Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Strafrechtsklassiker: Lebensmittelerpresser-Fall
Strafrechtsklassiker: Lebensmittelerpresser-Fall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T vergiftet fünf Gläser Babynahrung und verteilt sie in fünf Märkten, wobei er den Tod von Babys billigend in Kauf nimmt. Ohne den genauen Standort zu nennen, teilt er dies den Konzernen mit und droht, er werde dies wieder tun, wenn er nicht €11,75 Mio. bekäme. Die Gläser werden gefunden.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Der Lebensmittelerpresser-Fall ist ein Strafrecht-Klassiker. Der Täter vergiftete fünf Gläser Babynahrung und stellte sie auf Ladenregale. Um Geld zu erpressen, schickte er später anonyme E-Mails, die vor den vergifteten Gläsern warnten, ohne die genauen Standorte zu nennen. Die Gläser wurden gefunden und entfernt, bevor Schaden entstand. Hier ist problematisch, ob der Täter bereits unmittelbar zur Tat angesetzt hatte. Es handelt sich hier um einen Fall der mittelbaren Täterschaft, da der Täter vorhatte, die Eltern der Kinder als dolose Werkzeuge dazwischenzuschalten. Maßgeblich für die Beurteilung ist die herrschende Entlassungsformel.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich wegen „vollendeten Totschlags" (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er die vergifteten Gläser verteilte?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T nach allen Ansichten zur Tatbestandsverwirklichung „unmittelbar angesetzt" (§ 22 StGB), weil Babys bereits konkret gefährdet waren?
Nein!
3. Hat T nach der „modifizierten Entlassungsformel der Rspr." zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Richtet sich vorliegend der „strafbefreiende Rücktritt vom Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB" (sog. Rücktritt vom unbeendeten Versuch)?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Genügt den „Anforderungen an die Tatverhinderung" (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB), dass T den Konzernen mitteilte, vergiftete Babynahrung platziert zu haben?
Ja!
6. Hätte T für einen wirksamen Rücktritt seine deliktische Absicht aber insgesamt aufgeben müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Hat T sich wegen „vollendeter" räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§§ 253 Abs. 1, 255, 251 StGB) strafbar gemacht, indem er die vergifteten Gläser verteilte und Geld forderte?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Besaß T „Tatentschluss" zu einer räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 253 Abs. 1, 255, 251 StGB)?
Ja!
9. Hat T sich wegen „Versuchs der räuberischen Erpressung mit versuchter Todesfolge" strafbar gemacht, da an den weiteren Voraussetzungen keine Zweifel bestehen?
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Hat T sich wegen „vollendeter" besonders schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er die vergifteten Gläser verteilte und Geld forderte?
Nein, das trifft nicht zu!
11. Liegt zumindest ein „Teil-Rücktritt von der Qualifikation" vor, obwohl ein Rücktritt von der versuchten räuberischen Erpressung ausscheidet?
Nein!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du den Rücktritt vom beendeten Versuch im Fall des § 24 Abs. 1 S. 2 StGB?
- Kein fehlgeschlagener Versuch
- Beendeter Versuch
- Keine Vollendung, ohne Zutun des Täters
- Rücktrittshandlung: Ernsthaftes Bemühen der Erfolgsabwendung (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB)
- Freiwilligkeit
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Luuuuuuzifer
24.10.2021, 15:43:42
Kam auch in der Examensprüfung in Berlin/Brandenburg im Oktober 2021 ran.
Lukas_Mengestu
25.10.2021, 11:06:54
Sehr cool, danke Dir!
デニス
17.3.2022, 15:03:13
Kam heute im Examen Baden-Württemberg :)
Wendelin Neubert
18.3.2022, 08:20:16
Danke untiringme für die Info! Hoffe du warst mit uns bestens vorbereitet! 😊 beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs Team
RedPrometheus
4.12.2022, 08:54:13
Kam auch letztes Jahr bei der mündlichen Prüfung in NDS dran
Lukas_Mengestu
5.12.2022, 11:26:31
Vielen Dank für den Hinweis, RedPrometheus!
🔥1312🔥
31.3.2023, 17:47:51
Irgendwie hab ich hier evtl. Einen Knoten im Kopf. Aber der Fall hat ja zwei verschiedene tatkomplexe: 1. Das verstecken der vergifteten Babynahrung (§§212,211) 2. Die Mails mit der Drohung (gleichzeitig rücktritt von den §§212,211). Die Erpressung findet ja durch dir Drohung mit dem verstecken weiterer vergifteter Nahrung statt. Für mich ergibt sich daraus jetzt aber nicht, dass der § 250 bzw. § 251 mit vom Tatentschluss umfasst sind. Die Drohung selbst kann ja erst bei einer entsprecheden Realisierung zu einer tatsächlichen Gefahr werden (worauf es ja im Rahmen der Drohung nicht ankommt -> "... Einfluss zu haben vorgibt..."). Für mich passt deshalb die Realisierung der Qualifikation durch dir Drohung nicht weil dabei entweder bereits abgeschlossene Handlungsaspekte (die versteckte Nahrung, die aber durch die Mails mit der Drohung ja auch gefunden werden können) und zukünftige ungewisse Handlungsaspekte (wird er beim ausbleiben der Zahlung tatsächlich erneut Gläser verstecken oder handelt es sich um eine "leere" Drohung). Ich hoffe es ist halbwegs verständlich und vielleicht kann mir irgendwer helfen diesen Knoten zu lösen?
🔥1312🔥
31.3.2023, 17:55:37
Sorry ist vielleicht bisschen durcheinander. Ich versuchs noch mal: wie kann man mit einer Drohung gleichzeitig den Tod eines anderen Menschen iSd. 251 leichtfertig in kauf nehmen? Die Drohung ist ja per Definition eine hypothetische Angelegenheit ("Drohung mit einer Gefahr") aber aus ihr ergibt sich ja erst mal noch nicht selbst eine Gefahr. Die tatsächliche Gefahr entsteht erst wenn der Täter erneut einen Tatenachluss bildet, die Drohung wahr zu machen. Erst dann, also nach der Bildung eines erneuten tatentschlusses bzgl. Der angedrohten Handlung, kann es doch überhaupt nur dazu kommen, dass der Tod eines Menschen verursacht wird. Aber das hat ja dann mit der ursprünglichen räuberischen Erpressung per drohnung nichts mehr zu tun.
Lukas_Mengestu
4.4.2023, 13:38:44
Hallo 🔥1312🔥, ich glaube, der Knackpunkt deines Knotens ist der Umstand, dass hier sich die Drohung nicht nur auf das Begehen zukünftiger Taten bezieht. Vielmehr wurde ganz konkret auch die akuten Gefahr durch die bereits verteilten Gläsern als Drohmittel verwendet. Die tatsächliche Gefahr wurde durch das Verteilen der Gläser und die Möglichkeit, dass Dritte diese erwerben also bereits geschaffen. Die Zahlung des Geldes hätte insoweit nicht nur weitere Taten verhindern, sondern auch dabei helfen sollen, die bereits verteilten Gläser aus dem Verkehr zu bringen. Insoweit handelt es sich hier nicht mehr um eine rein hypothetische Angelegenheit. Vielmehr war die unmittelbare Gefährdung Dritter Teil der Drohung und sollte nicht erst beim Scheitern der Erpressung (also wenn das Opfer sich weigert zu zahlen), eintreten. Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas