Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Grundlagen des Schadensersatzes (§ 280 Abs. 1 BGB) (Leistungsstörungsrecht)
Stillschweigende Haftungsbeschränkung + unentgeltliche Geschäfte
Stillschweigende Haftungsbeschränkung + unentgeltliche Geschäfte
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
W bietet seinem Kollegen L an, ihn unentgeltlich mit zum Betriebsausflug nach Potsdam zu nehmen. Aufgrund leicht überhöhter Geschwindigkeit des W kommt es zu einem Unfall bei dem L ein Schleudertrauma erleidet.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Stillschweigende Haftungsbeschränkung + unentgeltliche Geschäfte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. L könnte gegen W einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Durch die Mitnahme im Auto haben W und L ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis in Form eines Auftrages begründet (§ 662 BGB).
Nein!
3. L könnte gegen W einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB haben.
Genau, so ist das!
4. Indem W mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, hat er kausal und rechtswidrig Ls Körper und Gesundheit geschädigt.
Ja, in der Tat!
5. W hat L fahrlässig verletzt.
Ja!
6. Bei reinen Gefälligkeitsverhältnissen ist das Verschulden nach einem Teil der Literatur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt.
Genau, so ist das!
7. Da W den L unentgeltlich mitgenommen hat, ist seine Haftung nach der herrschenden Meinung generell auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Nein, das trifft nicht zu!
8. W und L haben stillschweigend vereinbart, dass die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist.
Nein!
9. L hat einen deliktischen Anspruch auf Schadensersatz gegen W aus § 823 Abs. 1 BGB.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Elarp
1.2.2022, 12:58:21
Warum wird bei Aufgabe 1 ein Schadensersatzanspruch aus §280 I BGB für möglich gehalten, wenn der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt für ein rechtsgeschäftliches oder rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis bietet?
Victor
1.2.2022, 14:57:48
Um die Abgrenzung
GefälligkeitsV mit Rechtsbindungswille/
Gefälligkeitdes täglichen Lebens ohne Rechtsbindungswille hervorzuheben und hinsichtlich der oft nicht einfachen Abgrenzung zu sensibilisieren. In einem Gutachten wäre das gerade zu thematisieren. Da im SV keine Anhaltspunkte für einen RBW besteht kann man sich da kurz fassen.
QuiGonTim
22.7.2022, 17:07:12
Das Für-möglich-Halten in der ersten Aufgabe ist eher als Obersatz zu verstehen. Er leitet die Prüfung ein.
Burumar🐸
4.5.2022, 12:59:25
In Vorlesung und AG wurde bei uns gelehrt, dass in solchen Fällen auch ein Anspruch aus §280I, 241II i. v. m. 311II Nr.3 bestehen könnte. Es wird also nicht zwischen
Gefälligkeitsvertragund
Gefälligkeitssverhältnis unterschieden, sonder in drei Schritten:
Gefälligkeitsvertrag,
Gefälligkeitsverhältnisund reine
Gefälligkeit. Dazu finde sich auch (wenn auch nur beiläufig) etwas in den gängingen Lehrbüchern (Brox/Walker und Looschelders). Sollte man ggf. mit aufnehmen.
Lukas_Mengestu
4.5.2022, 16:08:48
Hallo Burumar, in der Tat wird dies teilweise in der Literatur vertreten. Von der hM (u.a. der Rechtsprechung) wird diese Unterteilung dagegen nicht geteilt. Das "
Gefälligkeitsverhältnismit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter", welches lediglich Schutz-, aber keine
Leistungspflichtenbegründet, wird u.a. deshalb abgelehnt, da sich § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausschließlich auf geschäftliche Kontakte beschränkt und insofern rein soziale Kontakte gerade nicht einbezieht (vgl. auch Grüneberg, in: Grüneberg, 81.A. 2022, Einl. v. § 241 RdNr. 8). Wir nehmen das aber gerne noch auf unsere Liste auf und ergänzen hier einige Aufgaben in Abgrenzung zu den Fällen zur "reinen
Gefälligkeit". Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
4.6.2023, 03:35:09
Bei
Gefälligkeitenliegt kein Rechtsgeschäft vor, so dass nur eine deliktische Haftung in Betracht kommt. Kann bei einer deliktischen Haftung eine
Haftungsprivilegierungvereinbart werden, ohne dass ein Rechtsgeschäft vorliegt?
haxna
16.1.2024, 16:00:07
Kann mir jemand erklären, warum eine stillschweigende
Haftungsprivilegierungnur der Versicherung zugute kommt und nicht dem Schädiger? Ich stehe da immer auf dem Schlauch..
