Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Abgabe und Zugang von Willenserklärungen

Frühere Kenntnisnahme des später zugegangenen Widerrufs einer Willenserklärung – Wirksamkeit einer Willenserklärung

Frühere Kenntnisnahme des später zugegangenen Widerrufs einer Willenserklärung – Wirksamkeit einer Willenserklärung

31. Mai 2025

18 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Vermieter V ist von Montag bis Freitag auf Dienstreise. Am Dienstag wirft Postbote P eine Kündigung des Mieters M in Vs Briefkasten. Am Donnerstag wirft P eine Widerrufserklärung des M bei V ein. Nach seiner Rückkehr nimmt V den Widerruf vor der Kündigung zur Kenntnis.

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Einordnung des Falls

Frühere Kenntnisnahme des später zugegangenen Widerrufs einer Willenserklärung – Wirksamkeit einer Willenserklärung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerruf ist vor der Kündigung zugegangen. M hat die Kündigung wirksam widerrufen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Geht dem Adressaten einer Willenserklärung vor oder gleichzeitig mit ihrem Zugang ein Widerruf zu, so wird die Willenserklärung nicht wirksam. Zugang (Phase 3) liegt bei verkörperten WE vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Die Kündigung ist am Dienstag durch Einwurf zugegangen. An diesem Tag war zu erwarten, dass V seinen Briefkasten leert. Der Widerruf ist erst Donnerstag zugegangen, d.h. nach Zugang der Kündigung. Die Kündigung ist wirksam geworden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MARC

Marcoyayo

28.10.2019, 21:46:04

Und warum soll hier nicht die tatsächliche Kenntnisnahme entscheidet sein ?

PIE

Pierre

29.10.2019, 12:00:28

Weil hier die tatsächliche Kenntnisnahme des Widerrufs erst nach dem Zugang erfolgte. Der Zugang war doch schon während der Abwesenheit des Empfängers vollzogen.

GEL

gelöscht

2.11.2019, 17:49:13

Ich finde das Ergebnis auch nicht eindeutig. Denn die tatsächliche Kenntnisnahme beider Erklärungen erfolgte Gleichzeitig.

ARE

Arendt

7.11.2019, 14:27:25

Die tatsächliche Kenntnisnahme ist hier irrelevant, da beide Erklärungen bereits vorher, mit ZUGANG wirksam geworden sind. Zugang ist bei den beiden jeweils der Zeitpunkt, an dem der Briefkasten unter normalen Umständen geleert werden würde und damit ist der Widerruf erst nach der Kündigung zugegangen. Die Kündigung ist wirksam und kann nicht durch einen später zugegangenen Widerruf widerrufen werden.

CI

Ciojure

4.12.2019, 13:42:52

Verstehe ich das so richtig? Sobald die Phase "Zugang" schon erfüllt ist, braucht es der Phase der "tatsächlichen Kenntnisnahme" nicht mehr. Die tatsächliche Kenntnisnahme ist nur relevant, wenn sie zeitlich vor dem Zugang steht.

Jaassmiiin_

Jaassmiiin_

25.12.2019, 15:41:12

Was ist mit tatsächlicher Kenntnisnahme gemeint ? Etwa wenn der Vermieter diese mit seinen eigenen Augen gesehen hat und wirklich davon Kenntnis erlangen konnte ? Und mit Zugang, sobald es in seinem Machtbereich gelangt ist oder sobald er es persönlich in der Hand hält ????? I don’t know 😊

HAN

Hanna

13.2.2020, 08:40:09

Auch wenn der Zugang des Widerrufs in seiner Abwesenheit erfolgte, so ist die tatsächliche Kenntnisnahme nach $ 242 erst nach dem Ablehnen des Widerrufs zu prüfen.

Henk

Henk

28.2.2020, 09:34:08

@Hanna Meinst Du mit 242, dass man das Ergebnis (Berechnung des Zugangszeitpunkt = Möglichkeit Kenntniserlangung) aufgrund der tatsächlichem Kenntnisnahme nach 242 korrigieren könnte? Ich würde wie folgt prüfen: a) Zugang Kündigungserklärung Im Machtbereich bereits vor der Rückkehr b) kein (

rechtzeitig

er) Widerruf - Im Machtbereich nicht vor oder mit der Kündigungserklärung. Somit kein Widerruf . c) Zwischenergebnis Kündigungserklärung ist zugegangen und wurde nicht widerrufen. ( ... Mietvertrag gekündigt.) Einen Prüfungspunkt mit der tatsächlichen Kenntnisnahme würde ich gar nicht machen. Logisch gesehen müsste man dies mE nicht ansprechen. Natürlich will es der Klausurersteller hören, deshalb würde ich einen Satz dazu nach der Definition bringen.

J0K3R

J0K3R

27.8.2020, 19:29:29

Tatsächlich entsteht ja aber kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Erklärung beim Vermieter? mMn sollte die Norm nach Sinn & Zweck daher so ausgelegt werden, dass der Widerruf "

rechtzeitig

" (Fiktion) zuging.

MAW

MaW

2.9.2020, 15:31:31

Noch weniger schutzwürdig ist hier aber der Mieter, der deutlich nach dem zu erwartenden Zugang den Widerruf erklärt. Der Vermieter ist hier faktisch also eigentlich gar nicht besser gestellt, sondern profitiert nur von den Umständen. Denkt man den Widerruf weg und nimmt an, dem V wäre ein für ihn sehr vorteilhaftes und bis zum nächsten Tag befristetes Angebot zugegangen, hätte V den Nachteil.

