Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Polbud")

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Polbud")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gesellschaft polnischen Rechts P ist in Polen ansässig und will den satzungsmäßigen Sitz nach Luxemburg verlegen. Rechtspersönlichkeit und Ort des Tätigkeitsschwerpunktes sollen gewahrt bleiben. Polnisches Recht verlangt für die Sitzverlegung jedoch die Liquidation der Gesellschaft.

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Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV („Polbud")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst grundsätzlich den Anspruch der P auf Umwandlung in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts.

Ja, in der Tat!

Wie der EuGH bereits in Sachen SEVIC und VALE entschieden hat, zählen Umwandlungen von Gesellschaften zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten, die vom Anwendungsbereich der (primären) Niederlassungsfreiheit erfasst sind. Die Niederlassungsfreiheit umfasst daher grundsätzlich das Recht der P sich von einer Gesellschaft polnischen Rechts in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts umzuwandeln.
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2. Das luxemburgische Recht kann jedoch Kriterien vorsehen, die P erfüllen muss, um als Gesellschaft angesehen zu werden.

Ja!

Mangels einheitlicher unionsrechtlicher Definition von Gesellschaften, steht es den Mitgliedstaaten zu in ihren nationalen Rechtsordnungen Regeln für die Gesellschaftsgründung festzulegen. Nationales Recht kann bestimmen, welche Voraussetzungen eine Gesellschaft erfüllen muss, um als gegründet zu gelten und um die Gesellschaftseigenschaft zu behalten. Dabei muss es die Niederlassungsfreiheit aber insofern beachten, als die Umwandlung unter den gleichen Bedingungen erlaubt werden muss, wie sie auch für inländische Gesellschaften gelten.Das Recht auf Umwandlung wird von der Niederlassungsfreiheit daher nur insofern geschützt als P die erforderlichen Kriterien für eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts erfüllt.

3. Auch wenn P nur den Satzungssitz nach Luxemburg verlegt, dort aber keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt, ist der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unproblematisch eröffnet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit setzt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH voraus, dass eine Niederlassung besteht. Eine Niederlassung ist dabei definiert als feste Einrichtung oder Infrastruktur, die der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte Zeit dient oder zu dienen bestimmt ist. Wenn P nur den Satzungssitz nach Luxemburg verlegt und alle wirtschaftliche Tätigkeit in Polen belässt, dann ist das Kriterium der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nicht erfüllt. Die Verlegung des Satzungssitzes stellt insofern nämlich keine Infrastruktur oder Einrichtung dar.

4. Der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 Abs.1 AEUV und Art. 49 Abs. 2 AEUV ist identisch.

Nein, das trifft nicht zu!

In Bezug auf den sachlichen Schutzbereich fordert Art. 49 Abs. 1 Var. 1 AEUV eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zielstaat. Die erforderliche wirtschaftliche Tätigkeit im Zielstaat reicht aber in Abs. 2 Var. 2 deutlich weiter. Dort wird die „Gründung und Leitung von Unternehmen […] nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats“ gewährleistet. Vor diesem Hintergrund bezieht der EuGH die isolierte Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft nach Art. 49 Abs. 2 Var. 2 AEUV ohne Aufnahme von wirtschaftlichen Tätigkeiten im Zielstaat in der Entscheidung Polbud in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ein.

5. Die isolierte Verlegung des Satzungsitzes der P von Polen nach Luxemburg ist demnach vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst.

Ja!

Unter Zugrundelegung der unterschiedlichen Voraussetzungen für die Niederlassung von selbstständigen Personen und Gesellschaften sieht der EuGH den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit für eröffnet an. Die Umwandlung von Gesellschaften setzt demnach keine feste Einrichtung oder Infrastruktur im Zielstaat voraus. In der Literatur wurde diese Entscheidung stark kritisiert. Die Rechtsprechung mache die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit nicht von einem hinreichenden wirtschaftlichen Bezug der Gesellschaft zum Zuzugsstaat („genuin link‟) abhängig und begünstige auch die Gründung bloßer „Briefkastenfirmen‟ aus Gründen der Rechtswahl.
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