Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Widerruf & Verbraucherverträge

Widerrufserklärung - kommentarlose Rücksendung

Widerrufserklärung - kommentarlose Rücksendung

2. November 2024

4,9(7.608 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Leseratte Liselotte (L) bestellt für sich auf der Homepage von Versandhändlerin V Prechts neuestes Buch „Freiheit für alle“. Nachdem sie ihn in einer Talkshow gehört hat, möchte sie es doch nicht mehr lesen. L schickt das Buch fristgerecht und kommentarlos an V zurück.

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Einordnung des Falls

Widerrufserklärung - kommentarlose Rücksendung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Verbraucherschutzregelungen (§§ 312a-h BGB) ist eröffnet (§ 312 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Damit der Anwendungsbereich der Verbraucherschutzregelungen (§§ 312a-h BGB) eröffnet ist, muss nach § 312 Abs.1 BGB (1) ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs.3 BGB) vorliegen, bei dem sich (2) der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet. L als Verbraucherin (§ 13 BGB) hat mit Unternehmerin V (§ 14 BGB) einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über das Buch geschlossen (Verbrauchervertrag). Dadurch ist sie nach § 433 Abs.2 BGB zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet. Somit liegen die Voraussetzungen des § 312 Abs.1 BGB vor, sodass die Verbraucherschutzregelungen (§§ 312a-h BGB) Anwendung finden.
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2. Es handelt sich um einen Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB).

Ja!

Ein Fernabsatzvertrag liegt vor, wenn Unternehmer und Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel (Legaldefinition § 312c Abs.2 BGB) verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines Fernabsatzsystems erfolgt (§ 312c Abs.1 BGB). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. L bestellt das Buch auf der Homepage von V. Sie geben ihre Willenserklärungen nicht bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit ab, sondern bedienen sich ausschließlich Fernkommunikationsmitteln. Die Homepage der V stellt zudem ein gerade für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem dar.

3. Steht L ein Widerrufsrecht zu, obwohl ihre Abneigung gegenüber Precht nicht unmittelbar mit dem Buch zu tun hat?

Genau, so ist das!

Durch das Widerrufsrecht (§ 312g BGB) soll der Verbraucher umfassend vor unüberlegten Entscheidungen geschützt werden. Bei Außergeschäftsraumverträgen wird der Verbraucher meist überrumpelt, sodass er unter Druck eine Willenserklärung abgibt, obwohl er den Vertrag eigentlich nicht will. Bei Fernabsatzverträgen hat der Verbraucher zudem keine Möglichkeit, die Leistung vor Vertragsschluss zu untersuchen. Um diesen Nachteilen entgegenzuwirken, kann sich der Verbraucher ohne Vorliegen eines bestimmten Grundesdurch Widerruf vom Vertrag lösen. L muss keinen Widerrufsgrund nennen. Es ist unerheblich, dass ihre Abneigung gegenüber Precht nichts mit dem Buch zu tun hat.

4. Durch die kommentarlose Rücksendung des Buches, hat L den Widerruf erklärt.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Widerruf erfolgt durch Erklärung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, aus der der Entschluss zum Widerruf des Vertrages eindeutig hervorgehen muss (§ 355 Abs.1 S.2,3 BGB). Erforderlich ist eine sprachliche Äußerung. Eine Erklärung des Widerrufs durch rein tatsächliches Verhalten ist ausgeschlossen. Das heißt die Rücksendung der Ware genügt nur dann, wenn sie von einer eindeutigen Erklärung begleitet ist. L hat das Buch lediglich kommentarlos zurückgesandt, sodass sie nicht wirksam den Widerruf erklärt hat. Dass gerade eine sprachliche Äußerung gefordert wird, folgt (1) aus Erwägungsgrund 44 der Verbraucherrechte-RL (Möglichkeit des Verbrauchers „in seinen eigenen Worten“ zu widerrufen). (2) Zudem hat sich der Gesetzgeber bewusst entschieden § 355 Abs.1 S.2 BGB aF zu streichen, wonach die Rücksendung der Ware der Erklärung des Widerrufs in Textform noch ausdrücklich gleichgestellt war.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PLA

