Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Schadensersatzanspruch nach Weiterverkauf eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs

Schadensersatzanspruch nach Weiterverkauf eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs

27. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Diesel-Abgasskandal

K kauft 2014 bei H einen VW Golf für 20.000 €. 2015 erfährt K, dass der Golf vom „Dieselskandal“ betroffen ist, und verklagt VW auf Erstattung des Kaufpreises. Noch im Prozess verkauft K den Golf für angemessene 5.000 € an D. Zu diesem Zeitpunkt hat er aus dem Golf Nutzungen im Wert von 10.000 € gezogen.

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Einordnung des Falls

Schadensersatzanspruch nach Weiterverkauf eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von VW dem Grunde nach Ersatz für den gezahlten Kaufpreis verlangen, obwohl er das Fahrzeug bei H gekauft hat (§ 826 BGB).

Ja!

Mittlerweile ist höchstrichterlich geklärt, dass VW den Käufern von Fahrzeugen mit der „Dieselskandal-Software“ gemäß § 826 BGB den gezahlten Kaufpreis erstatten muss: Das gezielte, strategische Inverkehrbringen derart manipulierter Fahrzeuge ist ein sittenwidriges Verhalten. VW hat die Fahrzeugkäufer dadurch auch vorsätzlich geschädigt, weil diese Kaufverträge abgeschlossen haben, von denen sie bei Kenntnis der Manipulationen abgesehen hätten. Das gilt auch dann, wenn der Käufer das Fahrzeug bei einem Dritten – etwa bei einem Gebrauchtwagenhändler – erworben hat (BGH NJW 2020, 1962). Dieses Urteil haben wir für Dich in einem eigenen Fall aufbereitet.
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2. VW muss den Kaufpreis grundsätzlich nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des betroffenen Fahrzeugs erstatten.

Genau, so ist das!

Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der ohne das Schadensereignis bestünde (Naturalrestitution). Dabei sind jedoch nicht nur die Nachteile, die dem Geschädigten infolge des schädigenden Ereignisses entstanden sind, zu berücksichtigen; umgekehrt muss sich der Geschädigte durch das Schadensereignis bedingte Vorteile anrechnen lassen, solange dies den Schädiger nicht unangemessen entlastet (“Vorteilsausgleich“) (RdNr. 28). Ohne das Inverkehrbringen des manipulierten Fahrzeugs hätte K den Golf nicht gekauft und deshalb den Kaufpreis nicht zahlen müssen. Er hätte jedoch auch nicht Eigentum und Besitz an dem Wagen erlangt. Er kann deshalb Erstattung des Kaufpreises von VW nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Golfs fordern.

3. K muss sich auf seinen Schadensersatzanspruch außerdem gezogene Nutzungen anrechnen lassen.

Ja, in der Tat!

Auch die Vorteile, die der Gebrauch des Golfs gewährt (§ 100 BGB), hätte K ohne das schädigende Ereignis nicht erlangt. Ließe man diese bei der Schadensabwicklung unberücksichtigt, könnte K das Fahrzeug im Ergebnis bis zur Rückgabe unentgeltlich benutzen, was gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstieße (RdNr. 28f.). Insoweit ist die Vorteilsausgleichung deshalb auch keine unangemessene Entlastung des Schädigers. Die Rechtsprechung errechnet den Nutzungswert bei Fahrzeugen nur anhand der gefahrenen Kilometer, lässt aber sonstige altersbedingte Wertverluste unberücksichtigt (vgl. RdNr. 31). Deshalb ist vorliegend der Golf auch nur noch 5.000 € wert, obwohl K lediglich Nutzungen im Wert von 10.000 € gezogen hat!

4. Dass K das Fahrzeug nun an einen Dritten verkauft hat, lässt seinen Schaden insgesamt entfallen.

Nein!

Bislang haben einige Obergerichte die Auffassung vertreten, der spätere Verkauf des erworbenen Fahrzeugs könne den ungewollten Erwerb nachträglich korrigieren und so aus der Welt schaffen (z.B. OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 70/19). Dem hat sich der BGH allerdings nicht angeschlossen: Der Schaden, ein ungewollter Fahrzeugkauf, könne nicht ohne Weiteres durch den Weiterverkauf des Fahrzeugs wieder entfallen. Es komme vielmehr darauf an, dass der Geschädigte eine Stellung erlange, die der hypothetischen Situation ohne das schädigende Ereignis wirtschaftlich entspreche (RdNr. 19, 27).

5. Der Weiterverkauf an D führt aber dazu, dass nun die gesamte Differenz zwischen ursprünglichem Kaufpreis und Weiterverkaufspreis als anzurechnender Nutzungsvorteil gilt.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Das Berufungsgericht habe den Wert der gezogenen Nutzungen in nicht zu beanstandender Weise anhand der gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur voraussichtlichen Gesamtlaufleistung berechnet; eine Gleichsetzung von Nutzungsvorteilen und eingetretenen Wertverlusten sei nicht geboten (RdNr. 33). Die spätere Weiterveräußerung des Fahrzeugs könne den Wert zuvor gezogener Nutzungen nicht beeinflussen (RdNr. 34).

