Zivilrecht
Sachenrecht
Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Kenntnis der Anfechtbarkeit, § 142 Abs. 2 BGB
Kenntnis der Anfechtbarkeit, § 142 Abs. 2 BGB
19. Mai 2025
31 Kommentare
4,8 ★ (52.812 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E verkauft und übereignet seine wertvolle Uhr an B, da B ihm mit Gewalt droht. E erklärt später gegenüber B, alles anzufechten. B veräußert die Uhr weiter an G. G weiß, dass E dem B die Uhr nur infolge der Androhung von Gewalt verkauft und übereignet hat.
Diesen Fall lösen 77,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Kenntnis der Anfechtbarkeit, § 142 Abs. 2 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B hat nach § 929 S. 1 BGB zunächst (vor Anfechtung) Eigentum an der Uhr erlangt.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. E kann den Kaufvertrag mit B wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) anfechten.
Ja, in der Tat!
3. Durch die Anfechtung des Kaufvertrags fällt das Eigentum an der Uhr zurück an E.
Nein!
4. E kann die Übereignung an B wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) anfechten.
Genau, so ist das!
5. B war im Zeitpunkt der Veräußerung der Uhr an G Eigentümer.
Nein, das trifft nicht zu!
6. G hat Eigentum nach § 929 S. 1 BGB erlangt.
Nein!
7. G hat Eigentum nach §§ 929 S. 1, 932 BGB erlangt.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🦊LEXDEROGANS
5.2.2020, 14:13:24
Bzgl. der ersten Frage (“Hat B von E Eigentum nach § 929 S. 1 BGB erlangt?”): Kann man wirklich sagen, dass B von E Eigentum “erlangt” hat, wenn ex tunc das (dingl.)
Rechtsgeschäftnichtig ist?

Eigentum verpflichtet 🏔️
16.7.2020, 09:42:58
Hallo Lexderogans, du hast absolut Recht, nur bevor E die Anfechtung erklärt hat, hatte B das Eigentum. Danach ist es qua rechtlicher Fiktion auch für die Vergangenheit weggefallen. Haben versucht das jetzt in der Frage kenntlich zu machen.

Isabell
11.2.2020, 18:42:52
Die Frage bzgl. der Eigentümerstellung von B bei der Veräußerung an G finde ich irgendwie unglücklich. Denn die Anfechtung findet doch erst hinterher statt. Also war B bis zur Anfechtung sehr wohl Eigentümer.

ErdbärIn
14.6.2020, 22:48:13
Ja, das hatte ich eigentlich auch so verstanden.

Eigentum verpflichtet 🏔️
16.7.2020, 09:04:25
Hallo ihr beiden, in der aktuellen Version des Falls ficht E zur Klarheit vor der Veräußerung an.

Eigentum verpflichtet 🏔️
16.7.2020, 09:06:30
Zumal aber auch immer die ex tunc Nichtigkeit der Anfechtung nach 142 I BGB zu beachten ist. Demnach wurde B niemals Eigentümer, da aufgrund von
Fehleridentitätauch die
dingliche Einigungangefochten wurde.
Michelle
24.8.2020, 11:01:02
Also reicht es für die
Bösgläubigkeit des Zweiterwerbers nicht aus, dass diesem nur die Umstände, aus denen sich die Anfechtbarkeit ergibt, bekannt sind? Es muss noch zusätzlich die Anfechtung tatsächlich erfolgt sein?
Jean-Pierre
24.8.2020, 11:10:29
Doch, das reicht aus. So steht es auch da: Kenntnis der Anfechtbarkeit.

