Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Sevic")

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Sevic")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die in Deutschland ansässige A-Gesellschaft verschmilzt mit der in Luxemburg ansässigen E-Gesellschaft. Die neue Ä-Gesellschaft soll in Deutschland sitzen. Der Eintragungsantrag wird vom Handelsregister abgelehnt. Für eine Verschmelzung müssten beide Gesellschaften im Inland sitzen.

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Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Sevic")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Verschmelzung von zwei Gesellschaften ist vom Wortlaut des Art. 49 Abs. 2 AEUV ausdrücklich von der Niederlassungsfreiheit erfasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Niederlassung jede feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Art. 49 Abs. 2 AEUV stellt die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften i.S.d. Art. 54 Abs. 2 AEUV, der Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gleich. Der Worlaut des Art. 49 Abs.2 AEUV bezieht sich ausdrücklich nur auf die Gründung und Leitung von Unternehmen. Bei der Verschmelzung Bestehen jedoch bereits zwei Gesellschaften, sodass es sich nicht um eine Gründung handelt.
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2. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit der Niederlassung im anderen Mitgliedstaat wird vorliegend durch die Verschmelzung in Deutschland erfüllt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Niederlassungsfreiheit schützt grundsätzlich nur die (zumindest beabsichtigte) dauerhafte Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats. Die E-Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg beabsichtigt jedoch nicht in Deutschland eine dauerhafte Niederlassung zu errichten. Vielmehr führ die Verschmelzung mit der A-Gesellschaft dazu, dass die E-Gesellschaft in der deutschen A-Gesellschaft aufgeht und ihre Rechtspersönlichkeit verliert. Anders als in der Sache Überseering handelt es sich daher nicht um einen Fall der Anerkennung einer Gesellschaft bei Zuzug.

3. Die Verschmelzung von zwei Gesellschaften fällt dennoch in den sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit.

Ja!

In den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen “alle Maßnahmen, die den Zugang zu einem anderem Mitgliedstaat und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in jenem Staat dadurch ermöglichen oder erleichtern, dass sie die tatsächliche Teilnahme am Wirtschaftsleben unter denselben Bedingungen gestatten, die für inländische Wirtschaftsteilnehmer gelten." Der EuGH verzichtet im Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung im Wege der teleologischen Reduktion daher auf das Erfordernis des dauerhaften Zuzugs, da grenzüberschreitende Verschmelzungen den Bedürfnissen der Gesellschaften entsprechen, um das Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten. Mit dieser SEVIC-Entscheidung hat der Gerichtshof somit ein Recht auf »Hineinverschmelzung« einer Gesellschaft in einen Aufnahmemitgliedstaat bejaht und den Schutzbereich ausgeweitet.

4. Die Verschmelzung stellt eine Form der sekundären Niederlassungsfreiheit dar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Es wird zwischen der primären und der sekundären Niederlassung unterschieden. Während es bei der primären Niederlassung darum geht den unternehmerischen Tätigkeitsschwerpunkt zu verlegen, geht es bei der sekundären Niederlassung um die Verlegung oder Eröffnung eines Betriebsteils unter Beibehaltung des Unternehmensschwerpunkts. Bei der Verschmelzung der E-Gesellschaft mit der A-Gesellschaft wird nicht nur ein Betriebsteil der E nach Deutschland verlegt, sondern der Standort der E-Gesellschaft wird vollständig, d. h. inkl. aller vorhandenen Betriebsmittel und Produktionsanlagen nach Deutschland verlagert und mit der A-Gesellschaft verschmolzen. Betroffen ist somit die Freiheit der Hauptniederlassung und damit handelt es sich um eine primäre Niederlassung.
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