Fehlerhafte Prognose - Wiedereinstellung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Büromöbelhersteller H kündigt Mitarbeiterin M im Hinblick auf gesunkene Auftragszahlen und die hierdurch drohende, fehlende Beschäftigungsmöglichkeit der M. Nach Zugang der Kündigung und vor Ablauf der Kündigungsfrist erhält H einen Großauftrag. M klagt auf Wiedereinstellung. Das KSchG ist anwendbar und die Sozialauswahl erfolgte ordnungsgemäß.

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Einordnung des Falls

Fehlerhafte Prognose - Wiedereinstellung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung ist zum Zeitpunkt des Ausspruchs sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Nein!

Eine betriebsbedingte Kündigung ist sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn (1) eine unternehmerische Entscheidung wegen eines dringenden betrieblichen Grundes zum dauerhaften Wegfall des Arbeitsplatzes führt, (2) keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit oder sonstige mildere Mittel bestehen und (3) eine ordnungsgemäße Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) getroffen wurde. Durch den Auftragsrückgang liegt eine negative Zukunftsprognose dahingehend vor, dass die Beschäftigungsmöglichkeit des M dauerhaft wegfällt. Dies stellt einen dringenden betrieblichen Grund dar. Andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen nicht, die Sozialauswahl war ordnungsgemäß.
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2. Es ist für die Wirksamkeit der Kündigung unerheblich, dass H nach Zugang der Kündigung einen Großauftrag erhält, wodurch eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für M entsteht.

Genau, so ist das!

Für die Wirksamkeit der Kündigung ist der Zeitpunkt ihres Zugangs (§ 130 BGB) beim Arbeitnehmer maßgeblich. Der nachträgliche Wegfall des Kündigungsgrundes führt damit nicht zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs bestand kein Beschäftigungsbedarf. Erst danach hat sich die Prognose künftigen Beschäftigungsbedarf infolge des unerwarteten Großauftrags als fehlerhaft erwiesen. Die Gründe, welche die Kündigung gerechtfertigt hatten, sind somit erst nach Kündigungszugang weggefallen. Dies ändert nichts daran, dass die Kündigung zum maßgeblichen Zeitpunkt gerechtfertigt war. Somit ist für die Wirksamkeit der Kündigung unerheblich, dass durch den späteren Großauftrag unerwartet doch eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für M besteht.

3. Fällt der Kündigungsgrund nachträglich nach der Kündigung weg, haben Arbeitnehmer also keine Möglichkeit sich gegen die Kündigung zu wehren.

Nein, das trifft nicht zu!

Entfällt der Kündigungsgrund nach Zugang der Kündigung, wird zwar die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nicht berührt. Allerdings können solche Umstände einen Wiedereinstellungsanspruch gemäß § 242 BGB begründen. Denn vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers ist es, auf das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers am Bestand seines Arbeitsplatzes (Art. 12 GG) Rücksicht zu nehmen. Zudem reicht der Schutz über das KSchG nicht aus, da dieser auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs beschränkt ist. Voraussetzung für Wiedereinstellungsanspruch ist, dass (1) KSchG anwendbar ist, (2) sich die rechtfertigenden Umstände vor Ablauf der Kündigungsfrist ändern (denn nach Fristablauf enden vertragliche Pflichten des Arbeitgebers) und (3) keine berechtigten Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen (Interessenabwägung).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dogu

Dogu

16.2.2024, 13:18:56

Wieso wird dieser Fall anders gehandhabt als die Verdachtskündigung? Meiner Erinnerung nach hat das Arbeitsgericht in letzterem Fall zu berücksichtigen, ob sich der Verdacht bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nachträglich als unzutreffend herausstellt. In beiden Fällen erfolgt eine Kündigung auf unsicherer Grundlage, deren Unsicherheit sich durch Zeitablauf beseitigen (kann).

PAT

Patrick4219

29.2.2024, 20:31:01

Im Fall mit der Reinigungskraft, die aufgrund des ausgelaufenen Vertrages mit der Uni gekündigt wurde stellt sich die Situation grundlegend verschieden dar. Dort hat sich die AGin bereits um einen neuen Auftrag durch die Bewerbung auf die Ausschreibung bemüht. Ihr war es daher zuzumuten zumindest das Ende der Ausschreibung abzuwarten. Vorliegend wusste der AG nichts von dem später eintreffenden Großauftrag und konnte diesen daher nicht in seine Prognoseentscheidung einstellen. Zur Zeit der Kündigung musste er in anbetracht der zuvor gefallenen Auftragszahlen vielmehr von einem dauerhaften Aiftragsrückgang ausgehen. Maßgebliches Kriterium wäre somit etwas flapsig ausgedrückt, wie wahrscheinlich es ist, dass sich der Negativtrend der Aufträge stabilisiert, mithin die Sicherheit der Prognoseentscheidung.


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