+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist in Niedersachsen mehrfach beim Fahren eines PKW ohne Fahrerlaubnis erwischt wurden. Um weitere Schwarzfahrten zu verhindern, ordnet die zuständige Polizeibehörde formell rechtmäßig nach § 16a Abs. 1 NPOG an, dass diese sich wöchentlich auf der Dienststelle melden muss. A will gerichtlich gegen die Auflage vorgehen.

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Einordnung des Falls

Anfechtungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage.

Ja!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines Verwaltungsakt begehrt (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). A begehrt die Aufhebung der Meldeauflage. Eine Meldeauflage ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG. A kann die Anfechtungsklage erheben.
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2. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und A in ihren subjektiven Rechten verletzt.

Genau, so ist das!

Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt auf (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Meldeauflage müsste rechtswidrig sein. Sie ist zwar laut Sachverhalt aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage formell rechtmäßig ergangen. Darüberhinaus müsste sie aber auch materiell rechtmäßig sein.

3. Der Tatbestand des § 16a Abs. 1 NPOG ist erfüllt.

Ja, in der Tat!

Die materielle Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahme setzt zunächst voraus, dass der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt ist. Nach der einschlägigen landesrechtlichen Norm - § 16a Abs. 1 NPOG - (vgl. auch Art. 16 Abs. 2 S. 2 PAG, § 11a SOG ) kann die Polizei eine Meldeauflage unter anderem dann anordnen, wenn wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Tatbestandlich muss also zunächst eine Gefahr bestehen. Es besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darin, dass A erneut ohne Fahrerlaubnis fahren könnte. Dies ist kein landesrechtliches Problem, die gewählte landesrechtliche Norm dient nur zur Verdeutlichung. In allen anderen Bundesländern gilt für die Parallalnormen Entsprechendes.Ob die Maßnahme zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist, ist eine Frage, die auf Rechtsfolgenseite geprüft wird.

4. Auf Rechtsfolgenseite scheitert die gerichtliche Überprüfbarkeit daran, dass das Gesetz ein Ermessen der Behörde vorsieht.

Nein!

Auch Ermessensentscheidungen müssen wegen des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes gerichtlich überprüfbar sein. Die gerichtliche Überprüfbarkeit unterscheidet sich allerdings von der Überprüfbarkeit gebundener Entscheidungen. Ermessensentscheidungen kann das Gericht nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern überprüfen. Liegen Ermessensfehler vor, so ist der Verwaltungsakt rechtswidrig und wird vom Gericht aufgehoben. Die Behörde kann dann eine neue (ermessensfehlerfreie) Entscheidung treffen. § 16a Abs. 1 NPOG räumt der Behörde auf Rechtsfolgenseite Ermessen ein („kann“). Hat die Polizei hier ermessensfehlerhaft gehandelt, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig und somit aufzuheben.

5. Die Polizei hat ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Wenn der Tatbestand erfüllt ist, muss noch geprüft werden, ob die Behörde die richtige Rechtsfolge gewählt hat. Handelt es sich um eine Ermessensnorm, kann das Handeln der Behörde nur auf Ermessensfehler überprüft werden. Ein Ermessensfehler liegt dann vor, wenn die Maßnahme nicht verhältnismäßig ist. Dies ist in § 16a Abs. 1 NPOG auch ausdrücklich mit dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ angelegt. Die Maßnahme ist hier schon nicht verhältnismäßig, weil das gewählte Mittel der Meldeauflage völlig ungeeignet ist, um den legitimen Zweck der Gefahrenabwehr zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, wie das wöchentliche Erscheinen der A auf der Dienststelle sie davon abbringen soll, ohne Fahrerlaubnis zu fahren. Die Meldeauflage ist (materiell) rechtswidrig.

6. A ist durch die rechtswidrige Meldeauflage auch in ihren Rechten verletzt. Das Gericht wird den Verwaltungsakt aufheben.

Ja, in der Tat!

Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt auf (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Der rechtswidrige Verwaltungsakt verletzt A als Adressatin zumindest in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das Gericht wird die Meldeauflage aufheben. Eine Aufhebung steht einer erneuten Bescheidung der A unter Einhaltung der Ermessensgrenzen jedoch nicht entgegen. Die Polizei kann also eine andere, verhältnismäßige Maßnahmen gegenüber A treffen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LUI

Luise

28.1.2023, 09:33:26

Könnt Ihr die einschlägigen Normen bitte ggf. mit abdrucken?

FAREF

faref

29.8.2023, 18:48:00

Kann man die Verhältnismäßigkeit nicht auch iRd Ermessensüberschreitung prüfen ? Ich meine das in Bayern so gelernt zu haben...

PAT

Patrick4219

3.2.2024, 13:03:16

Hier gibt es viele Möglichkeiten an welcher Stelle man die Verhältnismäßigkeitsprpfung einbauen kann. Teilweise wird diese im Rahmen des Ermessen (Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch) geprüft, teilweise jedoch auch als gesonderter Prüfungspunkt nach dem Ermessen. Wichtig ist lediglich, die Verhältnismäßigkeitsprpfung auf der Rechtsfolgenseite vorzunehmen.

CR7

CR7

4.2.2024, 13:36:45

Gute Aufgabe! Jedoch ist nicht in allen landesrechtlichen Normen das Merkmal "Erforderlich" im Gesetz enthalten, sondern wird anders formuliert. Die Anmerkung dient lediglich dazu, dass man nicht davon ausgehen sollte, dass § 16a NPOG alle landesrechtlichen Vorschriften repräsentiert, da in einer Aufgabe vorher mal stande, dass die Probleme im Rahmen der

Ermessensfehler

kein landesrechtliches Problem seien In Sachsen bspw. steht in § 20 SächsPVDG nicht "erforderlich", aber "wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen (...)".


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