Vollständigkeit einer Rechtsmittelbelehrung für Klageerhebung in elektronischer Form


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L erhält einen Widerspruchsbescheid mit Belehrung über die Möglichkeit der Klageerhebung „schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“. L meint, die Belehrung sei unrichtig, weil die E-Mail-Adresse des Gerichts fehlt.

Einordnung des Falls

Vollständigkeit einer Rechtsmittelbelehrung für Klageerhebung in elektronischer Form

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung hat zur Folge, dass für die Einlegung des Rechtsbehelfs eine andere, längere Frist gilt.

Ja, in der Tat!

Die (Un-)Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung hat Auswirkungen auf die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs. Die Frist für einen Rechtsbehelf (z.B. § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO) beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte ordnungsgemäß belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1 VwGO). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden, beginnt die gesetzliche Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen. Das bedeutet, dass das Einlegen des Rechtsbehelfs nicht durch die Fristen beschränkt ist, die für ihn an sich gesetzlich normiert sind. An die Stelle der gesetzlichen Rechtsbehelfsfrist tritt eine Ausschlussfrist von einem Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO).

2. Eine Belehrung über die verschiedenen Formen des einzulegenden Rechtsbehelfs (schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten oder elektronisch) ist zwingend erforderlich.

Nein!

Zwingend gesetzlich erforderlich ist nur, dass der Beteiligte über (1) den Rechtsbehelf, (2) das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, (3) den Sitz dieses Gerichts und (4) die einzuhaltende Frist belehrt wird (§ 58 Abs. 1 VwGO). In der Rechtsprechung des BVerwG ist anerkannt, dass eine Belehrung über die verschiedenen Formen der Einlegung des Rechtsbehelfs nicht erforderlich ist (vgl. BVerwGE 50, 248) (RdNr. 6).

3. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist auch dann „unrichtig“ (§ 58 Abs. 2 VwGO), wenn ihr unrichtige oder irreführende Zusätze beigefügt werden.

Genau, so ist das!

Die Unrichtigkeit kann sich auch aus einem nicht erforderlichen Zusatz ergeben, der fehlerhaft oder irreführend und dadurch generell geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorzurufen. Wenn (trotz fehlender Pflicht) eine Belehrung über die verschiedenen Formen der Rechtsbehelfseinlegung erfolgt, aber auf die elektronische Form nicht hingewiesen wird, wird darin z.T. ein irreführender, weil unvollständiger Zusatz (§ 58 Abs. 2 VwGO) gesehen. Dieses Problem stellt sich hier jedoch nicht, da der Widerspruchsbescheid über alle drei Formen der Klageerhebung informiert (RdNr. 6).

4. Die Pflicht zur Belehrung über den Sitz des Gerichts (§ 58 Abs. 1 VwGO) verlangt die Angabe des Ortes und die postalische Anschrift.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch hier verweist das OVG auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG (vgl. BVerwGE 25, 261): Die Rechtsmittelbelehrung diene nur dazu, die Rechtsunkenntnis des Rechtssuchenden in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu beseitigen. Dagegen sei es nicht auch noch Aufgabe der Belehrung, ihm Erkundigungen in postalischer Hinsicht abzunehmen. Beschränkt sich die Rechtsmittelbelehrung also auf die Nennung des Namens des Gerichts, genügt dies den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO, wenn sich daraus auch zweifelsfrei der Ort des Gerichtssitzes ergibt (RdNr. 7).

5. Die vorliegende Rechtsmittelbelehrung ist unrichtig (§ 58 Abs. 2 VwGO), da sie den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO aufgrund der fehlenden Angabe der E-Mail-Adresse des Gerichts nicht genügt.

Nein!

OVG: § 58 Abs. 1 VwGO verlange im Hinblick auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form nicht, noch zusätzlich die E-Mail-Adresse des Gerichts zu benennen. Das OVG argumentiert hier entsprechend der st.Rspr. des BVerwG zur Entbehrlichkeit der postalischen Adresse: Es dürfe erwartet werden, dass ein Kläger mit den technischen Möglichkeiten und Kenntnissen für eine Klageerhebung in elektronischer Form in der Lage ist, die E-Mail-Adresse des Gerichts über dessen Internetseite zu ermitteln (RdNr. 8). Dies ergebe sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (RdNr. 11).

6. Für die Rechtsbehelfseinlegung in elektronischer Form genügt eine einfache E-Mail.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die elektronische Form der Rechtsbehelfseinlegung ist an besondere technische Anforderungen geknüpft und eine einfache E-Mail ist – entgegen dem allgemeinen Sprachverständnis – hierfür nicht ausreichend (vgl. § 55a VwGO). Ein Hinweis auf die besonderen technischen Voraussetzungen unter Bezugnahme auf die jeweils einschlägigen (z.T. auch landesrechtlichen) Rechtsgrundlagen ist grundsätzlich notwendig, wenn man – überobligatorisch – die Möglichkeit der elektronischen Form nennt. Hierfür soll aber ein „ausgegliederter“ Hinweis genügen, der selbst nicht Teil der Rechtsbehelfsbelehrung sein muss. Die Entscheidung ist umstritten.

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Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

5.9.2020, 12:12:44

Dieser Fall erscheint uns sehr examensrelevant. Die Klageerhebung in elektronischer Form wird in Zukunft größere Bedeutung beanspruchen, aber noch sind nicht alle Anforderungen höchstrichterlich geklärt. Dabei halten wir diese Entscheidung des OVG für streitig: So ist der Vergleich, den das OVG zur Rechtsprechung des BVerwG zur Entbehrlichkeit der postalischen Adresse zieht, wenig überzeugend. Denn für die Einhaltung der elektronische Form ist deutlich mehr erforderlich als die Einreichung des Rechtsbehelfs über die E-Mailadresse des Gerichts (elektronische Signatur, zulässige Dateiformate, etc.). Zudem könnte es irreführend sein, wenn ein Hinweis auf die besonderen technischen Voraussetzungen zur Einhaltung der elektronischen Form außerhalb - nicht in - der Rechtsbehelfsbelehrung erfolgt.


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