Missbrauch der Prokura, §§ 49 f. HGB, §§ 138 Abs. 1, 242 BGB


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arbeitnehmer P ist Prokurist des Autohauses Fast Cars OHG. Geschäftsführerin G weist P an, den zum Verkauf stehenden fabrikneuen Rolls Royce Phantom nicht unter dem Marktwert von €500.000 zu verkaufen. P bietet seiner Freundin F das Auto zum Schnäppchenpreis von €5.000 an. F wundert sich noch über den guten Preis und schlägt ein.

Einordnung des Falls

Missbrauch der Prokura, §§ 49 f. HGB, §§ 138 Abs. 1, 242 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G’s Weisung an P stellt eine außenwirksame Beschränkung seiner Prokura dar (§ 50 Abs. 1 HGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Prokura umfasst alle gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäfte und Rechtshandlungen, die zum Betrieb (irgend-) eines Handelsgewerbes gehören (§ 49 Abs. 1 HGB). Sie umfasst auch außergewöhnliche, für den konkreten Gewerbebetrieb untypische Geschäfte. Die Prokura ist im Außenverhältnis grundsätzlich nicht beschränkbar (§ 50 Abs. 1 HGB). Der Abschluss eines Kaufvertrages ist grundsätzlich vom Umfang der Prokura gedeckt. Die Beschränkung der Prokura derart, den Rolls Royce nur zu bestimmten Bedingungen verkaufen zu dürfen, ist Dritten gegenüber unwirksam (§ 50 Abs. 1 HGB).

2. An G’s Weisung, den Rolls Royce nicht unter €500.000 zu verkaufen, ist P im Innenverhältnis gebunden.

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Ja, in der Tat!

Die Vollmacht ist getrennt vom Innenverhältnis zwischen Kaufmann und Prokurist zu betrachten. Zwar ist eine Beschränkung der Prokura nach außen unwirksam (§ 50 Abs. 1 HGB). Eine Beschränkung des rechtlichen Dürfens im Innenverhältnis ist jedoch möglich. Zwischen P und der Fast Cars OHG besteht ein Arbeitsverhältnis (§ 611a BGB), das unabhängig von der Prokura beiderseits Rechte und Pflichten begründet. G’s Weisung an P, den Rolls Royce Phantom nicht unter €500.000 zu verkaufen, ist im Innenverhältnis wirksam. An diese ist P gegenüber der Fast Cars OHG gebunden.

3. Ein Vertrag, bei dessen Abschluss der Prokurist seine Befugnisse im Innenverhältnis überschritten hat, ist unwirksam.

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Nein!

Der Schutz des Dritten gebietet es normalerweise, die Vertretungsmacht nicht schon deshalb entfallen zu lassen, weil sie im Widerspruch zu Beschränkungen aus dem Innenverhältnis oder entgegen den Interessen des Vertretenen ausgeübt wird. Der Dritte darf sich grundsätzlich auf den gesetzlich festgelegten Umfang der Prokura verlassen (§§ 49f. HGB). Nur in zwei Ausnahmefällen ist der Dritte nicht schutzwürdig: Im Fall der Kollusion und dem (evidenten) Missbrauch der Vertretungsmacht. In diesen Fällen wird die Unabhängigkeit der Vollmacht vom Innenverhältnis durchbrochen und die Pflichtwidrigkeit des Vertreters wirkt sich gegenüber dem Dritten aus.

4. Der Kaufvertrag zwischen der Fast Cars OHG und F (§ 433 BGB) ist wegen Kollusion nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Kollusion liegt vor, wenn der Vertreter und sein Geschäftspartner einverständlich und absichtlich zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken. Die kollusiv getroffene Absprache ist sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) und daher nichtig. Die Kollusion setzt absichtliches und einverständliches Zusammenwirken voraus. Dass der Vertrag seitens P abredewidrig geschlossen wird und der Fast Cars OHG ein Schaden entsteht, war nicht Grundlage von F’s Kaufentscheidung. Auch verspricht sich P durch den Vertrag keinen eigenen Vorteil.

5. F kann sich auf die Vertretungsmacht des P nicht berufen, da ein evidenter Missbrauch der Prokura vorliegt (§ 242 BGB).

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Ja, in der Tat!

(1) Überschreitet der Vertreter seine Befugnisse im Innenverhältnis und hat (2) der Geschäftspartner dies erkannt oder grob fahrlässig verkannt, steht dem Vertretenen der Einwand aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegen die Wirksamkeit des Geschäfts zu. Darauf, ob der Vertreter bewusst zum Nachteil des Vertretenen handelt, kommt es nicht an. Die Schutzwürdigkeit des Dritten entfällt, weil der Missbrauch objektiv evident ist. P hat durch den Kaufvertrag gegen seine Pflichten gegenüber der OHG verstoßen und bewusst zu ihrem Nachteil gehandelt. F wusste nicht, dass P abredewidrig handelt. Dass der Verkauf eines fabrikneuen Rolls Royce Phantom für €5.000 (1% des Marktwerts) für die OHG nachteilig ist und P seine Vertretungsmacht missbraucht, ist offensichtlich.

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SI

SimonRe1995

17.12.2023, 12:53:48

Könnte man auch auf § 54 Abs. 3 HGB analog abstellen?

Dogu

Dogu

8.3.2024, 08:51:12

Muss es sich wirklich um grobe Fahrlässigkeit handeln, damit Evidenz bejaht werden kann oder reicht auch "normale" Fahrlässigkeit im Sinne eines Kennenmüssen nach § 122 II BGB? Ich habe das in der Literatur meiner Erinnerung nach auch schon anders gelesen.

Steinfan

Steinfan

1.5.2024, 21:54:42

Meines Wissens wird in diesem Zusammenhang zusätzlich erwartet, dass man kurz klärt, dass die Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht trotz § 50 I HGB Anwendung finden; es liegt keine Umgehung der Norm vor.


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