+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bundesland L lädt zu einem Meinungswettbewerb für Lösungen für den angespannten Wohnungsmarkt. Teilnehmerin T malt ein komplexes Schaubild mit radikalen Vorschlägen. L meint, nur Äußerungen in Textform seien Meinungsäußerungen und lehnt Ts Beitrag ab.
Einordnung des Falls
Grundfall: Meinungsfreiheit als Meinungsäußerungsfreiheit 0
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Meinungsfreiheit als Meinungsäußerungsfreiheit schützt grundsätzlich jede Form der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung.
Genau, so ist das!
Einerseits schützt die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) die Vorbereitung der Meinungsbildung durch Information und die eigentliche Bildung sowie das "Haben" einer Meinung. Andererseits schützt sie die Äußerung und Verbreitung der Meinung. Insbesondere die Meinungsfreiheit als Meinungsäußerungsfreiheit entfaltet die konstitutive Wirkung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Grund: Das Partizipieren am öffentlichen Diskurs durch Äußern und Verbreiten von Meinungen ist zentraler Bestandteil des Gewährleistungsumfangs.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG soll die Meinungsfreiheit den "geistigen Kampf der Meinungen" gewährleisten.
2. Da T ihre Meinung in einem Schaubild und nicht schriftlich geäußert hat, fällt ihre Äußerung aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).
Nein, das trifft nicht zu!
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt ausdrücklich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten …“ Damit geht unmittelbar aus dem Verfassungstext hervor, dass die Meinungsfreiheit unabhängig von der Art und Weise der Meinungsäußerung und -verbreitung geschützt ist.
Ts Vorschläge zur Lösung des Problems der Wohnungsknappheit sind durch ein subjektives Element der Stellungnahme gekennzeichnet und deshalb Meinungen. Die Kundgabe in Form eines Schaubilds ist nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich geschützt.
Die Aufzählung der Kundgabemodalitäten in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Wort, Schrift, Bild) ist beispielhaft und nicht abschließend.