Strafrecht
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Entscheidungen von 2019
Bayrisches Oberlandesgericht entscheidet: Containern strafbar?
Bayrisches Oberlandesgericht entscheidet: Containern strafbar?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Supermarktbetreiber S stellt einen verschlossenen Container auf seinem Gelände auf. Dort wirft er alle nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel hinein und lässt sie dann vom Entsorgungsunternehmen abholen. A bricht den Container auf, entnimmt einige Lebensmittel und nimmt sie mit nach Hause.
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Einordnung des Falls
Das Bayerische Oberlandesgericht bestätigte die Verurteilung von zwei Studentinnen wegen Diebstahls, nachdem sie weggeworfenes Essen aus einem verschlossenen Supermarktcontainer genommen hatten („Containern“). Zwar seien die Lebensmittel ausgesondert worden, um sie entsorgen zu lassen. Dadurch habe der Supermarkt das Eigentum aber nicht aufgegeben. Die Supermärkte hätten nämlich kein Interesse daran, für die gesundheitliche Unbedenklichkeit zu haften. Damit sind weggeworfene Lebensmittel mit Kleiderspenden oder Sperrmüll gleichzusetzen. In solchen Fällen sollen die Sachen einer weiteren Verwendung zugeführt werden.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Macht sich strafbar (Diebstahl, § 242 Abs. 1 StGB), wer einem anderen eine fremde, bewegliche Sache wegnimmt, um sie sich rechtswidrig zuzueignen?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Sind die Lebensmittel in dem Müllcontainer bewegliche Sachen?
Ja!
3. Sind die Lebensmittel sind für A fremd?
Genau, so ist das!
4. Hat A fremde, bewegliche Sachen weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
5. Hat A sich wegen Diebstahls strafbar gemacht (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Ja!
6. Hat A ein Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 StGB erfüllt?
Genau, so ist das!
7. Stellt die Verurteilung der A wegen Diebstahls einen verfassungswidrigen Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar (Art. 2 Abs. 1 GG)?
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?
- Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
- Tatbestandsmäßigkeit
- Tatentschluss
- Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
- Zueignungsabsicht
- Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
- Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
- Tatentschluss
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
- Kein Fehlschlag
- Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
- Freiwilligkeit
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
lucylawless
29.1.2021, 18:28:45
Wegen des geringen Wertes der Lebensmittel verwirklicht die Täterin doch gerade kein Regelbeispiel oder verstehe ich das falsch?
Tr(u)mpeltier junior
6.2.2021, 18:34:46
Die Frage ist etwas tricky gestellt. Denn ein regelbeispiel nach Abs. 1 ist verwirklicht, deswegen lautet die Antwort zurecht "stimmt". Die Verwirklichung des regelbeispiels führt aufgrund des geringen Wertes der Sachen im Ergebnis ausnahmsweise gem Abs 2 nicht zu einer strafschärfung.
Tr(u)mpeltier junior
6.2.2021, 18:36:15
Deswegen kam dir die Antwort vllt auf den ersten Blick falsch vor :)
Eigentum verpflichtet 🏔️
9.2.2021, 23:14:22
So ist es TJ! Haben wir auch am Ende der jeweiligen Erklärung ausgeführt :)
chuck lawris
7.3.2022, 07:46:30
Gibt es denn überzeugende rechtliche Gründe für eine Entscheidung gegen das OLG? Wenn man es sauber durchsubsumiert, kann man mE auf kein anderes Ergebnis kommen, es sei denn, man fängt an, mit "Billigkeit" oder so etwas herumzuwurschteln. Bei mir türmt sich zumindest nur das Gefühl von schreiender Ungerechtigkeit auf, aber methodisch ist das doch alles sauber?
