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Schadensrecht
Unfallschadensregulierung bei Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert
Unfallschadensregulierung bei Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert
3. Juli 2025
9 Kommentare
4,7 ★ (29.126 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S hat den Pkw der G beschädigt und haftet ihr in voller Höhe. Laut Gutachten betragen der Wiederbeschaffungswert €5.000, der Restwert €2.000 und die Reparaturkosten €8.000. G lässt den Pkw für €6.000 fachgerecht reparieren und nutzt ihn für weitere sechs Monate.
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Einordnung des Falls
Unfallschadensregulierung bei Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Art und Umfang des Schadensersatzes, den G von S verlangen kann, richten sich nach den §§ 249ff. BGB.
Ja!
2. G konnte von S ursprünglich Naturalrestitution durch Reparatur oder Wiederbeschaffung verlangen (§ 249 Abs. 1 BGB). Dieser Anspruch ist wegen Unmöglichkeit untergegangen (§ 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
3. G kann von S gleichwohl Zahlung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags verlangen (§ 249 Abs. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
4. Der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 BGB) entspricht entweder den Kosten einer fachgerechten Reparatur oder dem Wiederbeschaffungsaufwand.
Ja!
5. Der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag ist stets auf den geringeren Betrag - Reparaturkosten oder Wiederbeschaffungsaufwand - begrenzt (§ 249 Abs. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Die Reparaturkosten sind mit €8.000 anzusetzen, betragen also mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts (wirtschaftlicher Totalschaden). Erforderlich ist nur der Wiederbeschaffungsaufwand von €3.000.
Nein, das trifft nicht zu!
7. G kann ein besonderes Affektionsinteresse nachweisen. Da der Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungswert um weniger als 30% übersteigt, sind die Reparaturkosten also erforderlich (§ 249 Abs. 2 BGB).
Ja!
8. G kann von S Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von €6.000 verlangen.
Genau, so ist das!
9. Nach 6 Monaten verkauft G den Pkw und verklagt S auf Schadensersatz. S behauptet, die Reparatur wäre nicht fachgerecht erfolgt und wirft G insoweit Beweisvereitelung durch Veräußerung vor. Zu Recht?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
16.7.2022, 00:11:33
Also verliert G den Prozess, weil sie die Behauptung nicht beweisen kann?

Lukas_Mengestu
3.8.2022, 17:45:04
Hallo Philipp, dies ist letztlich eine Frage des Einzelfalls. G könnte hier ja durchaus einfach den Erwerber des Fahrzeugs als Zeuge laden lassen. Der BGH hat im konkreten Fall den Fall noch einmal zurückverwiesen an das Berufungsgericht, um noch einmal eine Beweisaufnahme durchzuführen, da erhebliche Zweifel an den Feststellungen der Ausgangsinstanz bestanden. Je nachdem, was bei dieser Beweisaufnahme herauskommt, gewinnt entweder S oder G. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Daniil
28.8.2022, 13:46:58
4-Stufenmodell Hat ein bisschen gedauert, das zum 4-Stufenmodell erläuterte nachzuvollziehen, deshalb hab ich mir eine kleine Darstellung aus dem Text entworfen. Vielleicht ist es ja für jemanden hier hilfreich. Falls mir ein Fehler unterlaufen ist, freue ich mich über einen Hinweis. Die Abkürzungen müssten ja verständlich sein (Reparaturkosten,
Reparaturaufwand, Wiederbeschaffungswert,
Wiederbeschaffungsaufwand). (1) RA <= WA —> RK (2) WA <= RA <= WW —> RK (3) RA <= WW + 30% —> RK, sofern
Affektionsinteresse(4) RA > WW + 30% —> WW (wirtschaftlicher Total
schaden)

