Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Leichtfertig hervorgerufene Notwehrprovokation
Leichtfertig hervorgerufene Notwehrprovokation
13. Mai 2023
11 Kommentare
4,7 ★ (14.440 mal geöffnet in Jurafuchs)
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 StGB)?
- Notwehrlage
- Angriff
- Gegenwärtigkeit
- Rechtswidrigkeit
- Notwehrhandlung
- Erforderlichkeit
- Gebotenheit
- Subjektives Rechtfertigungselement ("Verteidigungswille")
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und O streiten sich. T springt herum und gibt Kampfgeräusche von sich, während er - von O unbemerkt - ein Messer zieht. Dabei nimmt er in Kauf, dass O dieses Verhalten provoziert. O fühlt sich herausgefordert, geht auf T zu und holt zum Schlag aus. T kann den Schlag nicht anders abwehren, als O mit dem Messer in den Bauch zu stechen. Er hätte aber ausweichen können.
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Einordnung des Falls
Wer ein Angriff durch ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten herausgefordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer Notwehrlage zu verletzen, handelt rechtsmissbräuchlich. Geschieht dies vorsätzlich, ist die Berufung auf Notwehr nicht möglich. Auch wenn der Angriff nur leichtfertig provoziert wurde, wird das Notwehrrecht eingeschränkt. Dies gelte aber nicht zeitlich unbegrenzt. So müsse auf eine sichere erfolgversprechende Handlung unter Umständen verzichtet werden und das Risiko hingenommen werden, auf ein Abwehrmittel zurückzugreifen, was weniger erfolgsversprechend scheint.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Stellt das Verhalten des T tatbestandlich eine gefährliche Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) dar?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Scheidet eine Strafbarkeit aus, wenn das Verhalten des T gerechtfertigt war?
Ja, in der Tat!
3. Scheidet Notwehr (§ 32 StGB) für T aus, weil die Messerverletzung schwerwiegender ist als die abgewehrte Verletzung durch den Schlag gewesen wäre?
Nein!
4. Ist das Notwehrrecht eingeschränkt, wenn T den Angriff durch sein Verhalten vorsätzlich provoziert hat?
Genau, so ist das!
5. Das Verhalten des T ist rechtswidrig. Fehlt die Gebotenheit seiner Notwehrhandlung?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Raphaeljura
22.4.2023, 02:29:02
Nur für mich zur Klarstellung: Eine Einschränkung des Notwehrrechts ergibt sich durch KEBAP. Das bedeutet im Umkehrschluss der Angegriffene kann grundsätzlich alle ihm zur Verfügung stehende Mittel nutzen. Ein Exzess liegt ja erst vor wenn der
Angriffnicht mehr gegenwärtig ist. Folglich könnte der Angegriffene bei Mitführen einer Schusswaffe diese auch gegen einem Faustschlag zur Anwendung bringen ? Und noch weiter. Wenn ein
Angriffauf bspw Eigentum erfolgt, gilt hier dann auch die grundsätzlich unbeschränkte Anwendung des Notwehrmittels ? Wenn bspw jemand dabei ist meinem einmalig hergestellten Lamborghini zu zerstören...kann ich dann den
Angriffmit der Schusswaffe abwehren, wenn ich aufgrund meiner körperlichen Unterlegenheit kein anderes Mittel habe ? Vielen Dank.

