Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Offene Diskriminierung“)

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Offene Diskriminierung“)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die geschichtsbegeisterte Französin F eröffnet in Rom einen Sicherheitsagentur und meldet sich auf eine Ausschreibung das Kolosseum zu bewachen. Da nach italienischem Recht nur italienische Sicherheitseinrichtungen Sicherheitsdienste ausüben dürfen, erhält F eine Absage.

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Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Offene Diskriminierung“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche, persönliche und räumliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit sind vorliegend eröffnet.

Ja!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Niederlassung voraus, also eine feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Persönliche Begünstigte der Niederlassungsfreiheit sind alle Unionsbürger. Die Eröffnung einer Sicherheitsagentur setzt u.a. das Anmieten von Räumlichkeiten, Anschaffen von Ausrüstung und das Anstellen von Personal voraus und ist eine selbstständige Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert. Eine Niederlassung ist damit gegeben. Als Französin ist F auch Unionsbürgerin, sodass auch der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben.
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2. Vorliegend ist jedoch die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 AEUV einschlägig, da das Betreiben einer Sicherheitsagentur mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Art. 51 Abs. 1 AEUV regelt, dass die Niederlassungsfreiheit nicht auf Tätigkeiten anwendbar ist, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Damit ist eine Bereichsausnahme für den Bereich der öffentlichen Gewalt vorgesehen. Die Bereichsausnahme muss auf Tätigkeiten beschränkt sein, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen. Die Tätigkeit eines Bewachungs- oder Sicherheitsunternehmen stellt aber keine direkte und spezifische Beteiligung an der Ausübung der öffentlichen Gewalt dar.

3. Art. 49 AEUV statuiert ein Diskriminierungsverbot.

Ja, in der Tat!

Art. 49 AEUV enthält zwar nicht ausdrücklich den Begriff der Diskriminierung, ordnet aber in Abs. 2 positiv eine Inländergleichbehandlung an („nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“). Im Umkehrschluss bedeutet dieses Rechts auf Inländergleichbehandlung das Verbot von benachteiligenden Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Art. 49 AEUV verbietet damit jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung von Unionsbürgern und statuiert damit ein Diskriminierungsverbot. Im Falle von Gesellschaften ist eine solche Ungleichbehandlung wegen deren Gründung in einem anderen Mitgliedstaat verboten.

4. Die Regelung, dass nur italienische Sicherheitsdienste ihre Dienste ausüben dürfen, stellt eine offene Diskrimierung dar.

Ja!

Eine Diskriminierung besteht darin, dass rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich bzw. rechtlich unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden. Eine offene Diskriminierung ist dann gegeben, wenn die Ungleichbehandlung auf dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit beruht. Das italienische Gesetz stellt eine objektive Tätigkeitssperre für Ausländer dar. Damit behandelt die Regelung F aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit anders als italienische Staatsbürger, die private Sicherheitsdienste ausüben dürfen. Es handelt sich damit um eine offene Diskriminierung
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

8.8.2024, 19:53:15

Maßnahmen, die KEIN Eingriff sind (MARKTZUGANG) - beachte: Nur Orientierung, kann im Einzelfall abweichen! M - Marktverhalten: Regelungen, die nur das Verhalten am Markt betreffen Argument: Der EuGH unterscheidet klar zwischen Regeln, die den Marktzugang betreffen, und solchen, die nur das Verhalten am Markt regeln (Rn. 112). A - Anpassungskosten: Geringe Kosten zur Anpassung an lokale Bedingungen Argument: Reine Anpassungskosten, die allein aus den Unterschieden von Ziel- und Heimatrechtsordnung resultieren, werden ausgeklammert (Rn. 63). R - Rechtssystemunterschiede: Unterschiede zwischen nationalen Rechtssystemen Argument: Die Niederlassungsfreiheit verlangt keine Harmonisierung der Rechtsordnungen (Rn. 78). K - Koexistenz nationaler Regeln: Nachteile aus parallelen Regelungen Argument: Nachteile, die aus dem Nebeneinander der jeweils anwendbaren nationalen Regelungen erwachsen, stellen keine relevante Beschränkung dar (Rn. 64). T - Tätigkeitsbeginn (nach): Regelungen, die erst nach Niederlassung greifen Argument: Regelungen, die erst nach der Standortwahl greifen, beeinflussen die initiale Niederlassungsentscheidung nicht (Rn. 64). Z - Zielrechtsordnung: Unterschiede zur Heimatrechtsordnung Argument: Es ist dem Niederlassungswilligen zuzumuten, die Vorschriften des Aufnahmestaates als "allgemeines Verkehrsrecht" zu erfüllen (Rn. 107). U - Unwesentliche Belastungen: Geringfügige Beeinträchtigungen Argument: Zu ungewisse bzw. mittelbare Belastungen bleiben außer Betracht (Rn. 60). G - Geschäftsumfeld: Allgemeine Rahmenbedingungen Argument: Regelungen ohne spezifischen Marktzugangsbezug, die das allgemeine Geschäftsumfeld betreffen, sind oft kein Eingriff (Rn. 63). A - Auswirkungen (ungewisse): Zu mittelbare oder unklare Effekte Argument: Es muss ein eindeutiger Ursachenzusammenhang zwischen der Maßnahme und der Behinderung der Niederlassung bestehen (Rn. 60). N - Niederlassungsformen: Begründete Unterschiede zwischen Formen Argument: Unterschiede können gemacht werden, die durch die Spezifika der jeweiligen Niederlassungsform begründet sind (Rn. 87). G - Gesundheitssektor: Verhältnismäßige Regelungen in sensiblen Bereichen Argument: In sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitswesen haben Mitgliedstaaten einen gewissen Ermessensspielraum (Rn. 104). Beruht auf: AEUV Art. 49 Niederlassungsfreiheit Forsthoff Das Recht der Europäischen Union Werkstand: 81. EL Januar 2024, Rn. 74-131

LELEE

Leo Lee

12.8.2024, 04:39:24

Hallo CR7, vielen Dank für die TOLLE Eselsbrücke und allen voran für deine Mühe und Solidarität, diese mit der Community zu teilen! Wir bei Jurafuchs legen nicht nur Wert darauf, dass Wissen vermittelt, sondern auch unter den Nutzern und Nutzerinnen ausgetauscht werden. Deshalb freuen wir uns riesig darüber, wenn Nutzer und Nutzerinnen wie du die Initiative ergreifen, um aus Selbstlosigkeit solche tollen Merksätze mit anderen Usern zu teilen. Deshalb: DANKE, dass du uns dabei hilfst, Jurafuchs als Safe-Space für alle Jurastudierenden zu gestalten. Wir möchten uns bei dir hierfür vielmals bedanken und freuen uns auf weitere tolle Eselsbrücken und Inspirationen von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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