Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Zueignungsabsicht bei falscher Vorstellung über Beute
Zueignungsabsicht bei falscher Vorstellung über Beute
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T entwendet die geschlossene Schmuckschatulle der O. Er glaubt, darin befinde sich wertvoller Schmuck. Später öffnet er die Schatulle und stellt fest, dass sich darin nur wertloser Modeschmuck befindet. Daraufhin wirft er die Schatulle und den Modeschmuck weg.
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Einordnung des Falls
Der BGH entscheidet hier über die Zueignungsabsicht im Falle eines Wohnungseinbruchsdiebstahls. Dem Täter war es bei einem Behältnis, das er im Rahmen des Diebstahls in seinen Gewahrsam gebracht hatte, gerade auf den vermeintlich wertvollen Inhalt angekommen. Als er feststellte, dass es sich nicht um den vorgestellten wertvollen Inhalt handelte, schmiss er diesen samt Behältnis weg. Hier fehle laut BGH die Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich wegen Diebstahls strafbar gemacht, wenn er mit Zueignungsabsicht gehandelt hat (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hätte T ohne Zueignungsabsicht gehandelt, wenn er von Anfang an geplant hätte, den Schmuck und die Schatulle wegzuwerfen?
Genau, so ist das!
3. Handelte T im Zeitpunkt der Wegnahme mit Zueignungsabsicht hinsichtlich der Schatulle und des Inhalts?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Hat T sich wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht (§§ 242 Abs. 2 StGB, 22 StGB)?
Ja!
5. Ist T durch das Wegwerfen der Schatulle und des Modeschmucks strafbefreiend vom Versuch des Diebstahls zurückgetreten (§ 24 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Ist der Versuch des Diebstahls strafbar (§§ 242 Abs. 2 StGB, 22 StGB)?
Genau, so ist das!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Нина
11.8.2020, 21:14:06
Ich verstehe nicht wieso, die
Zueignungsabsichtnicht vorliegt. Zum Zeitpunkt der Wegnahme, bei der
Tathandlung, wollte sich der T die Schatulle samt Inhalt aneignen und die O enteignen, dass er später feststellte, dass der Inhalt anders war, ist doch als
Motivirrtumunerheblich. Was verstehe ich falsch?
Elisabeth
20.8.2020, 10:41:24
Ich glaube es ist einfach die Rechtsprechung des BGH, der das eben anders sieht, nämlich wenn ich meine
Enteignungs- und
Zueignungsabsichtauf eine nicht vorhandene Sache beziehe, habe ich keine Absicht in Bezug auf das tatsächlich vorhandene. Der BGH sagt quasi das ist gerade kein
Motivirrtum. In Bezug auf die Schatulle wollte er sich diese nie Aneignen, auch nicht den Sachwert ( z.b. die Schatulle wäre ein werthaltiges Sammlerstücke). Kann man bestimmt kritisieren, ein Vorschlag an das Jura-Fuchs Team: Wie wäre es bei manchen kontroversen Entscheidungen in StrafR z.b. mit einem Voting am Ende, wer stimmt der BGH- Rechtsprechung zu, wer nicht? Es wäre bestimmt interessant und lustig ab und zu die Mehrheitsmeinungen in der App zu ermitteln ;)
Christian Leupold-Wendling
3.9.2020, 10:14:06
@Elisabeth, vielen Dank für den sehr interessanten Vorschlag! Das finden wir spannend. Und werden überlegen, ob und wie genau wir das umsetzen könnten. Tolle Idee! Wir sind immer dankbar für so kreative Vorschläge. Wir denken ohnehin seit einer Weile darüber nach, wie wir Kontroversen und streitige rechtliche Bewertungen stärker sichtbar machen können.
TeamRahad 🧞
12.3.2021, 18:43:53
Seltsam, ich war immer der Meinung, eine Versuchsstrafbarkeit würde das Fehlen eines OBJEKTIVEN Tatbestandsmerkmals voraussetzen und die subjektiven Merkmale dürften gerade nicht fehlen... Sieht der BGH wohl anders 🤷
Lukas_Mengestu
15.3.2021, 09:32:46
Hallo TeamRahad, die Linie des BGH ist im Falle der fehlenden
Zueignungsabsichtin der Tat etwas gewöhnungsbedürftig, da objektiv ja eine vollendete Wegnahme stattgefunden hat und dies auch vorsätzlich erfolgte. Dies umso mehr, als bei anderen Delikten die vorsätzliche Verwirklichung genügt. Schieße ich zB auf B und denke er wäre A, so stellt dies einen unbeachtlichen
Motivirrtumdar (
error in persona). Der entscheidende Unterschied zu diesem Fall ist indes, dass in dem Beispielsfall alle Tatbestandsmerkmale des § 212 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Dies ist hier im Falle des §
242 StGBnicht der Fall, da neben den obj. Tatbetsand eben auch noch die
Zueignungsabsichttritt. Insofern müsstest Du Deine Eselsbrücke in der Tat anpassen :) Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team
TeamRahad 🧞
15.3.2021, 10:32:26
Hey Lukas, danke für deine Antwort. Dass es zur Vollendung die
Zueignungsabsichtals
