Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A bittet Nachbarin B während ihres Urlaubs in ihrem Haus ihre Zimmerpflanzen zu gießen. Hierfür erhält B keine Vergütung. Aus leichter Fahrlässigkeit stößt B eine Pflanze vom Fensterbrett und zerstört sie. B hat keine Haftpflichtversicherung für Gefälligkeitsschäden.

Einordnung des Falls

Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Für einen Schadensersatzanspruch müsste ein Schuldverhältnis zwischen A und B bestehen. In Betracht kommt ein Auftrag (§ 662 BGB). Fraglich ist, ob A und B einen Vertrag geschlossen haben oder nur ein reines Gefälligkeitsverhältnis vorliegt. Die Abgrenzung erfolgt nach dem Rechtsbindungswillen der Beteiligten. Ein Rechtsbindungswille liegt vor, wenn bei den Beteiligten der Wille bestand, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen einzugehen oder entgegenzunehmen. Ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, richtet sich nach den Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art und Grund der Zusage, der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung des Vorgangs, sowie nach der bestehenden Interessenlage. Hier wollte B der A nur einen nachbarschaftlichen Freundschaftsdienst erweisen. Es bestanden auch keine erheblichen wirtschaftliche oder rechtlichen Interessen am Blumengießen.

2. B hat eine kausale Rechtsgutsverletzung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).

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Ja, in der Tat!

Die Pflanzen standen im Eigentum der A. Eine Eigentumsverletzung ist (1) die Einwirkung auf die Sachsubstanz, (2) die Entziehung oder (3) Vorenthaltung der Sache oder (4) eine schwerwiegende Beeinträchtigungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache.Indem B die Pflanze von der Fensterbank stieß, hat er sie zerstört und damit auf ihre Sachsubstanz eingewirkt. B hat das Eigentum der A verletzt. Die Verletzungshandlung der B war kausal für die Eigentumsverletzung.

3. B hat die Zerstörung der Pflanze fahrlässig verschuldet (§§ 823 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB).

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Ja!

Ein Verschulden liegt vor, wenn der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 823 Abs. 1 BGB).Hier hat B leicht fahrlässig gehandelt. Etwas anders gilt nur, wenn zugunsten der B ein gesetzlicher oder vertraglicher Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit angenommen werden kann.

4. Bei unentgeltlichen Verträgen ist der Haftungsmaßstab in der Regel beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§§ 521, 599, 690 BGB). Diese Haftungsbeschränkung ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nach der Rechtsprechung analog auf Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

e.A. (z.B. Medicus): Es bestehe ein allgemeiner Rechtsgedanke, nach dem bei Gefälligkeitsverhältnissen die gesetzlichen Haftungsbeschränkungen bei unentgeltlichen Verträgen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§§ 521, 599 BGB) bzw. die eigenübliche Sorgfalt (diligentia quam in suis, §§ 690, 277 BGB) analog angewendet werden. Dies entschärfe auch die oft schwierige Abgrenzung zwischen Vertrag und Gefälligkeitszusage. Der BGH lehnt diese Gesamt-Analogie ab. Die Haftungsbeschränkungen könnten nicht allgemein auf Gefälligkeitsverhältnisse ausgedehnt werden. Dies ergebe sich schon daraus, dass auch bei einzelnen unentgeltlichen Verträgen, wie dem Auftrag (§ 662 BGB) keine Haftungsbeschränkung vorgesehen sei. Zudem könne, wer sich der vertraglichen Bindung entzieht (im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses) grundsätzlich keine vertraglichen Privilegierungen in Anspruch nehmen. Dies führt dazu, dass B grundsätzlich voll aus § 823 BGB haftet.

5. A und B haben nach hM einen stillschweigenden Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit vereinbart.

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Ja, in der Tat!

BGH: Um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, sei teilweise von einem stillschweigenden Haftungsausschluss im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) auszugehen. Voraussetzung ist, dass der Schädiger, wäre die Rechtslage vorher besprochen worden, einen Haftungsverzicht gefordert und sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen dürfen. An diesen Voraussetzungen fehle es, wenn der Schädiger gegen Haftpflicht-Schäden versichert sei. Eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherter entlastet, entspreche in der Regel nicht dem Willen der Beteiligten. B hat keine Haftpflichtversicherung die für die zerstörte Pflanze aufkommen würde. Zwischen A und B besteht somit ein stillschweigender Haftungsausschluss (mit Ausnahme von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit). Da B nur leicht fahrlässig gehandelt hat, hat er die Eigentumsverletzung nicht zu verschulden. A hat keinen Anspruch gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB.

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