Zivilrecht

Schadensrecht

Haftungsbeschränkungen

Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)

Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A bittet Nachbarin B während ihres Urlaubs in ihrem Haus ihre Zimmerpflanzen zu gießen. Hierfür erhält B keine Vergütung. Aus leichter Fahrlässigkeit stößt B eine Pflanze vom Fensterbrett und zerstört sie. B hat keine Haftpflichtversicherung für Gefälligkeitsschäden.

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Einordnung des Falls

Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für einen Schadensersatzanspruch müsste ein Schuldverhältnis zwischen A und B bestehen. In Betracht kommt ein Auftrag (§ 662 BGB). Fraglich ist, ob A und B einen Vertrag geschlossen haben oder nur ein reines Gefälligkeitsverhältnis vorliegt. Die Abgrenzung erfolgt nach dem Rechtsbindungswillen der Beteiligten. Ein Rechtsbindungswille liegt vor, wenn bei den Beteiligten der Wille bestand, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen einzugehen oder entgegenzunehmen. Ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, richtet sich nach den Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art und Grund der Zusage, der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung des Vorgangs, sowie nach der bestehenden Interessenlage. Hier wollte B der A nur einen nachbarschaftlichen Freundschaftsdienst erweisen. Es bestanden auch keine erheblichen wirtschaftliche oder rechtlichen Interessen am Blumengießen.
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2. B hat eine kausale Rechtsgutsverletzung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Pflanzen standen im Eigentum der A. Eine Eigentumsverletzung ist (1) die Einwirkung auf die Sachsubstanz, (2) die Entziehung oder (3) Vorenthaltung der Sache oder (4) eine schwerwiegende Beeinträchtigungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache.Indem B die Pflanze von der Fensterbank stieß, hat er sie zerstört und damit auf ihre Sachsubstanz eingewirkt. B hat das Eigentum der A verletzt. Die Verletzungshandlung der B war kausal für die Eigentumsverletzung.

3. B hat die Zerstörung der Pflanze fahrlässig verschuldet (§§ 823 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB).

Ja!

Ein Verschulden liegt vor, wenn der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 823 Abs. 1 BGB).Hier hat B leicht fahrlässig gehandelt. Etwas anders gilt nur, wenn zugunsten der B ein gesetzlicher oder vertraglicher Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit angenommen werden kann.

4. Bei unentgeltlichen Verträgen ist der Haftungsmaßstab in der Regel beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§§ 521, 599, 690 BGB). Diese Haftungsbeschränkung ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nach der Rechtsprechung analog auf Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden.

Nein, das ist nicht der Fall!

e.A. (z.B. Medicus): Es bestehe ein allgemeiner Rechtsgedanke, nach dem bei Gefälligkeitsverhältnissen die gesetzlichen Haftungsbeschränkungen bei unentgeltlichen Verträgen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§§ 521, 599 BGB) bzw. die eigenübliche Sorgfalt (diligentia quam in suis, §§ 690, 277 BGB) analog angewendet werden. Dies entschärfe auch die oft schwierige Abgrenzung zwischen Vertrag und Gefälligkeitszusage. Der BGH lehnt diese Gesamt-Analogie ab. Die Haftungsbeschränkungen könnten nicht allgemein auf Gefälligkeitsverhältnisse ausgedehnt werden. Dies ergebe sich schon daraus, dass auch bei einzelnen unentgeltlichen Verträgen, wie dem Auftrag (§ 662 BGB) keine Haftungsbeschränkung vorgesehen sei. Zudem könne, wer sich der vertraglichen Bindung entzieht (im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses) grundsätzlich keine vertraglichen Privilegierungen in Anspruch nehmen. Dies führt dazu, dass B grundsätzlich voll aus § 823 BGB haftet.

5. A und B haben nach hM einen stillschweigenden Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit vereinbart.

Ja, in der Tat!

BGH: Um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, sei teilweise von einem stillschweigenden Haftungsausschluss im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) auszugehen. Voraussetzung ist, dass der Schädiger, wäre die Rechtslage vorher besprochen worden, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen dürfen. An diesen Voraussetzungen fehle es, wenn der Schädiger gegen Haftpflicht-Schäden versichert sei. Eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherter entlastet, entspreche in der Regel nicht dem Willen der Beteiligten. B hat keine Haftpflichtversicherung die für die zerstörte Pflanze aufkommen würde. Zwischen A und B besteht somit ein stillschweigender Haftungsausschluss (mit Ausnahme von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit). Da B nur leicht fahrlässig gehandelt hat, hat er die Eigentumsverletzung nicht zu verschulden. A hat keinen Anspruch gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

5.8.2021, 19:27:02

Ich dachte der § 276 dürfe im Deliktsrecht nicht herangezogen werden?