Eigentum verpflichtet 🏔️
24.8.2020, 14:21:28
Hallo ihr beiden, vielen Dank für die Frage. Stellen wir uns mal vor, der Fall bleibt genau so, außer dass E nicht (auch nicht später, also nie) anficht. Dann könnte B als Eigentümer der Uhr, nach § 929 S. 1 BGB dem G das Eigentum verschaffen. Von daher hast du recht Michelle. Sollte aber E irgendwann (vor Ende der Frist des § 124 BGB (1-10 Jahre) anfechten, wäre B nie Eigentümer der Uhr geworden und G hätte weder nach § 929 S. 1 noch §§ 932, 929 S. 1 BGB Eigentum erwerben können, da er nach §§ 932 II,
142 IIbösgläubig
war (Kenntnis der Anfechtbarkeit). Ob G Kenntnis der Anfechtungserklärung hat, ist irrelevant. Ich hoffe damit ist es klar. Falls ihr noch Fragen habt, stellt diese gerne!

Hamburger Michel
6.10.2020, 19:31:00
Hallo Eigentum verpflichtet, das ist eine gute Erklärung. Bei der Thematik hilft auch der Wortlaut des §
142 II: Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste (darauf bezieht sich die Gutgläubigkeit), wird, WENN die Anfechtung erfolgt (Voraussetzung, dass sich das auswirken kann), so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des
Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen. LG Hamburger Michel

Ira
12.8.2021, 12:04:15
wie prüft man die Anfechtung dann genau? (1) Anfechtung des VerpflichtungsG (+) (2) Anfechtung VerfügungsG wg
Fehleridentität(+)? oder Anfechtung VerpflichtungsG und selbige RF für VerfügungsG wg
Fehleridentität?

Lukas_Mengestu
2.12.2021, 13:36:34
Hallo Ira, mit dem Begriff der
Fehleridentitätmuss man immer etwas vorsichtig sein. Denn letztlich ist das
Verfügungsgeschäftnicht unwirksam, weil das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist (=kausaler Zusammenhang). Vielmehr sind die beiden Geschäfte unabhängig voneinander aufgrund des gleichen Fehlers unwirksam. Durch den Begriff der
Fehleridentitätpassiert es leicht, dass man die bestehende Trennung der Geschäfte unzulässig vermengt. Die Prüfung in der Klausur hängt ein wenig von der Fallfrage ab. In der Regel wird es um den Herausgabeanspruch des E gehen (§ 985 BGB). Hier müsste dann beim Punkt "Eigentum" die
Anfechtung der dinglichen Einigunggeprüft werden. Auf das
schuldrechtliche Geschäft kommt es insoweit nicht an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper
13.10.2022, 21:16:46
Kann man das auch anders sehen? 932 schützt ja den guten Glauben an das Eigentum. Wogegen 142 ja ne rechtliche Wertung fingiert. Platt gesagt: G kann ja auch sagen "keine ahnung Anfechtung Manfechtung habe echt geglaubt B ist jetzt Eigentümer" und damit wäre er ja durch. Inwieweit man ne rechtliche subsumtion vom erwerber verlangen kann ist ja schwierig. Finde hier A.A. gut vertretbar wenn G tatsächlich vom Eigentum des B trotz Kenntnis der anfechtbarkeit ausging, denn finde das jetzt nicht fahrlässig für den Laien wenn man nicht weiß dass 123 + 142 + Fehleridentitär zur ex tunc Wirkung der ubereignung führt?

paul
27.3.2023, 12:12:42
Es wird keine rechtliche Subsumtion verlangt. Kenntnis der die Anfechtbarkeit begründenden Umstände (
Drohung) reicht aus. Die Norm schützt ja den Anfechtenden vor dem Rechtsverlust nach erfolgter Anfechtung und gleichzeitig sieht sie den gutgläubigen Erwerber ja nicht als schutzwürdig an, wenn dieser von der Anfechtbarkeit weiß oder wissen müsste. Gutgläubig bzgl. Eigentum muss dennoch er so oder so sein, damit er das Eigentum überhaupt erwerben kann. Also summa summarum eine sehr ausgeglichenes Schutzverhältnis zwischen Anfechtenden und Erwerber, die keinen Grund für eine teleologische Reduktion nur ansatzweise hergibt.

