Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Paritätsgesetz Brandenburg verfassungswidrig
Paritätsgesetz Brandenburg verfassungswidrig
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
In Brandenburg sind die Kandidatenlisten bei Landtagswahlen durch die politischen Parteien abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen (sog. Paritätsgesetz), sonst werden sie zurückgewiesen. Die A-Partei hält dies für verfassungswidrig.
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Einordnung des Falls
Paritätsgesetz Brandenburg verfassungswidrig
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VerfGBbg) überprüft die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem gesamten Grundgesetz.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Freiheit der Wahl (Art. 22 Abs. 3 S. 1 LV) sichert die Ausübung des Wahlrechts gegen Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussungen von außen ab.
Ja!
3. Die Freiheit der Wahl beinhaltet auch ein freies Wahlvorschlagsrecht aller Wahlberechtigten und der politischen Parteien.
Genau, so ist das!
4. Politische Parteien haben eine umfassende Betätigungs-, Organisations- und Programmfreiheit (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 20 Abs. 1 LV).
Ja, in der Tat!
5. Das Paritätsgesetz ist ein Eingriff in die Wahlvorschlagsfreiheit sowie in die Parteienfreiheit der A-Partei.
Ja!
6. Art. 22 Abs. 5 S. 1 LV enthält einen Gesetzgebungsauftrag, der den Landesgesetzgeber ermächtigt, die Wahlrechtsgrundsätze auf Landesebene zu konkretisieren.
Genau, so ist das!
7. Die Beeinträchtigung der Wahlvorschlagsfreiheit kann durch den Vorbehalt in Art. 22 Abs. 5 S. 1 LV gerechtfertigt werden.
Nein, das trifft nicht zu!
8. Das Paritätsgesetz ist gerechtfertigt, weil dadurch der Charakter von Wahlen als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung gesichert wird.
Nein!
9. Die Beeinträchtigung der Wahlvorschlagsfreiheit und Parteienfreiheit kann jedoch durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.
Genau, so ist das!
10. Art. 12 Abs. 3 LV beinhaltet die staatliche Verpflichtung, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern und zu sichern.
Ja, in der Tat!
11. Die staatliche Gleichstellungsverpflichtung (Art. 12 Abs. 3 LV) rechtfertigt die Eingriffe, die mit dem Paritätsgesetz verbunden sind.
Nein!
12. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt die A-Partei auch in ihrem Recht auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG). Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist nicht ersichtlich.
Genau, so ist das!
13. Die Entscheidung des VerfGBbg steht im Einklang mit der Entscheidung des ThürVerfGH, der das Thüringer Paritätsgesetz im Juli 2020 für nichtig erklärt hat.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jenny Uni HH
3.11.2020, 14:54:13
Warum hattet ihr die integrationsAufgabe der Wahl angeführt? Ich meine da geht es um Wahlbeteiligung und Erfolgswert der Stimmen nicht aber um das passive Wahlrecht ?
Phil
10.5.2021, 21:58:40
Dieses Paritätsgesetz berührt doch aktives und passives Wahlrecht. Das passive Wahlrecht wird dadurch verletzt, dass der Staat von oben bestimmen würde, wie die Parteiliste auszusehen hat. Dadurch wird jemand, der kandidiert, staatlicherseits eine Restriktion auferlegt, da man ja dann u.U. wegen seines Geschlechts nicht mehr auf die Liste kommt. So meine Lesart.
Lukas_Mengestu
30.7.2021, 12:36:29
Hallo Jenny, unter der Integrationsaufgabe von Wahlen versteht man deren Funktion, politische Ströumungen und politische Kräfte im Volk im Parlament zur Geltung zu bringen. Wie Du schon zutreffend angemerkt hast, wird diese Aufgabe zB im Zusammenhang mit dem Erfolgswert der Stimmen herangezogen. Wir haben die Frage zur Integrationsaufgabe vor allem deshalb mit aufgenommen, da sich die Landesregierung zur Rechtfertigung des Gesetzes auf diese berufen hat. Insoweit hat sie ausgeführt, dass die Integrationsaufgabe auch beinhalte, dass ein möglichst pluralistisches Bild der Präferenzen und Perspektiven sowie der Interessen und Belange im Parlament vertreten sei. Das VerfG Brandenburg merkte diesbezüglich zunächst an, dass dieser Zweck im Gestzgebungsverfahren nicht angeführt wurde. Zudem hat es die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes in dem konkreten Fall schon vor dem Hintergrund abgelehnt, dass es sich bei der Gesamtheit der Frauen bzw. Männer keinesfalls um eine einheitliche politische Kraft handele, sondern auch innerhalb dieser Gruppen unterschiedliche politische Ansichten vorherrschen. Ferner führt es aus, dass der Gesetzgeber zwar verhindern müsse, dass gewichtige Anligen im Volk von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben. Daraus lasse sich aber kein Optimierungsgebot entnehmen, in diesen Prozess dadurch einzugreifen, dass die Integration bestimmter Gruppen und Perspektiven zulasten anderer Perspektiven bestonders gestärkt werden dürfen (Rdnr. 140). Aus diesem Grund findet die Integrationsaufgabe im Ergebnis hier keine Anwendung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Cecilie
9.6.2021, 10:47:32
Wie könnte der Fall in einer Klausur prozessual eingekleidet werden? Also welche wäre die statthafte verfahrensart? Normenkontrolle/ organstreit wenn es sich auf Bundesebene abspielen würde?
vodir
22.7.2021, 07:43:19
Würde auf eine abstrakte NK tippen :)
Lukas_Mengestu
30.7.2021, 12:14:51
Hallo ihr beiden, einschlägig wäre auch auf Bundesebene das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Parteien sind als "andere Beteiligte" insoweit antragsberechtigt. Eine abstrakte Normenkontrolle ist grundsätzlich zwar auch denkbar. Hier sind aber Parteien nicht beteiligungsfähig, sondern nur die Bundesregierung, die Landesregierung oder ein Viertel des Bundestages. Die klagende Partei wird indes häufig nicht genügend Mitglieder im Bundestag haben, um über ihre Mitglieder einen entsprechenden Antrag einzubringen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
2.4.2023, 06:26:10
Was ist den die Reißverschlussregelung? Und gilt die auch für die Bundestagswahl? Und noch eine Frage: Wie sieht es mit Quatenregelungen innerhalb von Parteien aus? Gibt es diesbezüglich Gerichtsentscheidungen? Also ob Parteienfunktionen paritätisch geregelt werden dürfen? Vielen Dank.
Lukas_Mengestu
4.4.2023, 14:46:01
Hallo Raphael, mit der Reißverschlussregel ist hier die Regelung gemeint, dass abwechselnd Männer und Frauen einziehen, wie bei einem Reißverschluss :-) Im Hinblick auf ihre interne Organisation müssen Parteien primär demokratisch organisiert sein (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG). Damit soll insbesondere ein transparenter und kontrollierbarer Willensbildungsprozess von unten nach oben gewährleistet werden. Nähere Vorgaben (Zahl der Vorstände, Häufigkeit von geheimen Wahlen..) macht das Parteiengesetz, das ber keine Regelungen verbietet, nach denen Parteifunktionen paritätisch besetzt sein müssen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team