Marilena

Marilena

5.8.2021, 22:52:31

Hi Jose, kann es sein, dass Du § 276 und § 278 verwechselt hast? 🙂 Die Zurechnungsnorm § 278 BGB ist im Deliktsrecht nicht anwendbar. Grund hierfür ist, dass § 278 BGB ein bestehendes Schuldverhältnis bei Schadenseintritt voraussetzt. Im Rahmen von § 823 BGB entsteht das Schuldverhältnis aber erst mit Schadenseintritt. Ist die

Verschuldensfähigkeit

des Schädigers nach §§ 827, 828 BGB festgestellt, ist zu prüfen, ob der Schädiger i.S.d.

§ 276 BGB

vorsätzlich oder fahrlässig handelte.

§ 276 BGB

findet im Deliktsrecht Anwendung. Liebe Grüße für das Jurafuchs-Team, Marilena

JO

Jose

5.8.2021, 23:08:12

Ah ja, alles klar, danke!

Marilena

Marilena

5.8.2021, 23:09:55

Gerne.

Tim

Tim

8.6.2023, 23:43:26

Warum wird immer § 276 Abs. 1 BGB zitieret und nicht Abs. 2 ? Die Fährlässigkeit ist im § 823 Abs. 1 BGB doch explizit genannt. Kommt es daher nicht nur noch auf § 276 Abs. 2 BGB für die Definition an?

🦊²

🦊²

11.10.2021, 15:23:18

Ich versteh nicht ganz, wie eine

ergänzende Vertragsauslegung

vorgenommen werden kann, wenn nur eine reine

Gefälligkeit

vorliegt. Müsste man die Vorschriften der ergänzenden

Vertragsauslegung

in diesem Fall nicht entsprechend anwenden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.10.2021, 09:56:39

Hallo Fuchs², klasse Hinweis! Deine Bedenken sind super, denn aus dogmatischer Sicht überzeugt eine

ergänzende Vertragsauslegung

tatsächlich nur bedingt. In der Tat fehlt es bei einer reinen

Gefälligkeit

streng genommen an einem der Ergänzung fähigen Vertrag. Teilweise wird deshalb gefordert einfach ein durch Rechtsfortbildung gewonnenes gesetzliches Haftungsprivileg des altruistisch Handelnden zu schaffen, statt über die

Vertragsauslegung

zu gehen (Wagner, in MüKo-BGB, 8.A.2020, Vor § 823 RdNr. 93). Auch dem BGH ist bewusst, dass es sich bei seiner Lösung letztlich um eine rein "künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion" (BGH NJW-RR 2017, 272) handelt, weswegen er eine "ergänzende" Auslegung nur sehr restriktiv anwendet. Der BGH nennt die §§ 133, 157 BGB zudem nicht explizit, sondern stützt die

ergänzende Vertragsauslegung

allein auf § 242 BGB. Dies ist auch in der Klausur ein gangbarer Weg, um auf der sicheren Seite zu sein und sich nicht festzulegen, ob §§ 133, 157 BGB nun direkt oder analog angewendet werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

🦊²

🦊²

13.10.2021, 11:22:51

Hallo Lukas, danke für die schnelle, ausführliche und sehr verständliche Erklärung 👍.

QUIG

QuiGonTim

22.7.2022, 17:37:02

M.E. liegen die vom BGH gesetzten Voraussetzungen für den stillschweigenden Haftungsausschluss überhaupt nicht vor. Danach dürfte sich der Geschädigte einem hypothetisch vom Schädiger geforderten Hauftungsausschluss billigerweise nicht entziehen dürfen. Vorliegend bat A die B darum ihre Pflanzen während ihrer Abwesenheit zu gießen. Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung stellte A der B einen Schlüssel für ihre Wohnung zur Verfügung. Damit bietet die A der B auf vielfältige Weise die Möglichkeit zur Einwirkung auf ihre Rechtspositionen. Neben Vermögensschäden wie im Sachverhalt geschildert und daraus möglicherweise erwachsenden Folgeschäden könnten insbesondere auch immaterielle

Rechtsgüter

betroffen werden, da der faktisch unbeschränkte Zugang zur Wohnung einer Offenlage der Privat- und Intimspähre gleich kommt. Letzteres ist unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben, § 242 BGB, besonders beachtlich, da die Verfassung die Wohnung als privaten Rückzugsraum in Art. 13 GG besonders schützt. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht billig, den Rechtsschutz der A durch einen Haftungsausschluss derart stark herabzusetzen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.8.2022, 15:45:42