paul
27.3.2023, 12:23:01
Die
142 IIwäre im Zusammenhang mit den gutglaubensvorschriften überflüssig wenn der Erwerber die komplette rechtliche Subsumtion kennen und machen müsste, denn dann wäre er ja gar nicht mehr gutgläubig bzgl Eigentum.
Dominic
8.8.2023, 21:43:38
Kurze Verständnisfrage: Wenn B und G die
Übereignungzeitlich vor der Anfechtung vornehmen: Dann wäre G doch Eigentümer geworden oder? (Trotz seiner Kenntnis von den Umständen, wie B Eigentümer geworden ist) Käme der E irgendwie wieder an sein Eigentum ran?
Leo Lee
9.8.2023, 14:43:48
Hallo Dominic, das mag auf den ersten Blick tatsächlich so scheinen, denn immerhin würde in deinem Fall der G vom Berechtigten (also noch vor der Anfechtung) erwerben. Beachte jedoch, dass die Anfechtung eine EX TUNC Wirkung hat, womit die Rechtslage nunmehr so ist, dass wir so tun, als hätte die
Übereignungzw. E und B niemals stattgefunden. Daraus ergibt sich: E hat mangels Einigung (§ 142 I BGB!) nie an den B übereignet. Der B hat wiederum als Nichtberechtigter (weil die Anfechtung eben zurückwirkt und so tut, als hätte der E niemals an B übereignet) an den G übereignet, womit nur noch ein Erwerb über § 932 I BGB in Betracht kommt :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Dominic
9.8.2023, 14:46:58
Oh vielen Dank, daran habe ich gar nicht gedacht!
Leo Lee
9.8.2023, 14:54:01
Sehr gerne Dominic :)
evanici
14.9.2023, 17:36:41
Im Zweifel ist der Zeitpunkt, ob die Anfechtung vor oder nach der Veräußerung an G stattfindet im Ergebnis wegen der ex-tunc-Nichtigkeit also egal, solange G positive Kenntnis von der Anfechtungslage zwischen E und B hat, oder?
Leo Lee
16.9.2023, 16:57:27
Hallo evanici, genauso ist es :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

MenschlicherBriefkasten
10.1.2024, 18:51:04
Warum ist der Vertrag nicht von vornherein sittenwidrig?
Drohungmit Gewalt verstößt doch gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen?
Zlatan1328
11.1.2024, 20:32:44
Weil sich die Sittenwidrigkeit auf das
Rechtsgeschäftan sich bezieht. Der Kauf einer Uhr ist nicht sittenwidrig.

Steinfan
13.3.2024, 13:21:45
Nein, das der Vertrag bei
Drohunggrundsätzlich nicht sittenwidrig ist, ergibt sich vielmehr aus der Existenz des
§ 123 BGB. “Ist ein
Rechtsgeschäftdurch
arglistige Täuschungoder widerrechtliche
DrohungiSv § 123 zustande gekommen, ist es nach Maßgabe jener Vorschrift lediglich anfechtbar und nicht etwa schon wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 nichtig (BGH NJW 2021, 3179 (3183)). Kommen allerdings zusätzlich besondere Umstände zu der durch
arglistige Täuschungoder widerrechtliche
Drohungbewirkten Willensbeeinflussung hinzu, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen, kommt im Einzelfall bereits eine Nichtigkeit nach § 138 in Betracht (BGH NJW 2021, 3179 (3183)), sodass es keiner Anfechtung mehr nach § 123 bedarf; das kann zB dann der Fall sein, wenn sich ein Vertragsteil auf Grund einer ihm arglistig vorgetäuschten Zwangslage auf ein Geschäft einlässt, bei dem Leistung und Gegenleistung in einem zu seinen Ungunsten auffälligen Missverhältnis zueinander stehen.” (BeckOK BGB/Wendtland, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 138 Rn. 5)

Rechthaber
4.5.2024, 15:35:26
Es schadet positive Kenntnis oder einfache Fahrlässigkeit von den Umständen, die zur Anfechtung berechtigen, da
142 IIvon kennen musste spricht. (siehe 122 II BGB) Ihr schreibt in eurer Aufgabe, dass positive Kenntnis und grobe Fahrlässigkeit schadet.

