermarkt das Eigentum aber nicht aufgegeben. Die Supermärkte hätten nämlich kein Interesse daran, für die gesundheitliche Unbedenklichkeit zu haften. Damit sind weggeworfene Lebensmittel mit Kleiderspenden oder Sperrmüll gleichzusetzen. In solchen Fällen sollen die Sachen einer weiteren Verwendung zugeführt werden.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer BaWü 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Macht sich strafbar (Diebstahl, § 242 Abs. 1 StGB), wer einem anderen eine fremde, bewegliche Sache wegnimmt, um sie sich rechtswidrig zuzueignen?

Ja, in der Tat!

Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass jemand einem anderen eine (1) fremde, (2) bewegliche Sache (3) wegnimmt , um sie (4) sich oder einem anderen rechtswidrig zuzueignen. Eine Sache ist fremd, wenn sie (1) nach bürgerlichem Recht (auch) im Eigentum einer anderen Person steht und nicht herrenlos ist. Eine bewegliche Sache ist (2) ein körperlicher Gegenstand, der tatsächlich fortbewegt werden kann. Wegnahme meint, (3) den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams, wobei Gewahrsam die vom Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft ist.
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2. Sind die Lebensmittel in dem Müllcontainer bewegliche Sachen?

Ja!

Die nicht mehr verkäuflichen, eventuell auch schon verdorbenen, Lebensmittel sind körperliche Gegenstände, die tatsächlich fortbewegt werden können. Beim Diebstahl kommt es auf den wirtschaftlichen Wert der Sachen nicht an. Es ist also unerheblich, ob die Lebensmittel aufgrund des Verderbens noch einen Wert haben.

3. Sind die Lebensmittel sind für A fremd?

Genau, so ist das!

Eine Sache ist fremd, wenn sie (1) nach bürgerlichem Recht (auch) im Eigentum einer anderen Person steht und nicht herrenlos ist. Herrenlos ist eine Sache, wenn der Eigentümer den Besitz mit Verzichtswillen aufgibt. BayObLG: Die Lebensmittel ständen noch immer im Eigentum des S. Der Verzichtswille folge hier noch nicht aus dem bloßen Entsorgen der Lebensmittel im Müllcontainer. Gegen den Verzichtswillen spräche hier das Absperren des Containers auf dem eigenen Grundstück. Es läge außerdem kein Verzichtswille vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zugunsten einer bestimmten anderen Person (oder Organisation) aufgeben will (RdNr. 8ff.).

4. Hat A fremde, bewegliche Sachen weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Wegnahme ist, der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. S hatte noch immer die tatsächliche Sachherrschaft über die Lebensmittel, da der Müllcontainer auf seinem Grundstück stand. Er hatte auch den erforderlichen Beherrschungswillen, denn er wollte die Lebensmittel solange in seinem Gewahrsam halten, bis sie vom Entsorgungsunternehmen abgeholt würden. Diesen Gewahrsam hat A gebrochen, indem sie die Lebensmittel aus dem Container nahm und das Grundstück des S damit verließ.

5. Hat A sich wegen Diebstahls strafbar gemacht (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Ja!

A hat den objektiven Tatbestand des Diebstahls verwirklicht. Der Diebstahl erfordert im subjektiven Tatbestand neben dem Vorsatz noch die Zueignungsabsicht. Zueignungsabsicht bedeutet, dass der Täter die Sache wegnimmt, um sie dem anderen zu enteignen und sich selbst anzueignen. A entnahm die Lebensmittel zum Eigengebrauch aus dem Container und handelte somit sowohl vorsätzlich als auch mit Zueignungsabsicht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte handelte sie auch rechtswidrig und schuldhaft.

6. Hat A ein Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 StGB erfüllt?

Genau, so ist das!

In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl anstatt mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Das Gesetz listet Regelbeispiele für besonders schwere Fälle auf. Nach § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt ein besonders schwerer Fall u.a. dann vor, wenn der Täter eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis gegen Wegnahme besonders gesichert ist. Der Müllcontainer war verschlossen, um die Lebensmittel vor Diebstahl zu schützen. Da jedoch nach § 243 Abs. 2 StGB ein besonders schwerer Diebstahl nach den § 243 Abs. 1 Nr. 1 - 6 StGB an geringwertigen Sachen (Grenze: 25 €, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 243 Rn. 24f.) nicht in Betracht kommt und das Diebesgut hier keinen Verkaufswert hatte, hat A keinen besonders schweren Fall des Diebstahls begangen.

7. Stellt die Verurteilung der A wegen Diebstahls einen verfassungswidrigen Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar (Art. 2 Abs. 1 GG)?

Nein, das trifft nicht zu!

BVerfG: Die A werde durch die Verurteilung zwar in ihrer allg. Handlungsfreiheit eingeschränkt, dies sei jedoch gerechtfertigt und verhältnismäßig, da es Sache des Gesetzgebers sei, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen und dadurch den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG sicherzustellen. Selbst wenn das Strafrecht im Hinblick auf die Staatszielbestimmung des Schutzes natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) geändert werden könnte, sei dies für die jetzige Bewertung der Verfassungswidrigkeit irrelevant, denn das BVerfG prüfe nicht, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe (BVerfG, 3).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?

  1. Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
  2. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tatentschluss
      1. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Zueignungsabsicht
      3. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
    2. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld
  5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
    1. Kein Fehlschlag
    2. Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
    3. Freiwilligkeit

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