Corona: Gottesdienst-Verbote an Ostern

20. Mai 2025

3 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Katholik K besucht regelmäßig die Heilige Messe. Er begehrt beim BVerfG den Erlass einer einstweiligen Anordnung, um § 1 Abs. 5 der Hessischen Corona-VO außer Vollzug zu setzen. Dort werden u.a. Zusammenkünfte in Kirchen für ca. 4 Wochen, auch über die Osterfeiertage, untersagt.

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Einordnung des Falls

Corona: Gottesdienst-Verbote an Ostern

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Hessischen Corona-VO ist § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG.

Ja!

§ 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Rechtsverordnung Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Ein Verstoß dieser Verordnungsermächtigung gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen den Bestimmtheitsgrundsatz für Rechtsverordnungen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG), sei jedenfalls nach Ansicht des VGH Kassel (Vorinstanz) nicht ersichtlich. Das BVerfG äußert sich zu dieser umstrittenen Frage jedoch nicht.
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2. Die Hessische Corona-VO ist verfassungswidrig, weil § 28 Abs. 1 S. 4 IfSG die Glaubensfreiheit nicht als eingeschränktes Grundrecht aufführt. Dies verstößt gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das „Gesetz“ (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) meint jedes formelle Bundes- oder Landesgesetz, also auch solche, die die Exekutive zum Erlass von grundrechtseinschränkenden Regelungen ermächtigen. Damit gilt das Zitiergebot auch für Verordnungsermächtigungen. Es gilt nach stRspr des BVerfG allerdings nur für solche Grundrechte, die nach dem Verfassungswortlaut eingeschränkt werden können. Dies ist bei der Glaubensfreiheit nicht der Fall (vorbehaltloses Grundrecht). Das Zitiergebot ist daher nicht verletzt. Im Übrigen sei die formelle Verfassungsmäßigkeit der Corona-VO bzw. der Verordnungsermächtigung im IfSG laut VGH Kassel nicht zu beanstanden.

3. Statthaft ist hier ein Antrag des K auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG).

Ja, in der Tat!

Richtig – nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (RdNr. 8).

4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist begründet, wenn sich der angegriffene Hoheitsakt nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.

Nein!

Dieser Prüfungsmaßstab gilt für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren gegen untergesetzliche Normen (§ 47 Abs. 6 VwGO). Im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG haben jedoch die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vorherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde findet grundsätzlich gerade keine summarische Prüfung statt, sondern eine Folgenabwägung (sog. Doppelhypothese) (RdNr. 8).

5. Die Doppelhypothese verlangt eine Abwägung zwischen den Folgen des Ergehens der einstweiligen Anordnung bei Erfolglosigkeit der Hauptsache und den Folgen einer Versagung bei Erfolg in der Hauptsache.

Genau, so ist das!

Richtig! Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe. Dabei müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen (RdNr. 8).

6. Das Gottesdienstverbot ist ein Eingriff in die Glaubensfreiheit des K (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG). Erginge die Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, wäre dieser zu Unrecht erfolgt.

Ja, in der Tat!

BVerfG: Die gemeinsame Feier der Heiligen Messe sei nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens, der nicht durch alternative Formen der Glaubensbetätigung (z.B. Online-Gottesdienst) kompensiert werden könne. Das Gottesdienstverbot sei ein „überaus schwerwiegender Eingriff“ in die Glaubensfreiheit, insbesondere soweit es sich auch auf Gottesdienste während der Osterfeiertage – „dem Höhepunkt des religiösen Lebens der Christen“ – erstreckt (RdNr. 11). Erginge die Anordnung nicht und hätte eine Verfassungsbeschwerde des K Erfolg, wäre dieser schwerwiegende und irreversible Eingriff in die Glaubensfreiheit zu Unrecht erfolgt (RdNr. 12).

7. Würde die Anordnung ergehen und wäre die Hauptsache erfolglos, würden sich viele Menschen zu Gottesdiensten versammeln und die Gefahr der Ansteckung sich erheblich erhöhen.

Ja!

BVerfG: Gerade über die Osterfeiertage würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen in Kirchen versammeln. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen und der Überlastung des Gesundheitssystems nach der maßgeblichen Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts erheblich erhöhen, obwohl dies durch ein Gottesdienstverbot in verfassungsrechtlich zulässiger Weise hätte vermieden werden können. Diese Gefahren blieben auch nicht auf jene Personen beschränkt, die freiwillig an Gottesdiensten teilgenommen haben, sondern würden sich durch mögliche Folgeinfektionen auf einen erheblich größeren Personenkreis erstrecken (RdNr. 13).

8. Der Staat ist nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet, seine Bürger vor Gefahren für deren Leib und Leben zu schützen.

Genau, so ist das!

Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) enthält nicht nur eine abwehrrechtliche Dimension, sondern auch einen staatlichen Schutzauftrag. Der Staat ist nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet, Bürger vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen (RdNr. 14, stRspr). Dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag ist bei der Folgenabwägung zu Lasten der von K begehrten Aussetzung zu berücksichtigen.

9. Im Rahmen der bei § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegt die Glaubensfreiheit des K.

Nein, das trifft nicht zu!

BVerfG: Die Glaubensfreiheit hat gegenüber den Gefahren für Leib und Leben „derzeit“ zurückzutreten. In der frühen Phase der Pandemie gehe es darum, die Ausbreitung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu verlangsamen, um ein Kollabieren des Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden. Der schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit sei „derzeit vertretbar“, weil die Verordnung befristet ist. Damit sei sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Pandemie fortgeschrieben werden muss (RdNr. 14). Der Antrag des K hat somit keinen Erfolg.

10. Sämtliche Zusammenkünfte von Glaubensgemeinschaften sind somit bis zum Ende der Corona-Krise untersagt.

Nein!

Das BVerfG betont die zeitliche Komponente seiner Entscheidung: Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Verbot von Gottesdiensten angesichts neuer Erkenntnisse zu einem späteren Zeitpunkt – z.B. unter Auflagen – gelockert werden könne (RdNr. 14). So hat das BVerfG in einem weiteren Beschluss vom 29.04.2020 (1 BvQ 44/20) entschieden, dass ein generelles Verbot von Gottesdiensten ohne die Möglichkeit im Einzelfall Ausnahmen unter Auflagen zulassen zu können, mit der Glaubensfreiheit unvereinbar sei.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

20.2.2023, 10:50:21

Finde dieses Urteil so schwach. Die Auseinandersetzung mit einer Ansteckungsgefahr erfolgt hier so wenig differenziert, vor allen Dingen im Hinblick auf Kirchen, die in der Regel räumlich so gestaltet sind, dass Abstandhalten und Frischluftzufuhr mehr als gewährleistet sein könnten.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.2.2023, 18:01:23

Hallo Imponderabilie, danke für deine Gedanken dazu. Man darf nicht vergessen, dass diese Entscheidung im Eilverfahren ergangen ist und dazu zu einem Zeitpunkt bei dem noch nicht ganz so viele Informationen über das Virus verfügbar

ware

n. Es ist aber natürlich dennoch richtig, an die Rechtsprechung strenge Maßstäbe anzulegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

GALA

galapagosgarry

16.4.2025, 15:17:39

Umso wichtiger wäre es, aufzuarbeiten, was während der Pandemie gut gelaufen ist, was schlecht gelaufen ist, was sinnvoll war und was nicht und wie man bei der nächsten Pandemie angemessen reagieren kann. Schade, dass dies offenbar politisch nicht gewollt bzw. aus den falschen Gründen gewollt ist.


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