§ 49 Abs. 1 VwVfG

19. Mai 2025

6 Kommentare

4,8(14.433 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Behörde B untersagt Immobilienmaklerin I die Ausübung ihres Gewerbes, weil I die erforderliche Erlaubnis fehlt. Der rechtmäßige Untersagungsbescheid wird bestandskräftig. I bittet B, den Bescheid aufzuheben, weil sie einen Antrag auf Erlaubnis gestellt hat, das Verfahren aber andauert.

Diesen Fall lösen 68,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

§ 49 Abs. 1 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es ist unmöglich, einen rechtmäßigen, bestandskräftigen Verwaltungsakt aufzuheben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Behörde kann einen rechtmäßigen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft aufheben (§ 49 VwVfG). Dies bezeichnet man als Widerruf (in Abgrenzung zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts). Das Gesetz stellt unterschiedliche Bedingungen für den Widerruf auf, abhängig davon, ob es sich um einen belastenden Verwaltungsakt (§ 49 Abs. 1 VwVfG) oder einen begünstigenden Verwaltungsakt (§ 49 Abs. 2 VwVfG bzw. § 49 Abs. 3 VwVfG) handelt. B könnte den rechtmäßig erlassenen Untersagungsbescheid grundsätzlich widerrufen, obwohl dieser bereits bestandskräftig ist.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Der Untersagungsbescheid ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Der Widerruf richtet sich nach § 49 Abs. 2 VwVfG.

Nein, das trifft nicht zu!

Möchte die Behörde einen rechtmäßigen, bestandskräftigen begünstigenden Verwaltungsakt widerrufen, so ist dies eine besonders hohe Belastung des Bürgers, der grundsätzlich auf den Fortbestand seiner Begünstigung vertrauen darf. Aus Gründen des Vertrauensschutzes enthalten § 49 Abs. 2 VwVfG und § 49 Abs. 3 VwVfG daher einschränkende Voraussetzungen für den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte. Ein begünstigender Verwaltungsakt liegt dann vor, wenn dieser dem Bürger einen (rechtlichen) Vorteil gewährt, also seinen Rechtskreis erweitert. Der Bescheid untersagt es I, ihr Gewerbe weiterhin auszuüben. Dieses Verbot schränkt Is Rechte ein. Es handelt sich um einen belastenden Verwaltungsakt.

3. Rechtmäßige, belastende Verwaltungsakte kann die Behörde gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG ausnahmslos widerrufen.

Nein!

Grundsätzlich kann die Behörde einen rechtmäßigen belastenden Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen (§ 49 Abs. 1 VwVfG). Ihr steht bei dieser Entscheidung ein grundsätzliches Ermessen zu. Dieses ist nur insoweit eingeschränkt, als dass der Verwaltungsakt nicht widerrufen werden kann, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist (§ 49 Abs. 1 Hs. 2 VwVfG). B kann die Untersagung widerrufen, sofern sie danach nicht einen Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen müsste oder der Widerruf aus anderen Gründen unzulässig ist.

4. B müsste nach einem Widerruf nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 S. 1 GewO der I erneut die Ausübung ihres Gewerbebetriebs untersagen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Widerruf käme nicht in Betracht, wenn die Behörde gesetzlich verpflichtet wäre, einen Verwaltungsakt mit gleichen Inhalt erneut zu erlassen. Denn dann wäre ein Widerruf sinnfrei und unökonomisch. Außerdem würde es auch der Rechtssicherheit und dem Vertrauen in die Verwaltung schaden, wenn der Bürger erst einen Widerruf erhält und sodann die widerrufene Entscheidung erneut ergeht. Ist ein gesetzlicher Tatbestand erfüllt, muss die Verwaltung handeln, sofern die Norm eine zwingende Rechtsfolge enthält (= gebundene Entscheidung). Ist dies nicht der Fall, kann die Behörde eine Ermessensentscheidung im Rahmen des vorgegebenen Handlungsspielraums treffen. Die Untersagung des Gewerbebetriebs nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO ist nach dem Wortlaut eine Ermessensvorschrift. Selbst, wenn I noch immer keine Erlaubnis für ihr Gewerbe hat, müsste die Behörde danach keine erneute Untersagung erlassen. Die Behörde könnte die Untersagung daher nach § 49 Abs. 1 VwVfG widerrufen. Ein Widerruf kann allerdings selbst dann ausgeschlossen sein, wenn eine Norm Ermessen vorsieht: bei einer Ermessensreduzierung auf Null. Zum gleichen Ergebnis kann intendiertes Ermessens (wie in § 15 Abs. 2 S. 1 GewO) führen.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jotus

3.12.2024, 16:01:20

§ 15 II 1 GewO ist zwar eine Ermessensentscheidung, aber es handelt es sich ja um einen Fall des intendierten Ermessens. Müsste dies nicht mit in die Wertung eingehen, sodass eine Untersagung zu erteilen ist oder liegen durch die Beantragung der Gewerbezulassung Umstände vor, die vom Normalfall abweichen?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

25.4.2025, 10:17:50

Hallo @[Jotus](244613), vielen Dank für Deinen guten Hinweis. Einen Fall des "wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste" iSd § 49 I VwVfG haben wir nur dann, wenn wir eine gebundene Entscheidung der Verwaltung haben, einschließlich des Falls der

Ermessensreduzierung auf Null

(Schoch/Schneider/Schoch, VerwR, Werkstand 5. EL Juli 2024, § 49 Rn 79). Selbst wenn der

Behörde

nur ein ganz enger Entscheidungsspielraum bleibt, ist ein Widerruf nach § 49 I VwVfG möglich (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, 10. Aufl 2023, § 49 Rn 23). Bei § 15 II 1 GewO und Fällen des intendierten Ermessens kann man darüber sicherlich nachdenken und wir haben jetzt einen entsprechenden Vertiefungshinweis aufgenommen. Ob wir wirklich eine gebundene Entscheidung haben, ist allerdings sehr einzelfallabhängig, insbesondere in Fällen wie unserem, in dem wir "nur" formelle, aber wohl keine materielle Illegalität haben (näher Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl 2020, § 15 Rn 27 ff). Wir wollen darauf an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingehen und haben deswegen die letzte Frage sprachlich angepasst, möchten es aber für den Moment dabei und bei dem kurzen Vertiefungshinweis belassen. Diesen Thread lassen wir gerne zur Erläuterung stehen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community