CR7
19.7.2024, 13:56:44
Um Daniils sehr guten Beitrag noch zu ergänzen, weil mir das wirklich schwer gefallen ist, nachzuvollziehen: Wiederbeschaffungswert (WW) = Betrag, den man aufwenden müsste, um ein gleichwertiges Fahrzeug zu kaufen.
Wiederbeschaffungsaufwand(WA) = Berücksichtigt, dass das beschädigte Auto noch einen Restwert hat. Die Formel lautet: WA = Wiederbeschaffungswert - Restwert Restwert = Wert nach Beschädigung Merkantile Minderwert = Wertverlust eines KFZ trotz Instandsetzung Wirtschaftlicher Total
schaden= 130% Grenze überschritten Stufenmodell (nach obigem Vorbild) 1. Stufe: Wenn Reparaturkosten niedriger (oder gleich) sind als der
Wiederbeschaffungsaufwand, zahlt der Schädiger die Reparaturkosten. 2. Stufe: Wenn die Reparaturkosten höher sind als der
Wiederbeschaffungsaufwand, aber niedriger als der Wiederbeschaffungswert, zahlt der Schädiger trotzdem die Reparaturkosten. 3. Stufe: Wenn die Reparaturkosten höher sind als der Wiederbeschaffungswert, aber nicht mehr als 30% darüber (130%-Grenze), zahlt der Schädiger die Reparaturkosten, wenn der Geschädigte das Auto reparieren lässt und mindestens 6 Monate weiterfährt. 4. Stufe: Wenn die Reparaturkosten mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegen, spricht man von einem "wirtschaftlichen Total
schaden". Der Schädiger muss dann nur den
Wiederbeschaffungsaufwandzahlen.
Rechtsanwalt B. Trüger
9.10.2024, 10:20:29
Sehr gute Darstellung von euch beiden! Danke dafür! Als kleiner Tipp, wie ich es mir besser merken konnte. Man kann das ganze in der Regel als eine Art Chronologie ansehen, bei der die Summe für den Schädiger einfach immer höher wird, bis sie irgendwann die Obergrenze von 130 % erreicht (dazu muss der Wagen auch noch 6 Monate gefahren werden). So muss man die einzelnen Stufen nicht stumpf auswendig lernen, sondern kann sie sich im Zweifel in der Klausur mit den Angaben im Sachverhalt erschließen.
Kind als Schaden
28.10.2024, 19:16:36
Ich würde das nicht in/mit 4 Stufen auswendig lernen, das ist super fehleranfällig Schubladen für Fallgruppen zu bilden, vorallem im Examen, wenn ein bekannter Fall eine kleine Abwandlung erfährt und man stur Schema X anwenden will. Dass einzige was ich mir merken würde, sind die 30 bzw. 130% als Grenze für den Total
schadenund die Geschichte mit dem
Affektionsinteresse.

CR7
15.8.2024, 22:16:01
Im Zusammenhang mit Werkstatt, Reparatur und Fahrzeug erachte ich dieses Urteil als examensrelevant :-) https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&az=VI%20ZR%2038/22&nr=136715

Linne Hempel
14.10.2024, 11:00:59
Hallo CR7, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team
Erik_1995
19.6.2025, 16:18:05
Ich finde dieses "4-Stufen-Modell" völlig unnötig und sehr verwirrend. Man könnte einfach sagen: -
Reparaturaufwandkleiner als
Wiederbeschaffungsaufwand-> ganz normal § 249 II erforderlich -
Reparaturaufwandgrößer als
Wiederbeschaffungsaufwandbis 30%: Ausnahmsweise erforderlich sofern besonderes Interesse nachgewiesen wird - alles über 30% Differenz -> § 249 II Reparatur nicht mehr erforderlich zudem hätte ich mir nähere Ausführungen zum
Affektionsinteressegewünscht (wann es vorliegt, wie der Nachweis zu erbringen ist etc.) Leider sticht die Darstellung des Falles negativ hervor im Vergleich zu den auf Jurafuchs sonst gut aufbereiteten Fällen und einfach gehaltenen Erklärungen. Nachtrag: Das
Affektionsinteresseist das besondere Interesse des Geschädigten am Erhalt des spezifischen Fahrzeugs aus Liebe zum Auto, persönliche Verbindung etc. Es wird vermutet, wenn der Geschädigte das Fahrzeug sechs Monate nach der Reparatur weiterverwendet. Der Anspruch wird jedoch sofort fällig damit niemand sechs Monate mit einem beschädigten Fahrzeug rumfahren muss oder in Vorleistung für ein halbes Jahr treten muss.