Relevanter Zeitpunkt bei der Berechnung des fiktiven Schadensersatzanspruchs


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Fahrzeughalter B verursacht schuldhaft einen Verkehrsunfall, bei dem das Auto des K beschädigt wird. Ein Kostenvoranschlag ergibt Reparaturkosten in Höhe von €4.500. K will das Auto nicht reparieren lassen. B zahlt zunächst nur €3.000. K verlangt zunächst die Zahlung weiterer €1.500. Dann erhöht die Werkstatt die Preise. K verlangt entsprechend €2.000 von B.

Einordnung des Falls

Relevanter Zeitpunkt bei der Berechnung des fiktiven Schadensersatzanspruchs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Schadensersatzanspruch aus §§ 7, 17 StVG.

Ja!

Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughalter ist § 7 Abs. 1 StVG. Ein Anspruch besteht unter folgenden Voraussetzungen: (1) Anspruchsgegner ist Fahrzeughalter; (2) Rechtsgutverletzung; (3) beim Betrieb eines Kfz; (4) kein Ausschluss des Anspruchs nach §§ 7 ff. StVG; (5) Anspruchskürzung nach § 17 StVG bei Beteiligung mehrerer Kfz; (6) ersatzfähiger Schaden. Da B den Unfall schuldhaft verursacht hat, haftet er gegenüber K dem Grunde nach voll (§ 17 Abs. 3 StVG).

2. K kann die Reparaturkosten nur verlangen, wenn er sein Auto auch tatsächlich reparieren lässt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach ständiger Rechtsprechung kann der geschädigte Fahrzeugeigentümer entscheiden, ob er sein Auto reparieren lässt oder nicht. Für den Fall, dass er sein Auto nicht reparieren lässt, kann er - auf fiktiver Basis - die Kosten für eine Reparatur verlangen (anders nach neuer Rechtsprechung im Werkvertragsrecht: Dort sind fiktive Mangelbeseitigungskosten ohne Reparatur nicht mehr ersatzfähig, vgl. BGH MMR 2021, 42). Denn ihm ist dieser Schaden an seinem Eigentum tatsächlich entstanden - auch dann, wenn er das Fahrzeug nicht reparieren lassen möchte (lediglich die Umsatzsteuer auf die Reparatur ist nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB nicht erstattungsfähig). Fraglich ist hier aber, ob der Schaden auch die Preissteigerung der Werkstatt umfasst.

3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Schadensersatzanspruchs ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

Ja, in der Tat!

Sofern B den Anspruch noch nicht vollständig erfüllt hat, ist verfahrensrechtlich grundsätzlich der prozessual letztmögliche Beurteilungszeitpunkt - regelmäßig also der der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung - maßgeblich (RdNr. 11). BGH: Eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten vor vollständiger Erfüllung gehe zu Lasten des B. Dies gelte grundsätzlich auch bei fiktiver Schadensberechnung. Auch die Tatsache, dass der Schadensersatzanspruch in diesen Fällen von tatsächlich getätigten Aufwendungen losgelöst sei, ändere daran nichts (RdNr. 11ff.).

4. K trifft aber die Obliegenheit, sein Auto möglichst zeitnah nach dem Unfall reparieren zu lassen bzw. den Schaden abzurechnen. Die Preissteigerung geht daher zu seinen Lasten.

Nein!

Der Geschädigte muss nach § 254 Abs. 2 BGB den Schaden möglichst gering zu halten. Andernfalls ist sein Anspruch entsprechend zu kürzen. BGH: Von der Verletzung dieser Obliegenheit sei aber nur auszugehen, wenn K unter Verstoß gegen Treu und Glauben Maßnahmen unterlassen habe, die ein ordentlicher und verständiger Mensch ergreifen würde. Grundsätzlich sei es Sache des B, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Man könne K daher nicht aufbürden, den Schaden möglichst zeitnah beseitigen und dafür ggf. sogar in Vorleistung gehen zu müssen. K könne daher auch den durch die Preissteigerung erhöhten Betrag verlangen (RdNr. 16f.).

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Simon

Simon

30.8.2020, 19:21:19

Ich hätte die erhöhten Reperaturkosten nicht für ersatzfähig gehalten. §249 II 2 sagt ja, dass die Umsatzsteuer nur im SE mit inbegriffen ist, sofern sie tatsächlich anfällt. So würde ich es auch bei den erhöhten Reperaturkosten handhaben. Denn grds soll doch durch den SE der Zustand hergestellt werden, der ohne die RG-Verletzung bestehen würde. Der Schaden bemisst sich mE aber nicht an den Preisen einer best Werkstatt, va, wenn die Reperatur tatsächlich gar nicht vorgenommen wurde. Der Geschädigte ist ja prinzipiell auch dazu gehalten die kostengünstigere Reperaturmöglichkeit in Anspruch zu nehmen. Noch jmd, der es ähnlich sieht?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

9.9.2020, 21:33:11

Hallo Simon, danke für die Frage. Vorweg, die ständige Rechtsprechung des BGH zu den fiktiven Mängelbeseitigungskosten ist nicht ohne Kritik. So hat der V. Senat des BGH, für das Werkvertragsrecht kürzlich entschieden, dass keine fiktiven Mängelbeseitigungskosten verlangt werden können und entweder ein Mangel tatsächlich beseitigt werden muss, oder nur der mangelbedingte Minderwert ersatzfähig sein soll (BGHZ 218, 1; beachte auch die Anfrage des Kaufrechtssenats, der das anders sieht: BGH ZIP 2020, 1073). Bezogen auf unseren Fall hast du damit recht, dass der Käufer sich nicht die teuerste Werkstatt aussuchen darf, jedoch darf er nach den Preisen einer nahegelegen Fachwerkstatt abrechnen. Aus § 249 Abs. 2 S. 2 BGB kann sich, wegen des klaren Wortlauts "Umsatzsteuer" nichts anderes ergeben.

Simon

Simon

9.9.2020, 22:38:59

Danke für die Antwort. Die angegebenen Urteile waren äußerst lesenswert!


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