Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Schutz des Tierwohls überwiegt Eigentumsrechts: Freispruch für Tierschutzaktivisten
Schutz des Tierwohls überwiegt Eigentumsrechts: Freispruch für Tierschutzaktivisten
13. Juni 2023
2 Kommentare
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Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Tatobjekt: Wohnung, Geschäftsraum, befriedetes Besitztum, abgeschlossene Diensträume
- Tathandlung: Eindringen (Var. 1) oder Verweilen (Var. 2)
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Strafantrag (§ 123 Abs. 2 StGB)
Wie prüfst Du den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB)?
- Notstandslage
- Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut
- Gegenwärtigkeit der Gefahr
- Notstandshandlung
- Nicht-anders-Abwendbar
- Interessenabwägung
- Angemessenheit
- Verteidigungswille
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Tierschützer T und S haben konkrete Hinweise darauf, dass es in der Zuchtanlage der G (Massentierhaltung) zu schweren Tierschutzverstößen kommt. Da die Behörden ohne Beweise erfahrungsgemäß untätig bleiben, verschaffen sich T und S unbefugt Zutritt zur Anlage und fertigen Beweisbilder an.
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Einordnung des Falls
Das OLG Naumburg hat die Freisprüche von drei Tierschutzaktivisten bestätigt, die auf Farmen gegangen waren, um schlechte Bedingungen zu filmen. Das Gericht entschied, dass ihr Handeln gerechtfertigt war. Die Aktivisten hatten einen Hinweis auf inakzeptable Bedingungen in einer Zuchtanlage erhalten, einschließlich Käfigen, die viel kleiner waren als gesetzlich vorgeschrieben. Da sie glaubten, dass eine Beschwerde allein keine Maßnahmen auslösen würde, betraten sie die Farmen, um die Bedingungen zu dokumentieren. Während die Staatsanwaltschaft sie wegen Hausfriedensbruchs angeklagt und Geldstrafen gefordert hatte, entschieden die unteren Gerichte, dass der Schutz des Tierwohls den Hausfrieden brach. Das OLG stimmte zu und stellte fest, dass die Behörden wahrscheinlich nicht anders handeln würden und dass der Tierschutz das Eigentumsrecht des Unternehmens überwog, da es für die Gefahr verantwortlich war.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T und S haben sich unbefugt Zutritt zur Anlage der G verschafft. Haben sie dadurch den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 StGB) erfüllt?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. T und S wollten den Tieren helfen. Handelten sie daher in Nothilfe (§ 32 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. T und S könnten aber durch Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt sein. Ist der Tierschutz ein notstandsfähiges Rechtsgut?
Ja!
4. Lag eine Notstandslage (§ 34 StGB) vor?
Genau, so ist das!
5. Stellt das Eindringen und Anfertigen von Fotos eine geeignete Notstandshandlung (§ 34 StGB) dar?
Ja, in der Tat!
6. Schließlich setzt eine Rechtfertigung durch Notstand (§ 34 StGB) eine Interessenabwägung voraus. Wiegt der Tierschutz hier schwerer als das Hausrecht?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jakob Freier
27.4.2025, 12:52:41
§ 34 StGB setzt voraus, dass die Notstandshandlung begangen wird, um die Gefahr "von sich oder einem anderen abzuwenden". Ich finde es zweifelhaft, dass Tiere einfach so unter "andere" zu subsumieren sind. Der Wortlaut "von sich (= Mensch) oder einem anderen (= ebenfalls Mensch)" meint ja die Gefahrenabwehr zugunsten eines Menschen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber formulieren müssen "von sich, einem anderen oder einer anderen Sache abzuwenden." Wird dies in Lit. und Rspr. auch diskutiert oder einfach drüber hinweggesehen?
Jakob Freier
27.4.2025, 12:55:39
§ 34 StGB setzt voraus, dass die Notstandshandlung begangen wird, um die Gefahr "von sich oder einem anderen abzuwenden". Ich finde es zweifelhaft, dass Tiere einfach so unter "andere" zu subsumieren sind. Der Wortlaut "von sich (= Mensch) oder einem anderen (= ebenfalls Mensch)" meint ja die Gefahrenabwehr zugunsten eines Menschen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber formulieren müssen "von sich, einem anderen oder einer anderen Sache abzuwenden." Wird dies in Lit. und Rspr. auch diskutiert oder einfach drüber hinweggesehen?