Wolli
25.1.2024, 10:39:22
Selbst wenn der Schädiger mangels
Haftungsprivilegierunghier zahlen müsste würde im Ergebnis wg. seiner regressmöglichkeit bei der Versicherung allein diese haften. Rein wirtschaftlich betrachtet käme also die Annahme einer
konkludenten
Haftungsprivilegierungallein der Versicherung zugute.
QuiGonTim
29.1.2024, 07:04:55
Könnte mir bitte nochmal jemand erklären, warum hier (im Vergleich zu den Blumentopffällen) keine stillschweigende
Haftungsprivilegierungangenommen wird? Im Sachverhalt ist die Haftpflichtversicherung nicht erwähnt. Außerdem wäre es kaum denkbar, dass der Fahrer, wäre die Rechtslage vorher besprochen worden, nicht berechtigterweise einen Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit gefordert hätte. Angesichts des auch bei bloß leichter Fahrlässigkeit hohen Gefahrenpotentials des Straßenverkehrs und dem damit einhergehenden Haftungsrisiko für den Fahrer wäre einen solchen Ansinnen wohl nachvollziehbar.
kaan00
30.1.2024, 10:48:15
Ja das frage ich mich auch und war die Tatsache, dass es sich um die Anreise zu einem Betriebsausflug (?) handelt gar nicht zu thematisieren?
HannaHaas
7.2.2024, 18:37:54
Ich denke der Unterschied zum Blumentopffall liegt darin, dass der Fahrer vorliegend eine Kfz Haftpflichtversicherung hat (steht im Vertiefungshinweis) und schon deswegen nicht stillschweigend einen Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit ausschließen kann, denn seine Versicherung würde dafür einstehen. Wenn er diese Haftung aber ausschließt, dann würde dies nur seiner Versicherung zugutekommen (sie müsste gar nicht mehr für die leichte Fahrlässigkeit einstehen). Beim Blumentopffall hat der B wiederum keine Versicherung( die dann besser stehen würde, wenn er einen solchen Haftunsausschluss vereinbaren würde), sondern der Haftungsausschluss käme nur ihm zugute. Daher gilt die Vereinbarung zu seinen Gunsten als stillschweigend vereinbart. Naja ich hoffe, dass ich das selber verstanden habe und weiterhelfen konnte :)
Peter im Pech
20.2.2024, 15:35:29
Also ich verstehe hier den theoretischen Grundgedanken. Aber letztlich muss der Versicherungsnehmer durch die höheren Versicherungsbeiträge nach dem Unfall ja auch wieder dafür aufkommen. Als Jungfahrer und Unfallverursacher merkt man das ganz schnell am eigenen Geldbeutel;( Spielt diese Erwägung eine Rolle?
Natze
29.8.2024, 15:05:36
Der erhöhte Versicherungsbeitrag spielt keine Rolle. Habe ich auch mal unseren Prof gefragt 😊
MK-
13.5.2024, 14:31:47
Ich verstehe nicht ganz, weshalb im Rahmen deliktischer Ansprüche über eine etwaig (komkludent) vereinbarte Haftungsbeschränkung diskutiert wird… wenn schon kein Rechtsbindungswille bzgl. eines Vertragsverhältnisses angenommen wird, können doch schon garnicht Vereinbarungen hinsichtlich möglicher Haftungsbeschränkungen einschlägig sein, oder nicht?
Maximilian Puschmann
13.5.2024, 18:26:57
Hallo MK-, Grund hierfür ist, dass die Abgrenzung zwischen reinen unverbindlichen
Gefälligkeitenim Alltag und so genannten "
Gefälligkeitsverträgen" fließend ist. Jedoch steht in solch einem Fall der nette Freund, der dich als
Gefälligkeitirgendwohin mitnimmt, schlechter da. Deswegen versuchen Stimmen in der Literatur dem abzuhelfen, indem sie die Haftung auf
Vorsatzund Fahrlässigkeit beschränken wollen. Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team
FW
5.11.2024, 23:04:38
Hi, ich hatte im Studium gelernt das bestimmte Haftungsbeschränkungen (z.B. die eigenübliche Sorgfalt) nicht im Straßenverkehr gelten, da hier kein Platz für individuelle Sorgfaltsprivilegierungen bestehen darf. Dies insbesondere im Kontext, wo die Eltern ihr Kind fahrlässig im Straßenverkehr spielen lassen haben, wodurch ein Unfall verursacht worden ist. Kann man diesen Gedanken nicht auch hier heranziehen und argumentieren, dass dann Haftungsbeschränkungen im Straßenverkehr keinen Platz haben. Wenn schon ein gesetzlichef Haftungsprivilegierubg nicht greift, dann ja auch erst recht nicht eine vertragliche, oder?