Beurteilung des Verhaltens eines „Abbruchsjägers“ bei eBay als rechtsmissbräuchlich


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B stellt einen Reifensatz im Wert von €1.701 bei eBay mit einem Startpreis von €1 ein. Er bricht die Auktion ohne Grund vorzeitig ab. Zu diesem Zeitpunkt ist K mit einem Gebot von €201 der Höchstbietende. In früheren Auktionen hat K bisher alle Artikel, auf die er erfolgreich geboten hat, auch abgenommen. K fordert B zur Herausgabe der Reifen gegen Zahlung von €201 auf. B verweigert dies. K möchte Schadensersatz.

Einordnung des Falls

Beurteilung des Verhaltens eines „Abbruchsjägers“ bei eBay als rechtsmissbräuchlich

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, wenn ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt und B schuldhaft die fällige Leistung nicht erbringt (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch ist §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB. Voraussetzung ist zunächst ein wirksamer Kaufvertrag. Die schuldhafte Pflichtverletzung liegt in der Nichtleistung trotz Möglichkeit, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit. K hat B auch eine Frist zur Leistung gesetzt (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Schaden besteht in der Differenz zwischen dem Wert der Reifen und dem Kaufpreis, hier also €1.500 (sogenanntes positives Interesse, Grüneberg in: Palandt, 79.A. 2020, vor § 249, RdNr. 16).

2. Trotz Abbruchs der Auktion ist ein Kaufvertrag zwischen K und B zustande gekommen.

Genau, so ist das!

Nach den eBay-AGB, die bei der Auslegung der Willenserklärungen von V und K zu berücksichtigen sind, kommt ein Kaufvertrag mit dem Höchstbietenden auch bei vorzeitiger Beendigung der Auktion zustande, es sei denn, der Anbieter war zur Rücknahme des Angebots berechtigt. Eine solche Berechtigung zur Angebotsrücknahme kann etwa darin liegen, dass der Anbieter erst nach Beginn der Auktion bemerkt, dass es sich um gestohlene Ware handelt. Diese Berechtigung hätte im Prozess allerdings B zu beweisen, wenn er sich auf das Vorliegen einer solchen Berechtigung beruft.

3. Der Schadensersatzanspruch ist ausgeschlossen, wenn K rechtsmissbräuchlich gehandelt hat.

Ja, in der Tat!

In Betracht kommt ein Ausschluss des Anspruchs wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB. BGH: Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sei anzunehmen, wenn die Absicht des Käufers von vornherein nicht auf den Erhalt der Ware als Erfolg des Vertrags, sondern allein auf dessen Scheitern und dadurch auf einen Schadensersatzanspruch gerichtet sei (sogenannter "Abbruchjäger"), (RdNr. 24). Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordere jedoch eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und müsse auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben (RdNr. 22).

4. Ein Rechtsmissbrauch läge z.B. vor, wenn K so viele Angebote auf verschiedene Artikel abgegeben hat, dass er die Gesamtsumme seiner Gebote nicht bezahlen könnte.

Nein!

BGH: Verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als Abbruchjäger zuließen, könnten nicht aufgestellt werden. Es komme auf eine umfassende Würdigung der Einzelumstände durch den Tatrichter an. (RdNr. 25). Die Gesamtsumme der gebotenen Geldbeträge sei aber schon deswegen unerheblich, weil ein Bieter bei niedrigen Geboten in den meisten Fällen überboten werde und er davon auch ausgehen könne (RdNr. 29).

5. Da K bisher alle Artikel, auf die er erfolgreich geboten hat, auch abgenommen hat, scheidet ein Rechtsmissbrauch als „Abbruchjäger aus.“

Genau, so ist das!

BGH: Ein Bieter, der bei erfolgreicher Auktion die jeweiligen Gegenstände auch abnimmt, handele regelmäßig nicht als „Abbruchjäger“ rechtsmissbräuchlich (RdNr. 30), denn dies widerspreche der Motivation, allein auf Schadensersatz abzuzielen. Es komme auch nicht darauf an, ob und wenn ja, wofür K eine Verwendung für die Waren, auf die er bietet, habe (RdNr. 32). Vorliegend hat K bislang alle Artikel, auf die er geboten hat, abgenommen. Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten. K handelt daher nicht rechtsmissbräuchlich und hat folglich einen Schadensersatzanspruch.

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Tigerwitsch

Tigerwitsch

4.3.2021, 22:36:23

Ich meine mich zu erinnern, dass man auch zwischen professionellen („bösen“) Abbruchjägern und demjenigen, der einfach ein Schnäppchen machen will, differenzieren könnte. Bei dem letzteren liege kein Rechtsmissbrauch vor. Bei ersteren könnte (Einzelfallabhängig) uU 242 BGB greifen... Liege ich da richtig?

Vulpes

Vulpes

5.3.2021, 07:21:37

Hallo Tigerwitsch ✌️ Da hast du meines Wissens nach absolut Recht. Genau diese Differenzierung wird auch bei der letzten Erklärung vorgenommen. B ist vorliegend nämlich eben kein Abbruchjäger.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.3.2021, 18:16:38

Hallo Tigerwitsch, in der Tat geht der BGH im Grundsatz davon aus, dass der Ebay-Käufer, der lediglich ein Schnäppchen machen will, darauf bestehen kann, dass der Vertrag durchgeführt wird. Insofern führt er auch aus, dass „die Annahme eines Rechtsmissbrauchs […] eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls [erfordert] und […] auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben [müsse]“ (vgl. BGH, Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475). Insofern muss man grds. vorsichtig mit der vorschnellen Annahme eines Rechtsmissbrauches vorgehen. Ein solcher Ausnahmefall könne bei Bietern vorliegen, bei denen „die Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrags, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist“.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.3.2021, 18:17:01

Also dann, wenn sie „den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben [wollen], sondern [ihr Gebot] auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (sog. Abbruchjäger).“ An genau dieser Stelle ist also im Einzelfall zu prüfen, ob eine solche rechtsmissbräuchliche Gesinnung vorliegt und § 242 BGB angewendet werden kann. Die Entscheidung hierüber überträgt der BGH den Tatrichtern der Ausgangsinstanz, wobei er wiederholt betont, dass insofern keine schematische Prüfung vorgenommen werden dürfe, sondern alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen und die Entscheidungen insofern auch nur beschränkt durch ihn selbst überprüfbar sind. Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team


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