+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Auf Facebook tauchen Fotos eines Mannes auf, der in Räumen der KiTa des K nackt posiert. Da sein Gesicht nicht erkennbar ist, ist nicht feststellbar, ob es sich um Erzieher E handelt oder Handwerker, die sich in der KiTa aufhielten. Ohne E anzuhören, kündigt K dem E wegen des Verdachts der Veröffentlichung dieser Fotos fristlos.
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Einordnung des Falls
Verdachtskündigung (-)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es liegt ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt (§ 626 Abs. 1 BGB).
Nein!
Es ist zwischen Tat- und Verdachtskündigung zu unterscheiden. Kündigungsgrund bei der Tatkündigung ist, dass ein Arbeitnehmer durch ein bestimmtes Verhalten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (verhaltensbedingter Kündigungsgrund). Auch die Verdachtskündigung knüpft zwar an das Verhalten des Arbeitnehmers an. Jedoch liegt der Kündigungsgrund in der zerstörten Vertrauensbeziehung infolge des Verdachts, wodurch ein Eignungsmangel des Arbeitnehmers besteht (personenbedingter Kündigungsgrund). Es steht nicht hinreichend sicher fest, ob es sich bei dem auf den Nacktfotos Abgebildeten tatsächlich um E handelt, sodass eine erwiesene Pflichtverletzung als wichtiger Grund ausscheidet. Ein Wechsel von Verdachts- zur Tatkündigung ist grundsätzlich möglich, wenn nach tatrichterlicher Würdigung die schwerwiegende Pflichtwidrigkeit feststeht.
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2. Eine außerordentliche Kündigung kann auch auf den dringenden Verdacht einer vom Arbeitnehmer begangenen Straftat oder einer schuldhaft schweren Pflichtverletzung gestützt werden (§ 626 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kann auch in dem bloßen Verdacht liegen, der Arbeitnehmer habe eine Straftat oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen. Dafür ist erforderlich, dass (1) aufgrund objektiver Tatsachen starke Verdachtsmomente eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens bestehen (dringender Verdacht), (2) diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen zu zerstören und (3) der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
3. Es liegt hier ein dringender Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung vor.
Nein, das trifft nicht zu!
Damit der Verdacht dringend ist, muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft<. Danach dürfen, die Umstände, die ihn begründen, nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Es ist nach bisherigem Ermittlungsstand nicht ausgeschlossen, dass die Nacktfotos vom Handwerker und nicht vom Erzieher gemacht wurden. Damit fehlt es schon an einem dringenden Verdacht.
4. Zudem steht auch die fehlende Anhörung des Arbeitnehmers vor Aussprache der Verdachtskündigung deren Wirksamkeit entgegen.
Ja!
Die Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen hat (Beendigungskündigung ist ultima ratio). Daher muss dem Arbeitnehmer durch seine vorherige Anhörung Gelegenheit gegeben werden, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. Nicht ausreichend ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur mit belastenden Indizien konfrontiert, ohne dass sich der Arbeitnehmer zu diesen Tatsachen äußern kann. K hat E nur mit den Verdachtsmomenten konfrontiert, ihn jedoch nicht angehört.
5. Die Verdachtskündigung ist rechtmäßig erfolgt.
Nein, das ist nicht der Fall!
Für eine Verdachtskündigung ist erforderlich, dass (1) aufgrund objektiver Tatsachen starke Verdachtsmomente eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens bestehen (dringender Verdacht), (2) diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen zu zerstören und (3) der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Da weder ein dringender Verdacht vorliegt, noch eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers stattgefunden hat, liegen die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung nicht vor. Folglich fehlt ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB, sodass die Kündigung rechtswidrig ist.