Rechthaber
4.5.2024, 15:38:15
Ich glaube ich habe meinen Fehler erkannt, im Rahmen von 932 wird der Maßstab modifiziert, oder ? Zumindest wäre es erwähnenswert, da
142 IIja eigl bereits einfache Fahrlässigkeit genügen lässt.

Nora Mommsen
5.5.2024, 15:19:19
Hallo Marcela, danke für deine Frage. § 142 Abs. 2 BGB hat tatsächlich auf den Gutglaubensmaßstab gar keinen Einfluss. Denn er definiert nicht die Gutgläubigkeit als solche, sondern deren Bezugspunkt. Neben der Berechtigung muss die Gutgläubigkeit auch die fehlende Anfechtbarkeit des
Rechtsgeschäfts erfassen. Der § 142 Abs. 2 BGB verlagert also nur den Bezugspunkt des guten Glaubens von der Nichtigkeit eines
Rechtsgeschäfts auf dessen Anfechtbarkeit. Wer die Anfechtbarkeit eines
Rechtsgeschäfts kennt, wird im Fall der Anfechtung so behandelt, als hätte er die Nichtigkeit gekannt. Wer die Anfechtbarkeit kennen musste, wird so behandelt, als hätte er die Nichtigkeit kennen müssen. Ob das Kennenmüssen der Nichtigkeit bereits für bösen Glauben reicht, ergibt sich hingegen nicht aus § 142 Abs. 2 BGB, sondern aus der jeweiligen Gutglaubensvorschrift, die über § 142 Abs. 2 BGB auf eine andere Tatsache (nämlich Anfechtbarkeit an Stelle von Nichtigkeit) bezogen wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
I
25.5.2024, 02:13:51
In der Subsumtion heisst es: SUBSUMTION B und G haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. B hat G die Uhr übergeben. B und G
waren zum Zeitpunkt der Übergabe einig, dass das Eigentum an G übergehen soll. B war nicht verfügungsbefugt. G wusste hier von der Anfechtbarkeit des
Verfügungsgeschäfts zwischen E und B. G war somit auch nicht gutgläubig (§§ 142 Abs. 2, 932 Abs. 2 BGB). Zum Zeitpunkt der Verfügung
waren das
schuldrechtliche und dingliche
Rechtsgeschäftbereits angefochten. Insofern kann finde ich die Aussage, dass G von der Anfechtbarkeit des
Verfügungsgeschäfts wusste, schwierig. Müsste man nicht auf die tatsächliche Anfechtung durch E abstellen (wie im Sachverhalt beschrieben?). Oder kommt es tatsächlich auf das Wissen um eine abstrakte Anfechtbarkeit maßgeblich an, unabhängig weiterer tatsächlicher Umstände?

Nora Mommsen
25.5.2024, 11:34:44
Hallo I, danke für deine Frage! Hier hilft ein Blick in den § 142 Abs. 2 BGB weiter. Dieser normiert den Anknüpfungspunkt der Gutgläubigkeit im Falle einer Anfechtung. Demnach ist "(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste" so zu behandeln, als "wenn er die Nichtigkeit des
Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen". Es kommt also nicht auf die Anfechtung als solche, sondern die Anfechtbarkeit des
Rechtsgeschäfts an. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
YI
17.11.2024, 11:53:03
Die Frage: "B war im Zeitpunkt der Veräußerung der Uhr an G Eigentümer." müsste meiner Meinung nach etwas konkretisiert werden. Ein Zusatz "nach Anfechtung" wäre ganz sinnvoll. Zwar wird durch die Anfechtung die Veräußerung ex tunc nichtig aber ohne Annahme der Anfechtung, wie die Frage für mich zu verstehen war, war B im Zeitpunkt der Veräußerung Eigentümer. Mit freundlichen Grüßen

Kathi
26.3.2025, 12:16:52
Hi, das Prinzip der
Fehleridentitätverstehe ich. Aber wann kann man dies annehmen? Was sind typische Beispiele dafür?