Verdachtskündigung (+)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Am 01.04.2021 tauchen auf Facebook Fotos eines Mannes auf, der in Räumen der KiTa des K nackt posiert. Zwar ist sein Gesicht nicht erkennbar, jedoch hatte allein Erzieher E Zutritt zur KiTa. Nach Anhörung des E am 2.4. und verschiedenen Versuchen die Identität des Mannes zu ermitteln (bis 17.4), kündigt K dem E am 17.04.2021 wegen Verdachts der Veröffentlichung der Fotos fristlos.

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Einordnung des Falls

Verdachtskündigung (+)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine außerordentliche Kündigung kann auch auf den dringenden Verdacht einer vom Arbeitnehmer begangenen Straftat oder einer schuldhaft schweren Pflichtverletzung gestützt werden (§ 626 Abs. 1 BGB).

Ja!

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kann auch in dem bloßen Verdacht liegen, der Arbeitnehmer habe eine Straftat oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen. Dafür ist erforderlich, dass (1) aufgrund objektiver Tatsachen starke Verdachtsmomente eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens bestehen (dringender Verdacht), (2) diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen zu zerstören und (3) der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
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2. Liegt hier ein dringender Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung vor?

Genau, so ist das!

Damit der Verdacht dringend ist, muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Danach dürfen, die Umstände, die ihn begründen, nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Weiterhin müssen die Verdachtsmomente geeignet sein, das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen zu zerstören. Da allein E Zutritt zu den KiTa-Räumlichkeiten hatte, besteht eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass E tatsächlich der Mann auf den Fotos ist. Somit liegt ein dringender Verdacht vor. Zudem wird das Vertrauensverhältnis zwischen KiTa-Leiter K und Erzieher E durch die möglicherweise von E veröffentlichten Nacktfotos in den KiTa Räumen zerstört.

3. K hat alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen.

Ja, in der Tat!

Die Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen hat (Kündigung ist ultima ratio). Daher muss dem Arbeitnehmer durch seine vorherige Anhörung Gelegenheit gegeben werden, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. K hat versucht die Identität des Mannes zu klären und E vor Ausspruch der fristlosen Kündigung zu den Verdachtsmomenten ordnungsgemäß angehört.

4. Es liegt ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) vor.

Ja!

Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, erfolgt zweistufig: (1) Prüfung, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls „an sich“, also generell und typischerweise geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund zu bilden. (2) Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung dieser Umstände und unter umfassender Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall unzumutbar ist oder nicht. Hier liegen zum einen Tatsachen vor, die abstrakt einen wichtigen Grund darstellen. Zudem ist aufgrund des starken Verdachts dieser schwerwiegenden Verfehlung durch E eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem K unzumutbar, sodass die Interessenabwägung zulasten des E ausfällt. Mithin ist ein wichtiger Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) gegeben.

5. Da K die außerordentliche Kündigung erst 17 Tage nach Kenntnis von den Fotos erklärt hat, ist die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB verstrichen und die Kündigung unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die bei einer außerordentlichen Kündigung zu wahrende zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB) beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Bei der Verdachtskündigung beginnt die Frist allerdings nicht vor der Anhörung des Arbeitnehmers und nicht bereits mit „ersten Verdachtsmomenten“, sondern erst wenn der Arbeitgeber zuverlässige, möglichst vollständige Kenntnis von maßgebenden Tatsachen hat. Solange der Arbeitgeber aus verständigen Gründen in gebotener Eile Ermittlungen anstellt, läuft die Ausschlussfrist nicht. K hat sofort Ermittlungen angestellt, die noch nicht abgeschlossen waren. Die am 17.04.2021 erklärte Kündigung war somit nicht verfristet. Geht es um strafbares Arbeitnehmerverhalten, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten.
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