überschießende Innentendenzbraucht, war mir schon bewusst. Meine "Eselsbrücke" ist die Definition aus dem Vorlesungsskript (hatte extra nochmal nachgeschaut), die mir noch nie als falsch angestrichen wurde. Trotzdem verwenden der BGH und der Fischer eben eine andere Definition, wieder was gelernt 🤷 BG
Lukas_Mengestu
16.3.2021, 11:01:13
Hi TeamRahad, in der Tat ist man wenn man dem BGH folgt in der Klausur und Praxis meist auf der sicheren Seite (auch wenn man sich das kritische Hinterfragen dennoch bewahren sollte). In unseren Fällen benutzen wir folgende Definition des Tatentschlusses: "Der Tatentschluss umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten
Vorsatzsowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale". Damit hast Du dann auch die
Zueignungsabsichterfasst :-). Beste Grüße, Lukas
TeamRahad 🧞
16.3.2021, 13:04:45
Hi Lukas, die von dir genannte Definition von Tatenschluss kenne und verwende ich auch. Das meinte ich in meinem ersten Kommentar damit, dass die subjektiven Elemente gerade nicht fehlen dürfen. Deswegen finde ich es ja problematisch, den Versuch bei fehlender
Zueignungsabsichtzu bejahen. BG
Lukas_Mengestu
16.3.2021, 17:33:06
:D sry, da hab ich dich wohl missverstanden. Der entscheidende Punkt ist hier, dass
Zueignungsabsichtnur bzgl. des wertlosen Inhalts und der Schatulle fehlt. Insofern scheitert der vollendete Diebstahl. Das bedeutet aber nicht, dass T überhaupt keine
Zueignungsabsichtzum Zeitpunkt der Wegnahme hatte. Diese bezog sich nur eben nicht auf den wertlosen Inhalt, sondern auf den werthaltiigen. Insofern bleibt es bei der von dir verwendeten Defintion :-)
TeamRahad 🧞
16.3.2021, 18:06:27
Ahh ok, das macht mehr Sinn! Danke 👍 :)
Eigentum verpflichtet 🏔️
17.3.2021, 10:44:36
Hey ihr beiden, stimme dir zu, TeamRahad. Ich habe fürs Erste Examen ebenfalls die Definition für die Nichtvollendung der Tat, in der Vorprüfung des Versuchs so gelernt. Also: Die Tat ist nichtvollendet, wenn irgendein objektives Tatbestandsmerkmal fehlt.
Eigentum verpflichtet 🏔️
17.3.2021, 10:54:49
In dem vorliegenden Fall hat der BGH wohl unsauber formuliert, aber angedeutet was er meint. Schauen wir in den Leitsatz: "(...) so kann er mangels
Zueignungsabsichtbezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden." Das legt den Schluss nahe, dass hier mangels
Zueignungsabsichtder Versuch nichtvollendet ist. Dies ist aber falsch! Man muss klar unterscheiden zwischen den 2
Tatobjekten. 1. Schatulle mit wertlosem Inhalt. 2. Schatulle mit (vorgestelltem) wertvollen Inhalt.
Eigentum verpflichtet 🏔️
17.3.2021, 10:57:44
Bezüglich 1. der Schatulle mit wertlosem Inhalt hatte T keine
Zueignungsabsicht(er wollte die Schatulle und den wertlosen Inhalt sich nicht zueignen, sondern hat sie weggeworfen). Bezüglich dieses
Tatobjekts prüfen wir jetzt auch keinen Versuch! Das würde zu nichts führen, da wir hier ebenfalls im Tatentschluss mangels
Zueignungsabsichtscheitern würden.
Eigentum verpflichtet 🏔️
17.3.2021, 11:03:07
Aber bezüglich 2. der Schatulle mit (vorgestelltem) wertvollem Inhalt prüfen und bejahen wir jetzt den Versuch. Casus knacksus hier: Es fehlt tatsächlich ein objektives Tatbestandsmerkmal, nämlich: Die Wegnahme! Denn eine Schatulle mit wertvollem Inhalt hat T nicht weggenommen. Das deutet der BGH übrigens mit dem "(fehlgeschlagenen)" an. Der Versuch bzgl. der Schatulle mit wertvollem Inhalt ist nämlich fehlgeschlagen. Hinsichtlich
Tatobjekt2. liegt natürlich auch
Zueignungsabsichtvor. Hoffe es ist jetzt klarer. Ich werde das in unserer Aufgabe später nochmal präzisieren. LG Eigentum verpflichtet
TeamRahad 🧞
17.3.2021, 13:28:27
Hallo Eigentum verpflichtet, danke für die nochmal ausführlichere Erklärung zur Antwort von Tr(u)mpeltweet :) LG
G0d0fMischief
20.7.2024, 10:07:24
Beachte: Vorliegend kommt zunächst ein vollendeter Diebstahl in Betracht, dieser scheitert aber daran, dass die Schatulle und ihr Inhalt wertlos sind. Ein
versuchter Diebstahlhinsichtlich dieses
Tatobjektes kommt nicht in Betracht, da es hier bereits am Tatentschluss des Täters fehlt! ABER es kommt ein
versuchter Diebstahlim Bezug auf die Wegnahme einer Schatulle mit WERTVOLLEM Inhalt in Betracht. Zu diesem hatte T Tatentschluss und auch – durch Wegnahme der wertlosen Schatulle – nach seiner Vorstellung unmittelbar angesetzt. Es kommt hier also auch nur zur Verwertung eines
Vorsatzes für die Versuchsstrafbarkeit. Lässt sich das so richtig feststellen? Im Endeffekt entspricht das schon dem was hier steht, ich wollte es nur für meine persönlichen Notizen herunterbrechen. Finde die Fälle in denen der Täter über den Wert das
Tatobjektes irrt besonders "tricky". Kurze Verständnisfrage auch an dieser Stelle: § 16 I 1 StGB dürfte könnte hier doch mitzitiert werden oder? Denn die
Zueignungsabsichtgehört ja zum gesetzlichen Tatbestand.