PlatschekJünger

29.9.2022, 09:55:02

Wenn L jetzt nicht mehr fristgerecht wörtlich den Widerruf einreicht? Hätte dann V gegen L einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung und L einen Anspruch darauf das Buch zurückzubekommen aus § 985 oder aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB. Und wer hätte dann die Kosten für das Versenden zu tragen?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.8.2023, 19:39:39

Interessante Frage! Dann ist der Kaufvertrag wirksam zustandekommen und der Anspruch der V auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB und der Anspruch der L auf Übergabe und

Übereignung

des Buchs aus § 433 I 1 BGB müssten Zug um Zug erfüllt werden. Solange V der L das Buch nicht wieder zuschickt, könnte L dem Anspruch der V auf Kaufpreiszahlung die Einrede aus § 320 BGB entgegenhalten. Den Anspruch auf „Erhalt“ des Buchs würde ich somit zunächst vertraglich über § 433 I 1 BGB lösen. Fraglich wäre hier aber, wie es sich auswirkt, dass L „freiwillig“ das Buch wieder zurückgeschickt hat. V hatte so gesehen ihre Pflicht aus § 433 I 1 BGB ja erfüllt und dann könnte die Einrede auch nicht mehr erhoben werden. Das wäre wohl ein streitiger Punkt.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.8.2023, 19:48:08

Ein Anspruch auf

Rückübereignung

aus § 985 BGB käme bei entsprechenden Anhaltspunkten (V ist wieder im Besitz des Buchs und hatte vorher wirksam das Eigentum auf L übertragen; kein Recht zum Besitz der V ergibt sich aus dem wirksamen Kaufvertrag mit L) in Betracht. Aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB ergibt sich auch ein Anspruch auf

Rückübereignung

, da V durch Leistung der L den Besitz am Buch (wieder)erlangt hat, ohne dass es einen Rechtsgrund (Kaufvertrag etc.) dafür gab.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.8.2023, 19:48:37

So hätte ich das gelöst, lasse mich aber gerne korrigieren!

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.8.2023, 19:57:13

Was die Kosten für den Versand angeht, müsste man zunächst in die AGB schauen. Oft steht dort, dass die Kosten für die Rücksendung vom Käufer zu tragen sind. Sofern diese AGB einer Inhaltskontrolle standhalten kann, müsste L wohl erst recht die aufgrund ihres Versäumnisses (Widerruf nicht wirksam erklärt) entstandenen Versandkosten tragen. Steht hierzu nichts in den AGB, so ist § 357 Abs. 5 BGB zugrundezulegen. Nach Satz 1 trägt der Verbraucher die Kosten für die Rücksendung, wenn er vom Unternehmer ausdrücklich auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Nach Satz 2 trägt der Unternehmer die Kosten, wenn er sich dazu bereiterklärt hat. Wenn wir davon ausgehen, dass V die L gem. § 357 Abs. 5 BGB unterrichtet hat, so würde das meines Erachtens zur Folge haben, dass L erst recht auch die unnötig und von ihr verschuldeten Mehrkosten der „Rück-Rücksendung“ zu tragen hat. Sollte ein Fall des S. 2 vorliegen, liesse sich wohl streiten, wer die Kosten übernimmt. Diese sind ja von L verschilfet worden und V dürfte sich nicht ohne weiteres dazu bereit erklärt haben, auch diese Art von Kosten zu übernehmen. Aus Kulanz würde sie es vielleicht tun, aber juristisch erscheint mir das problematisch/strittig.

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

12.2.2023, 17:46:06

Nachdem sie Precht in einer Talkshow gesehen hat 😂😂 Klasse Sachverhalt

DIAA

Diaa

15.9.2023, 10:48:48

Ich verstehe nicht, wieso unter der ersten Frage § 312b I zitiert wird und dann in der zweiten Frage § 312c. Es liegt ja eindeutig ein Vertrag iSd § 312c vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.9.2023, 16:57:04

Hi Diaa, kann es sein, dass Du Dich verlesen hast? In Frage 1 geht es um § 312 Abs. 1 BGB, nicht § 312b Abs. 1 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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