Lukas_Mengestu
25.4.2023, 12:20:57
Hi Raphael, hier musst Du verschiedene Punkte auseinanderhalten. Zunächst einmal benötigst Du in der Tat eine Notwehrlage, also einen gegenwärtigen rechtswidrigen
Angriff. Ist der
Angriffnicht mehr gegenwärtig, liegt die Konstellation des extensiven
Notwehrexzesses vor, bei dem man allenfalls über eine Entschudligung nachdenken könnte (§ 33 StGB, hM beschränkt dies aber auf intensiven Exzess). Dann kommst Du zur
Notwehrhandlung. Bevor Du hier zur Einschränkung über das Merkmal der Gebotenheit kommst, prüfst Du aber zunächst einmal die Erorderlichkeit der
Notwehrhandlung. Es darf kein gleich geeignetes, milderes Mittel geben. Gerade beim Einsatz von Schusswaffen wird regelmäßig ein gestuftes Vorgehen verlangt (
Drohung, Warnschuss, Einsatz). Zu guter Letzt ist dann bei der Gebotenheit zu überprüfen, ob das Notwehrrecht nicht ausnahmsweise doch entfällt (zB wegen einem krassen Missverhältnis zwischen den betroffenen Rechtsgütern). Wichtig: Anders als beim
Notstanderfolgt aber an sich keine Interessenabwägung. Die Ablehnung in Fällen des krassen Missverhältnisses ist also wirklich auf Sonderkonstellationen zu beschränken (Klassiker: Rentnerin, die auf jugendliche Äpfeldiebe schießt). Also ja, wenn Du angegriffen wirst, eine Schusswaffe bei Dir trägst und keine andere, gleich geeignete Verteidigungsmöglichkeit besteht, dann darfst Du sie auch einsetzen. Das ist Teil des "schneidigen" Notwehrrechts. Beste Grüße, Lukas

Jonas Neubert
20.11.2023, 16:51:58
Rechtsmissbräuchlich passt besser als Rechtswidrig bei der letzten Frage.
Leo Lee
26.11.2023, 11:17:02
Hallo Jonas Neubert, vielen Dank für dein Feedback! Selbstverständlich ist Ts Verhalten auch rechtsmissbräuchlich. Beachte allerdings, dass wir hier eine Strafbarkeit des Ts prüfen und somit auch, ob die Handlung des Ts – von seiner Warte aus – gerechtfertigt war oder nicht. D.h., wir müssen schauen, ob sein
Angriff(Körperverletzung) RW oder RM war. Und weil der T sich eben rechtsmissbräuchlich verhält, fehlt seinem
Angriffals Notwehr die Gebotenheit, weshalb sein Verhalten (das eben die Körperverletzung begründet) rechtswidrig ist, weil er sich eben nicht auf einen Rechtfertigungsgrund (hier Notwehr) berufen kann. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier AT 15. Auflage, § 18 Rn. 28 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Paul
26.3.2024, 18:33:11
Wobei im Kontext der Fragen direkt vorher, diese letzte Frage auch so verstanden werden kann, dass nach der
Rechtswidrigkeitdes provokanten Verhaltens gefragt wird. Vlt. könntet ihr das etwas präzisieren.

Paul
16.4.2024, 14:18:53
@[Leo Lee](213375)
Johannes
5.5.2024, 16:55:02
Müsste man hier nicht den Streit thematisieren, ob auch ein nur sozialwidriges (aber nicht rechtswidriges) Vorverhalten des Täters zu einer Einschränkung seines Notwehrrechts führt? Das wird meines Wissens von der Rechtsprechung bejaht, nicht jedoch von der herrschenden Lehre.  Nicht entscheidungserheblich wäre der Streit hier natürlich, wenn man in dem Verhalten des T bereits eine strafbare Beleidigung sieht, was ich aber eher abwegig finde.
Erik_1995
27.2.2025, 10:43:07
Ich sehe hier § 241 verwirklicht. Wer während eines Streites ein Messer herausholt und dem anderen vorhält, begeht durch schlüssiges Verhalten eine Be
drohung.
Omayma
12.4.2025, 08:29:07
Aber hier droht er ihm ja gerade nicht mit dem Messer, O bermerkt nicht einmal, dass T ein Messer gezogen hat. Vielmehr fühlt er sich durch das springen und rumschreien herausgefordert, da finde ich es schon sinnvoll den Streit zum sozialwidrigen Verhalten zu thematisieren.