Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2022
Fall zu Leasingraten im "Diesel-Abgasskandal" (BGH, Urt. v. 21.04.2022, Az. VII ZR 247/21): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs
Fall zu Leasingraten im "Diesel-Abgasskandal" (BGH, Urt. v. 21.04.2022, Az. VII ZR 247/21): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K least bei V einen Pkw (Gesamtlaufleistung: 300.000km), den V gezielt mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen hat. K zahlt 36 Leasingraten à €500 an V. Anschließend kauft K von V für €3.000 den Pkw bei einem Kilometerstand von 150.000km und fährt ihn weitere 50.000km.
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Einordnung des Falls
Leasingraten im "Diesel-Abgasskandal"
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat V gegenüber K sittenwidrig gehandelt. Daher könnte K gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung der Leasingraten (€18.000) und des Kaufpreises (€3.000) haben (§ 826 BGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte der Abschluss des Leasing- und Kaufvertrags ein Vermögensschäden der K sein (§ 826 BGB)?
Genau, so ist das!
3. Kann K von V dem Grunde nach Rückzahlung der Leasingraten und des Kaufpreises verlangen (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB)?
Ja, in der Tat!
4. Kann K, obwohl sie den PKW genutzt hat, die Leasingraten (€18.000) und den Kaufpreis (€3.000) in vollem Umfang zurückverlangen (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB)?
Nein!
5. Betragen die im Wege der Vorteilsausgleichung auf den Kaufpreis (€3.000) anzurechnenden Gebrauchsvorteile €1.000 (linearer Wertverzehr)?
Genau, so ist das!
6. Der Pkw war bei Abschluss des Leasingvertrags €30.000 wert. Betragen die auf die Leasingraten (€18.000) anzurechnenden Gebrauchsvorteile daher €15.000 (linearer Wertverzehr)?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Hat K gegen V einen Anspruch auf Zahlung von €2.000 aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Eke
1.12.2022, 10:52:54
Wieso denn plötzlich Anspruch auf 2.000€? Falls es kein Tippfehler ist erschließt sich mir nicht wo die weiteren 1.000€ herkommen.
Lukas_Mengestu
1.12.2022, 11:05:30
Hallo Eke, vielen Dank für die Nachfrage! Die €2000 ergeben sich daraus, dass K sich seinen nach dem Kauf erlangten Vorteil auf den Kaufpreis anrechnen lassen muss. K hat den Wagen für €3.000 bei einem Kilometerstand von 150.0000km gekauft. Die vorraussichtliche Gesamtleistung des Wagens beläuft sich auf 300.0000 km. Da K noch 50.000km (also ein 1/3 der Restlaufzeit) mit dem Wagen gefahren ist, muss er sich diesen Vorteil von dem Kaufpreis abziehen lassen. Damit stehen ihm nur noch 2/3 des Kaufpreisese zu, mithin 2.000€. Diese Berechnung wird auch "linearer Wertverzehr" genannt. Schau Dir hierzu gerne noch einmal Frage 5 des Falles an :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Gnu
17.2.2023, 10:33:04
Ganz dumme Frage: muss K auch das Auto an V zurückgeben?
Timurso
17.2.2023, 16:06:11
Sehr gute Frage. Im Ergebnis sicherlich ja. Wahrscheinlich einfach über 812 I 1 Alt. 1, da mit dem Urteil über den Schadensersatzanspruch der Vertrag aufgehoben wird. Es wird schließlich im Wege der Naturalrestitution die Lage hergestellt, die ohne den Vertrag bestehen würde. Somit liegt kein Rechtsgrund zum Behaltendürfen mehr vor. Alternativ könnte man auch in der Erklärung der Forderung eine Täuschungsanfechtung sehen, die die gleichen Rechtsfolgen hat (wahrscheinlich sogar sachgerechter, da dann V nicht auf das Urteil warten muss, bevor er das Auto herausverlangen kann).
Timurso
17.2.2023, 16:09:42
Probleme könnte hier höchstens § 817 S. 2 analog machen. Allerdings würde ich hier auf die grundsätzliche Wertungsneutralität sachenrechtlicher Verfügungen abstellen, sodass nicht durch die
Übereignunggegen die guten Sitten verstoßen wurde (sondern nur durch das Verhalten außenrum, das für diese Betrachtung aber irrelevant ist). Insofern dürfte der Anspruch auf Rück
übereignungaus § 812 I 1 Alt. 1 durchgehen.
