+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Gabelstaplerfahrerin G soll mit einem Gabelstapler Ware von einem Lastwagen abladen. Da sie bei der Einweisung in die Bedienung des Fahrzeugs nicht richtig zugehört hat, lässt sie dabei versehentlich eine Kiste mit Meissner Porzellan fallen. Diese stand im Eigentum von Arbeitgeberin A.

Einordnung des Falls

Betrieblich veranlasste Tätigkeit I

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz haben (§§280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).

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Ja!

Der Schadensersatzanspruch wegen Schutzpflichtverletzung setzt voraus, dass (1) ein (rechtsgeschäftliches oder gesetzliches) Schuldverhältnis besteht, (2) der Schuldner eine Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat, (3) er die Verletzung zu vertreten hat (§ 276 Abs. 1 BGB) und (4) dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist.Zwischen A und G besteht ein Arbeitsvertrag. Durch die unachtsame Bedienung des Gabelstaplers hat G eine Schutzpflicht fahrlässig verletzt. Hierdurch wurde As Eigentum beschädigt. Achtung: Im Arbeitsrecht wird das Vertretenmüssen nicht vermutet. Hier muss vielmehr der Arbeitgeber das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers darlegen und beweisen (§ 619a BGB).

2. Trifft A an dem Unfall ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Wirkt der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens mit, so ist sein Anspruch entsprechend seines Verschuldensanteils zu verringern.Ein konkretes Mitverschulden der A, welches in unmittelbarer Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB die Ersatzpflicht der G mindert, ist nicht ersichtlich.Ein Mitverschulden des Arbeitgebers kann auch in einem Organisationsverschulden liegen (zB betriebsorganisatorische Mängel). Auch hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor.

3. G kann sich auf eine Haftungsbeschränkung berufen, wenn die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs Anwendung finden.

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Ja, in der Tat!

Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleiches sind anzuwenden, wenn (1) der Anspruchsgegner zum geschützten Personenkreis gehört und (2) der Schaden bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit entstanden ist. Zu 1: Geschützt werden neben Arbeitnehmern auch Auszubildende, Praktikanten, arbeitnehmerähnliche Personen und Leiharbeitnehmer. Zu 2: Betrieblich sind alle Tätigkeiten, die dem Arbeitnehmer vertraglich übertragen wurden oder die er im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt.In einer Klausur müsstest Du vor der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen noch kurz auf die Herleitung dieses Instituts eingehen (Richterrecht, § 254 BGB analog).

4. G gehört zum geschützten Personenkreis.

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Ja!

Von der Privilegierung durch die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs werden neben Arbeitnehmern auch Auszubildende, Praktikanten, arbeitnehmerähnliche Personen und Leiharbeitnehmer geschützt. G ist Arbeitnehmerin und gehört somit zum geschützten Personenkreis.

5. Liegt eine betrieblich veranlasste Tätigkeit vor?

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Genau, so ist das!

Betrieblich veranlasst sind alle Tätigkeiten, die dem Arbeitnehmer vertraglich übertragen wurden oder die er im Interesse des Arbeitgebers für den Betrieb ausführt.G handelte entsprechend ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit als Gabelstaplerfahrerin. Somit lag eine betrieblich veranlasste Tätigkeit vor.Früher hat das BAG lediglich gefahrgeneigte Tätigkeiten privilegiert. Dies wurde 1994 aufgegeben. Seitdem genügt jede betrieblich veranlasste Tätigkeit.

6. G kann sich auf die Haftungsprivilegierung berufen.

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Ja, in der Tat!

Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleiches sind anzuwenden, wenn (1) der Anspruchsgegner zum geschützten Personenkreis gehört und (2) der Schaden bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit entstanden ist.Als Arbeitnehmerin gehört G zum geschützten Personenkreis und der Unfall geschah im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit.Der genaue Umfang der Haftungsprivilegierung hängt vom Grad des Verschuldens ab. Liegt „normale“ Fahrlässigkeit vor, so kommt es zu einer Quotelung des Schadens entsprechend der Gesamtumstände des konkreten Falles.

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GI

Ginda

16.11.2022, 22:53:38

Hallo! Ich finde die Lösung hier nicht überzeugend. G hat bei der Einweisung nicht zugehört, stellt dieses Verhalten wirklich eine „normale“ Fahrlässigkeit dar, sodass die Haftungsprivilegierung hier wirklich greift?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.11.2022, 14:15:11

Hallo Ginda, die Grenze zwischen "normaler" Fahrlässigkeit und "grober" Fahrlässigkeit sind in der Tat fließend. Wir haben den Sachverhalt nun noch ein wenig angepasst, um noch klarer zu machen, dass es hier nicht darum geht, dass G "seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und das unbeachtet gelassen hat, was in der konkreten Situation für jedermann erkennbar gewesen ist". Ich hoffe, damit wird es nun klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sophix58

Sophix58

29.7.2023, 19:53:45

Da ich bisher unterschiedliche Sachen diesbezüglich gelesen habe, wollte ich nochmal fragen, ob die Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich auch dann anwendbar sind, wenn der Arbeitnehmer bereits durch eine gesetzliche Versicherung schadlos gehalten wird (Bsp. Berufshaftpflicht)? Muss das auch geprüft werden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.7.2023, 18:01:14

Hallo Sophix58, die Frage nach der Versicherung hat allenfalls für die Quotenbildung Relevanz, da bei leichtester Fahrlässigkeit der Arbeitgeber bzw. bei Vorsatz der Arbeitnehmer jeweils voll haften. Dabei ist zu differenzieren: (1) Eine (freiwillige) private Haftpflichtversicherung dient dazu, dass der Arbeitnehmer sich selbst schützt und nicht davor, den Arbeitgeber besserzustellen. Diese ist bei der Quotenbildung insofern regelmäßig nicht zu berücksichtigen. (2) Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung vereinbart und der Arbeitgeber hierfür auch eine zusätzliche Vergütung entrichtet, hat er sich an der Risikoabdeckung beteiligt (besonders relevant in diesem Zusammenhang sind die sog. Directors-and-Officers-Versicherungen für Manager/leitende Angestellte, sog. D&O-Versicherung). Dies ist dann auch bei der Quotenbildung zu beachten. (3) Gleiches gilt auch bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung (zB KfZ-Haftpflicht). Denn die gesetzgeberische Wertung überlagert in diesem Fall die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung. Sehr lesenswert ist hierzu die MRT-Entscheidung des BAG (BAG, Urt. v. 28. 10. 2010 − 8 AZR 418/09 (NJW 2011, 1096) = https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8-azr-418-09/) bzw. auch BeckOGK/Maties, 1.6.2023, BGB § 611a Rn. 1786. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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