Lukas_Mengestu
7.3.2022, 10:33:09
Hallo chuck lawris, in der Tat ist es hier schwierig zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Den besten Anknüpfungspunkt bietet dabei ein großzügiger Umgang mit der Herrenlosigkeit und des Besitzaufgabewillens. Aber in Konstellationen wie hier (abgeschlossener Behälter, Container auf dem Betriebsgelände, Entsorgungsunternehmen) erscheint ein anderes Ergebnis in der Tat schwer begründbar. Auch vor dem BVerfG sind die Studentinnen letztlich gescheitert (BVerfG NStZ 2021, 483). Letztlich wäre es insofern Sache des Gesetzgebers hierfür Ausnahmetatbestände zu schaffen oder generell die Supermarktbetreiber in die Pflicht zu nehmen, aktiv etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu unternehmen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Patrick
14.4.2022, 14:29:06
In solchen Fällen fällt die Beantwortung der Umfrage nicht leicht. Rein rechtlich gesehen hat das Gericht m.E. richtig entschieden. Moralisch/Politisch gesehen stehe ich auf der anderen Seite. Da Politik aber Aufgabe der Legislative und Exekutive ist und nicht der Judikative, befand ich die gerichtliche Entscheidung letztlich für richtig.
Edward Hopper
3.4.2023, 18:48:16
Wieso ging das zum OLG, Rechtslage ist doch ziemlich obvious?
se.si.sc
3.4.2023, 22:18:52
Letztlich musst du das den Verurteilten und seinen Verteidiger fragen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die erhebliche Diskussion, die der Fall in der Fachwelt und auch der allgemeinen Öffentlichkeit mit sich gebracht hat, dazu beigetragen hat. Immerhin war der Diebstahl hier ja "gut gemeint" und man wollte vielleicht deshalb die Sache im Wege der Sprunrevision rechtlich erneut klären lassen.
Edward Hopper
12.4.2023, 21:43:11
Ist schon cringe zu meinen, dass das Ergebnis bei eindeutiger Rechtslage eine Instanz höher anders ausfallen werde nur weil es "gut gemeint" war.
se.si.sc
14.4.2023, 19:39:03
"Gut gemeint" war die dahinter stehende moralische Überzeugung; "Diebstahl" von weggeworfenen Lebensmitteln sollte halt nach Überzeugung er Angeklagten (es waren wohl m
ehrere) nicht strafbar sein, deswegen gab es im Anschluss auch noch eine Gehörsrüge und man ging sogar bis vors BVerfG (beides ohne Erfolg). Rechtlich hat man das natürlich schon etwas sauberer aufgezogen: Konkret ging es um eine eventuelle
Dereliktionan den weggeworfenen Lebensmitteln und um das verfassungsrechtliche Argument der Sozialbindung des Eigentums nach Art 14 GG und das Zusammenspiel mit Art 20a GG. Ob man das Ergebnis vor diesem Hintergrund immer noch so offensichtlich findet, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Edward Hopper
27.4.2023, 18:48:47
an Gegenständen, die ein einem festen Behältnis, mit Schloss versehen, auf einem Privatgrundstück, mit einem Zaun umzäumt der wiederum selbst verschlossen war. Good Luck with that in court und Klausur
BenKenobi
25.5.2023, 17:54:49
Ich finde auch nicht, dass die verfassungsrechtliche Frage hinter der Reichweite von § 242 I StGB in diesem Fall so offensichtlich ist. Die einfachgesetzliche Rechtslage lässt m.E. nur schwer vertretbar eine andere Lösung zu. Wir haben aber wohl alle schon mal in einer Klausur ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit verworfen oder zumindest durch eine verdassungskonforme Auslegung korrigieren müssen. Den bedeutendsten Entscheidungen des BVerfG liegen bestimmt Beschwerdeführer zugrunde, die Mut zur Argumentation hatten. Die Frage, ob Lebensmittel derart verschwendet werden sollten, ist durchaus diskussionswürdig, wenn wir allerlei Fragen offensichtlich verwerfen würde, käme ja nichts zustande.
sina2211
7.7.2023, 23:34:08
Könnte man hier auch einen Notstand zumindest anprüfen? So wie es mittlerweile bei den Klimaaktivisten-Fällen gemacht wird.
Jurista
12.9.2023, 14:03:54
Wo und wie würde man in der Prüfung die allg. Handlungsfreiheit einbauen? Oder ist das nur etwas für das 2. StEx?
meentangled
9.1.2024, 20:42:39
Gute Frage, würde mich auch interessieren
Vanessa
15.1.2024, 08:51:12
Der Fall kam in einem Handlungsabschnitt genau so dran.
Lukas_Mengestu
15.2.2024, 16:22:48
Lieben Dank für den Hinweis, Vanessa!