Sambadi
5.4.2023, 23:23:55
Auf welchen Zeitpunkt stellt man im Rahmen der Leasingraten bei der Vorteilsausgleichberechnung ab für die Restlaufzeit. Weil im Zeitpunkt der ersten Leasingrate hat das Fahrzeug ja noch eine Restlaufzeit von 300.000 km. Dann würde bei mir jedoch eine Anrechnung von 9.000€ rauskommen, wenn ich die BGH Formel anwende. Oder stellt man auf die letzte Leasingrate ab?
IsiRider
21.10.2023, 15:49:00
Wurde das europarechtlich nicht anders gesehen? Also im Sinne des Verbraucherschutzes.
Irina95
12.11.2023, 11:31:21
Ich versteh die Berechnung des Falles aber mir stellt sich die Frage, ob es nicht ein wenig ungerecht gegenüber K ist. Sie least ein Auto welches von V manipuliert wurde und hat aus meiner Sicht den kompletten Schaden. V täuscht in meinen Augen arglistig. V bekommt dann gegen Zahlung von 2.000€ das Auto von K wieder heraus. In echtem Leben würde da doch niemand zustimmen und ein fahrtüchtiges wahrscheinlich höherwertiges Auto für nur 2.000€ wieder zurückgeben. K ist ein Auto gefahren mit unzulässiger Abschalteinrichtung und steht am Ende durch die Täuschung des V doch recht schlecht da. War nicht auch der Benzinverbrauch/Dieselverbrauch bei den mit Abschalteinrichtung modifizierten Fahrzeugen höher (oder verwechsel ich da jetzt was?) Ich find V wird sehr privilegiert, er hat in meinen Augen gar keinen Schaden obwohl er arglistig getäuscht hat.
Daniel (blabab45)
22.11.2023, 10:55:52
Im Wesentlichen finde ich die Entscheidung eigentlich richtig. Nur hinsichtlich der Höhe des Nutzungswertes kann man m.E. sehr gut eine andere Herangehensweise befürworten. Hier hat der BGH, wenn ich die Besprechung richtig verstehe, im Endeffekt den Parteien die Bestimmung des Nutzungswertes überlassen, indem er auf das vereinbarte Entgelt als marktüblichen Wert der Nutzung abgestellt hat. Das führt im Ergebnis dazu, dass man immer einen Gewinnaufschlag als Teil der Nutzungen ansieht. Gerade diesen Gewinnaufschlag „realisiert“ der Verbraucher allerdings praktisch natürlich nie. Auch liegt dem m.E. noch der Ansatz der Retabilitätsvermutung zugrunde, also der Annahme, dass der Einzelne den Vertrag nur zu den Konditionen abschließt, weil der davon ausgeht mindestens denselben Wert mit den erlangten Mitteln wieder erwirtschaften zu können. Die
Rentabilitätsvermutunghat der BGH meines Wissens eigentlich (zu Recht) jedenfalls für Verbraucher aufgegeben. Andererseits ist es natürlich auch mit Abstand die bequemste Weise, wie man den Wert der Nutzungen berechnen kann. Es ist wohl kaum möglich einen objektiv richtigen Wert für den einzelnen festzustellen.
Julia
23.2.2024, 22:18:54
Bei der Antwort zur zweiten Frage wurde bei mir eine der Verlinkungen komisch dargestellt.
Leo Lee
26.2.2024, 11:26:45
Hallo Julia, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat hatte sich hier ein Fehler eingeschlichen. Wir haben diesen nun korrigiert und möchte uns bei dir dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Isa20
17.3.2024, 22:59:09
Ich verstehe nicht warum ihr direkt auf 826 geht? V und K hatten ja einen Vertrag und Ansprüche darauf bzw dessen Nichtigkeit nach 138 wäre ja vorrangig zu prüfen. In den klassischen VW-Abgasskandalfällen ging man ja den Weg über 826 weil die sich gegen den Hersteller richteten, mit dem eben kein Vertrag bestand.