GEL

gelöscht

10.6.2021, 21:45:29

Bzgl. Schutzinteresse sehe ich auch so, dass der Widerruf nicht als

rechtzeitig

angesehen werden kann, da der Vermieter in der Zwischenzeit - wäre er nicht auf Dienstreise gewesen - die Wohnung an einen vieler weiteren Interessenten versprochen haben könnte, die evtl. schon einen Vertrag unterschrieben haben könnten. Besonders in Großstädten gibt es ja eine riesige und meist dringende Nachfrage.

Martin

Martin

20.10.2023, 11:20:40

Hallo ihr Lieben, Ich finde man muss sich da vor Augen halten, wen den eigentlich die Definition vom Zugang im Gegensatz zur tatsächlichen Kenntnisnahme schützt: Nämlich dadurch, dass der Empfänger bei Zugang (ohne tatsächlicher Kenntnisnahme) so gestellt wird, als hätte er die Erklärung zur Kenntnis genommen, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Erklärende keine Möglichkeit hat darauf einzuwirken, dass der Empfänger tatsächlich Kenntnis nimmt, weil die Erklärung sich im Machtbereich des Empfängers befindet. Es wird also zugunsten des Erklärenden dem Verantwortungsbereich des Empfängers zugeordnet, wenn die Erklärung in dem Machtbereich des Empfängers ist, so das mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist und der Empfänger davon Kenntnis nehmen kann. In diesem Fall hat aber ausnahmsweise der Schutz des Erklärenden nicht nötig. Außerdem finde ich nicht, dass der Empfänger schutzwürdig ist. Denn worauf soll denn sein schutzwürdiges Vertrauen basieren, wenn er nicht einmal von dem Vertrauen begründenden Umstand (also hier der Inhalt der Erklärung) Kenntnis hat? Erst wenn er die Kündigung tatsächlich gelesen hat, kann er logischerweise auf dessen Inhalt vertrauen. Und erst dann nimmt er auch Handlungen vor, die auf diesem Vertrauen basieren (sagt bspw anderen Vermietern zu). Dies ist aber hier nicht der Fall. Daher schließe ich mich JOK3Rs Meinung an. LG Martin

KLE

kleinerPadawan

19.3.2023, 07:35:17

Ich denke zu diesem Fall würde sich noch eine Vertiefung bzw. ein bis zwei weitergehende Fragen anbieten. Würde sich an der Lösung etwas ändern, wenn der Vermieter nach seiner Rückkehr zunächst den Widerruf liest und dann die Kündigung? Oder wird dann weiterhin nur auf den Zugang der

Widerrufserklärung

abgestellt? Also kann die vorige oder gleichzeitige tatsächliche Kenntnisnahme den verspäteten Zugang ausbessern? Also ist es für die Lösung relevant dass der V die Kündigung überhaupt nicht mehr liest im Anschluss?

KLE

kleinerPadawan

19.3.2023, 07:39:21

Okay - wer lesen kann ist klar im Vorteil. Habe es selbst erkannt. Der V hat hier ja die

Widerrufserklärung

vor der Kündigung gelesen. Und trotzdem ist die Kündigung im Ergebnis wirksam. Das bedeutet für meine Frage dann wohl auch, dass die tatsächliche frühere Kenntnisnahme der

Widerrufserklärung

, d.h. vor der ursprünglichen Erklärung, unerheblich ist, sofern diese, wie hier, erst später zugegangen ist. Sorry für die unnötige Frage ;)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 11:33:51

Hallo kleinerPadawan, immer her mit den Fragen. Dafür sind wir schließlich da :) Aber umso besser, wenn du sogar selbst noch auf die Antwort gestoßen bist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Philip

Philip

15.11.2024, 20:22:07

Ist es hier nicht relevant, ob M davon wusste, dass V auf Dienstreise ist? Denn dann wäre nicht mehr mit der Leerung des Briefkastens seitens M an dem ersten Tage zu rechnen gewesen, oder sehe ich das falsch? Ist die potenzielle Kenntnisnahme aus Sicht eines objektiven Dritten (also jemand der nicht auf Dienstreise geht) zu sehen? danke schonmal!

Paulah

Paulah

19.11.2024, 14:23:37

Nein, das steht nach Rspr. und hM dem Zugang nicht entgegen. Das Hindernis der tatsächlichen Kenntnisnahme liegt beim Empfänger. Es muss nur die M ö g l i c h k e i t der Kenntnahme bestehen. Es ist nicht maßgeblich, ob der Empfänger aufgrund besonderer Umstände nicht t a t s ä c h l i c h Kenntnis nehmen kann. Er hat sozusagen dafür Sorge zu tragen, dass in seiner Abwesenheit nichts verpasst. [BeckOGK/Gomille BGB § 130 Rn. 86, 86.1]

FABIA

Fabian7777

24.4.2025, 10:57:59

Man kann bestimmt wie hier in den Kommentaren vorgeschlagen, sich auf den Standpunkt stellen, dass Zugang am Dienstag (Kündigung) und Zugang am Donnerstag (Widerruf) vorliegen, sodass ein zeitlich gleichzeitiges "zugehen" nicht vorliegt (§ 130 I BGB) nach der Definition. Dies erscheint jedoch recht formal. Es scheint mE überlegenswert (§242 BGB) ausnahmsweise diese Grundsätze einzuschränken, da im konkreten Einzelfall der V hier kein schutzwürdiges Vertrauen mit Blick auf die Kündigung gebildet hat. Er ist konkret von Anfang an vorgewarnt, er geht erst gar nicht von einer Kündigung aus (der von § 130 I beabsichtigte Schutz des Vertrauens über die Zugangsdefinition ist also ausnahmsweise nicht nötig). Ob man das alles so beweisen könnte etc. ist natürlich eine andere Frage.


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