Gerichtliche Überprüfbarkeit des Ermessens

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ein Gesetz regelt, dass Bürgerinnen, die Geflüchteten eine Unterkunft stellen, eine Entschädigung zwischen 50 und 150 € pro Person im Monat bekommen können, wobei sich die Höhe vor allem nach den Energiekosten bemisst. Behörde B bewilligt A 50 € mit der Begründung, er habe bereits für eine Person in seiner Zweitwohnung 100 € erhalten.

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Einordnung des Falls

Gerichtliche Überprüfbarkeit des Ermessens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Gesetz räumt der Behörde ein Auswahlermessen bezüglich der Höhe der Entschädigung ein.

Ja, in der Tat!

Besteht der Ermessensspielraum „nur“ bezüglich der Art der Rechtsfolge (z.B. der Höhe einer zu tätigenden Zahlung), so spricht man von einem „Auswahlermessen“ der Behörde. Sofern der Tatbestand erfüllt ist, kann die Behörde zwar nicht entscheiden, ob sie tätig wird, jedoch hat sie einen Spielraum, wie sie handelt. Das Gesetz lässt der Behörde einen Spielraum bezüglich der Höhe der Entschädigung, wenn jemand eine private Unterkunft für Geflüchtete gestellt hat.
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2. Hier liegt ein Ermessensfehler in Form der Ermessensüberschreitung vor.

Nein!

Wenn die Behörde die Grenzen ihres Ermessens nicht einhält, handelt sie „ermessensfehlerhaft“ und damit rechtswidrig. Als Ermessensfehler kommen folgende Fallgruppen in Betracht: (1) Ermessensüberschreitung, (2) Ermessensnichtgebrauch, (3) Ermessensfehlgebrauch sowie (4) der Verstoß gegen Grundrechte und allgemeine Verwaltungsgrundsätze. Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde eine nicht mehr im Rahmen der Ermessensvorschrift liegende Rechtsfolge wählt. Die Zahlung von 50 € liegen in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen von 50 - 150 €. Eine Ermessensüberschreitung liegt nicht vor.

3. B hat hier an falsche Entscheidungskriterien angeknüpft. Es liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor.

Genau, so ist das!

Ein Ermessensfehlgebrauch (auch: Ermessensmissbrauch) liegt vor, wenn sich die Behörde nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensnorm leiten lässt. Entscheidend ist der Sinn des eingeräumten Ermessens im konkreten Fall. Die Behörde handelt ermessensfehlerhaft, wenn sie die gesetzlichen Zielvorstellungen nicht beachtet oder die für das Ermessen maßgeblichen Gesichtspunkte nicht (hinreichend) in Erwägung zieht. Ziel der Vorschrift ist es, einen Ausgleich für diejenigen zu schaffen, die ihre Wohnung einer geflüchteten Person zur Verfügung stellen. Dabei geht es vor allem um den Ausgleich von Energiekosten. Das Ermessen soll ermöglichen, dass diese Kosten, die unterschiedlich ausfallen können, richtig berücksichtigt werden können. Irrelevant und damit sachwidrig ist die Erwägung, dass A bereits eine Entschädigung für eine andere Wohnung erhalten hat.

4. A möchte eine höhere Zahlung der B einklagen. Ermessensentscheidungen sind gerichtlich überprüfbar.

Ja, in der Tat!

Bei Ermessensentscheidungen hat der Kläger keinen Anspruch auf das konkret begehrte Handeln der Behörde. Im Sinne des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) müssen Ermessensentscheidungen aber ebenso wie gebundene Entscheidungen gerichtlich überprüfbar sein. Da aber kein Anspruch auf eine Entscheidung mit einem bestimmten Inhalt besteht, kann nur überprüft werden, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (§ 114 S. 1 VwGO). Das Gericht kann nicht bestimmen, dass B eine konkrete Summe an A zu zahlen hat. Es kann B lediglich verpflichten, erneut und diesmal ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Bei gebundenen Entscheidungen erlässt das Gericht ein Vornahmeurteil (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO), bei Ermessensentscheidungen ein Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

8.7.2022, 11:11:13

Aus dem Fragetext geht nicht hervor, dass es sich um zwei verschiedene Wohnungen handelt. Daher bin ich nicht von einer sachfremden Erwägung ausgegangen, denn der Energieverbrauch pro Person dürfte grundsätzlich bei einer alleine lebenden Person höher sein, als bei Personen die sich einen Haushalt teilen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.7.2022, 16:27:20

Hallo Daniel, die Aufgabe spricht von "Zweitwohnung". Inwiefern sollten wir die Formulierung noch deutlicher machen? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DAN

Daniel

25.7.2022, 11:14:48

Man könnte noch genauer ausführen wer wo wohnt. Aber ich denke, letztlich habe ich nur unaufmerksam gelesen 🙈

MLENA

MLena

12.8.2022, 11:50:55

Ich hätte auch was: ich finde es etwas widersprüchlich formuliert, dass die

Behörde

zwischen 50 und 150 EUR übernehmen KANN und damit dann nur das Auswahlermessen gemeint ist. Wenn da stehen würde, dass die

Behörde

zwischen 50 und 150 EUR übernimmt, würde man ja immer noch ein Auswahlermessen bejahen, dann hätte die

Behörde

aber kein

Entschließungsermessen

. So wie das formuliert ist, lese ich aber beide Ermessensarten heraus, sie kann etwas übernehmen oder auch nicht, und falls ja, dann zwischen 50 und 150 EUR

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.8.2022, 18:41:32

Hallo MLena, wir schließen nicht aus, dass auch

Entschließungsermessen

vorliegt. Dies haben wir aus didaktischen Gründen nicht noch extra abgefragt, um spezifisch den Umfang des Auswahlermessens zu üben. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

26.7.2022, 11:08:17

Welches Gesetz wird hier als Maßstab für Berechnung Entschädigung verwendet?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.8.2022, 18:42:07

Hallo DeliktusMaximus, in diesem Fall handelt es sich um ein fiktives Gesetz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Jopies

Jopies

22.2.2024, 20:23:36

Hallo, was mich immer verwirrt hat, was genau ist die AGL auf der Kläger per Verpflichtungsklage eine

ermessensfehlerfreie Entscheidung

verlangen kann?

TI

Timurso

23.2.2024, 10:08:05

Anspruchsgrundlage ist die jeweilige Norm, die das Ermessen normiert.


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