6. Zusätzlich zu den gezogenen Nutzungen ist zumindest der Weiterverkaufserlös auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen.

Ja, in der Tat!

Das ist schlicht die Konsequenz daraus, dass der Käufer im Wege der Vorteilsausgleichung zunächst Besitz und Eigentum am Fahrzeug an den Hersteller übertragen muss: Veräußert er das Fahrzeug an einen Dritten weiter, ist nunmehr der erzielte Erlös ein Vorteil, den der Käufer ohne das schädigende Ereignis nicht erlangt hätte. Er tritt deshalb bei der Schadensabwicklung an die Stelle des Fahrzeugs (RdNr. 27).

7. K kann von VW Zahlung von 5.000 € gemäß § 826 BGB verlangen.

Ja!

Ursprünglich konnte K von VW Zahlung von 20.000 € verlangen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Golfs. Darauf ist nach dem BGH im Wege der Vorteilsausgleichung zum einen der Wert der gezogenen Nutzungen (10.000 €) anzurechnen. Zum anderen entfällt nach der Weiterveräußerung die Übereignung des Fahrzeugs; stattdessen ist nunmehr der Schadensersatzanspruch um den Weiterverkaufserlös (5.000 €) zu mindern. Sonstige Wertverluste, die nicht mit Gebrauchsvorteilen des K einhergingen, bleiben unberücksichtigt. K kann deshalb noch Zahlung von 5.000 € von VW verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EL

Ella

15.10.2021, 09:55:30

Folgt die Leistung Zug um Zug beim Anspruch des K aus

826

aus der

Saldotheorie

(gleichartige Ansprüche des K und von VW werden saldiert)?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.10.2021, 10:09:16

Hallo Ella, vielen Dank für Deine Frage und herzlich willkommen bei Jurafuchs! Bei der

Saldotheorie

handelt es sich um einen Lösungsansatz für die

Rückabwicklung nichtiger Verträge

im

Bereicherungsrecht

. Es geht dabei insbesondere um die Frage, wie man mit dem Einwand der

Entreicherung

(

§ 818 Abs. 3 BGB

) umgeht, damit sich eine Partei nicht unbilligerweise darauf berufen kann, dass der

Leistungsgegenstand

untergegangen ist (zB die Kaufsache), aber trotzdem ihrerseits die eigene Leistung zurückverlangt (zB Kaufpreis). Die

Saldotheorie

hat im vorliegenden Kontext allerdings keine Bedeutung. Die Zug-um-Zug Leistung entspringt vielmehr dem Gedanken des "Bereicherungsverbotes" im

Schadensrecht

. Zwar soll der Geschädigte vollumfänglich für seinen Schaden kompensiert werden (Grundsatz der "Totalreparation"). Anders als zB im US-amerikanischen Recht soll der Geschädigte aber auch keinen Vorteil aus seiner Schädigung erlangen. Will er im Rahmen des Schadenserstzes nach

§ 826 BGB

also seinen Kaufpreis zurückhaben, so muss er seinerseits auch das Auto zurückgeben. Andererseits stünde er ja besser, als vor dem schädigenden Ereignis. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

jonas0108

jonas0108

21.8.2024, 14:10:20

Hallo, Der Schadensersatz kann doch nur Zug um Zug gegen

Rückübereignung

des Fahrzeugs verlangt werden, oder? Aber K hat das Fahrzeug ja bereits an D weiterverkauft und kann es daher gar nicht an VW zurückgeben. Wie wirkt sich das auf die Falllösung aus? Würde man dann sagen Anspruch besteht aber wegen

Verurteilung Zug um Zug

nicht durchsetzbar? Vielen Dank für Eure Antwort im Voraus :)

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

10.10.2024, 13:04:41

Hi Jonas, Hier hat der ursprüngliche Käufer des VW den Wagen ja bereits verkauft und dafür 5.000 € erhalten (angemessen/Wert des VW). Das muss er sich ja gegen VW anrechnen lassen, weshalb VW (nach Abzug der 5.000 € und 10.000 € an gezogenen Nutzungen) nur noch 5.000 € zahlen musste. Hätte er den Wagen nicht weiterverkauft, hätte VW ihm ja 10.000 € zahlen müssen. D.h. Hier spart sich VW 5.000 € kriegt den Wagen aber nicht mehr Im anderen Fall hätten sie den Wagen zurückbekommen, müssten aber dafür 10.000 € zahlen. Die „Rückabwicklung“ Zug-um-Zug ist hier ja schlichtweg nicht mehr möglich, weshalb nur noch die Variante mit den 5.000 € bleibt Der gezielte Markterlös (5.000 €) tritt anstelle der herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs. Der BGH schreibt dazu: Verlangt der geschädigte Fahrzeugkäufer in einem sog. Dieselfall vom Fahr- zeughersteller Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises und hat er im Wege der Vorteilsausgleichung das erworbene Fahrzeug Zug um Zug an den Fahrzeughersteller herauszugeben und zu übereignen, tritt im Fall des Wei- terverkaufs im Rahmen der Vorteilsausgleichung der erzielte marktgerechte Verkaufserlös an die Stelle des herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs.

jonas0108

jonas0108

10.10.2024, 20:18:14

Vielen Dank!


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