Hallo QuiGonTim, die Frage, ob ein

stillschweigender Haftungsausschluss

angenommen werden kann, ist immer im Einzelfall zu prüfen. Dein Argument ließe sich hier natürlich ebenso gut umk

ehre

n. Gerade weil es vielfältige Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Wohnung gibt und es somit leicht passieren kann, dass B hier einen Haftungsfall produziert, erscheint es durchaus billig, ihr den Haftungsausschluss für leicht fahrlässig verursachte Schäden zuzubilligen (ähnlich zB einem Arbeitnehmer, der bei leichtester Fahrlässigkeit ggü. dem Arbeitgeber nicht für Schäden haften -

innerbetrieblicher Schadensausgleich

). Denn B erhält für ihre Tätigkeit ja nichts. Zudem würde auch bei stillschweigendem Haftugnsausschluss für grob fahrlässiges/vorsätzliches Handeln haften, sodass für A ein hinreichender Schutz besteht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

22.7.2022, 17:46:07

Ließe sich die Position des BGH zusätzlich dadurch unterstützen, dass der gefällige Schädiger gegenüber dem Schädiger im Schuldverhältnis schon dadurch privilegiert ist, dass das Verschulden des letzteren durch die

Beweislastumkehr

des § 280 Abs. S. 2 BGB vermutet wird, während bei bloß deliktischen Ansprüchen der Geschädigte das Verschulden des Schädiger zunächst beweisen muss?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.8.2022, 15:52:10

Hi QuiGonTim, interessanter Gedanke. Natürlich könnte man sagen, dass die prozessuale Besserstellung des Geschädigten aufgrund der unterschiedlichen Beweislastverteilung einen ausreichenden Schutz für den gefälligen Schädiger bietet. Eine materielle Besserstellung ist damit aber nicht verbunden, sodass dieser Punkt nicht zwingend gegen die Auffassung spricht, die eine Gesamtanalogie der Haftungsbegrenzungen auf

Gefälligkeitsverhältnisse

anwenden will. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

kaan00

kaan00

30.1.2024, 10:56:56

Mir wird leider der Unterschied zu dem vorherigen Fall (https://applink.jurafuchs.de/fNCi7JyjMGb9) nicht ganz klar =(

Natze

Natze

21.2.2024, 08:13:02

Wir haben das mal in einer AG besprochen: man kann von einem „gewissen“ einzelfallgerechtigkeitsansinnen der Rechtsprechung ausgehen. Wenn eine gesetzliche verpflichtete Haftpflichtversicherung vorhanden ist, wie z.B. eine KFZ-Haftpflicht oder eine Gebäudefeuerversicherung, dann tendiert die Rechtsprechung dazu keine Haftungsprivilegierung anzunehmen. Sie wollen grundlegend nicht lediglich der Versicherung die Haftungsprivilegierung zugute kommen lassen. Gerade im vorherigen Fall war es auch ein Verkehrsunfall. Da ist ja auch u.a. vom Schutzgedanken andere Verkehrsteilnehmer geschützt. Darunter fällt dann auch der Beifahrer und letztendlich zahlt ja die Versicherung. (Die steigenden Versicherungsbeiträge sind da unbeachtlich). Bei diesem Blumentopffall kann man dann individuell, anhand der fehlenden Privatenhaftpflichtversicherung (die nicht gesetzlich verpflichtend ist) und der Nachbarschaft, dann dagegen argumentieren. Hoffe es hilft ein bisschen :)

kaan00

kaan00

21.2.2024, 09:51:06

Ja, vielen Dank! :)

Fuller at H(e)art

Fuller at H(e)art

8.3.2024, 20:03:34

Die Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlussed überzeugt unter Anlegung der durch die Rechtsprechung gebildeten Maßstäbe nicht. Bei einem stillschweigenden Haftungsausschluss handelt es sich um eine Fiktion. Es kann dem Geschädigten nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass er mit einer Beschränkung/Preisgabe seiner Rechte einverstanden ist. Dementsprechend restriktiv verfährt der BGH mit der Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlusses. Ein solcher kommt nur in Betracht, wenn sich der Geschädigte einem entsprechenden Ansinnen des Schädigers billigerweise nicht hätte verweigern dürfen. Das bloße Fehlen eines Haftpflichtversicherungsschutzes kann somit nicht genügen, vielmehr verlangt der BGH darüber hinaus ein nicht hinzunehmendes Haftungsrisiko und Umstände die einen Haftungsausschluss besonders naheliegend erscheinen lassen. Jedenfalls an einem nicht hinzunehmenden Haftungsrisiko fehlt es hier, das Gießen der nachbarlichen Blumen ist erkennbar keine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit. So hat der BGH für den Fall der Bewässerung eines Gartens einen stillschweigenden Haftungsausschluss unter Verweis auf die fehlende vordergründige Gefahrneigung der Tätigkeit abgelehnt (BGH VI ZR 467/15 Rn.12). Warum bei der Bewässerung von Wohnungspflanzen anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.


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