„Rose-Rosahl-Fall“

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Rose-Rosahl-Fall (Preußisches Obertribunal, 05.05.1859):  Ein Mann legt sich auf die Lauer. Als er eine Person sieht, erschießt er diese, weil er diese im Dunkeln für eine andere hält
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Klassisches Klausurproblem

Rose (R1) verspricht Rosahl (R2) eine Belohnung, wenn er S tötet. Dies könne er tun, wenn sich S abends auf dem Nachhauseweg befindet. R2 legt sich auf die Lauer. Als R2 den H sieht, erschießt er ihn, weil er ihn im Dunkeln für S hält.

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Einordnung des Falls

Obwohl er schon vor über 150 Jahren entschieden wurde, hat der vom Preußischen Obertribunal entschiedene Rose-Rosahl-Fall nichts von seiner Relevanz für das Studium verloren. Er gehört zu den absoluten Lieblingen der Prüfungsämter, da in dem Fall gleich drei Fragen behandelt werden, die den Prüflingen Schweißperlen auf die Stirn treiben. Wie wirkt sich ein Irrtum des Täters im Hinblick auf Identität seines Opfers (=error in persona) auf den Vorsatz des Täters aus? Inwiefern spielt dieser Irrtum für den Anstifter des Täters eine Rolle? Und auch für die Behandlung der bis heute zwischen Literatur und Rechtsprechung streitigen Frage nach dem systematischen Verhältnis von Totschlag und Mord bietet der Fall eine gute Grundlage.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R2 hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) zu Lasten des H strafbar gemacht, indem er H erschoss (1. Teil: Strafbarkeit des R2).

Ja!

H ist tot. Hierfür ist der Schuss des R2 kausal geworden. R2 müsste vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung, gehandelt haben. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass R2 dachte, S und nicht H zu erschießen. Sein Vorsatz hatte sich bei Schussabgabe bereits auf das getroffene Ziel konkretisiert. Die Zielverfehlung ist mithin Ausfluss einer Identitätsverwechslung. Ein solcher sog. error in persona vel in obiecto ist bei Gleichwertigkeit der Objekte für den Vorsatz unbeachtlich. Da H und S rechtlich gleichwertig sind, lässt der Irrtum den Vorsatz nicht entfallen. R2 handelte rechtswidrig und schuldhaft. Er ist strafbar wegen Totschlags.
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2. Hat sich R2 wegen Mordes (§ 211 Abs. 2 StGB) zu Lasten des H strafbar gemacht, indem er H erschoss (1. Teil: Strafbarkeit des R2)?

Genau, so ist das!

Als objektives Mordmerkmal könnte Heimtücke vorliegen. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Zum Zeitpunkt der Schussabgabe versah H sich keines lebensbedrohlichen Angriffs. Er war daher arglos und infolgedessen auch wehrlos. R2 nutzte dies willentlich aus und handelte in feindlicher Willensrichtung. Ferner kommt das subjektive Mordmerkmal der Habgier in Betracht. Habgier ist das gesteigerte Gewinnstreben um jeden Preis. R2 erschoss H, um die Belohnung von R1 zu erhalten. Das ist ein klassischer Fall der Habgier (Auftragsmord). R2 ist strafbar wegen Mordes.

3. Hat sich R2 nach h.M. wegen versuchten Totschlags (§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) zu Lasten des S strafbar gemacht, indem er auf H erschoss (1. Teil: Strafbarkeit des R2)?

Nein, das trifft nicht zu!

Da R2 den S nicht getötet hat, ist die Tat nicht vollendet. Der Versuch des Totschlags ist nach §§ 12, 23 Abs. 1 StGB strafbar. Problematisch ist, ob R2 Tatentschluss besaß, also entsprechenden Vorsatz.Hierfür spricht zwar, dass er S töten wollte. Nach h.M. ist aber der Tötungsvorsatz durch den vollendeten Mord an H bereits „verbraucht“, weil es sonst zu einer „Vorsatzverdoppelung“ käme und derselbe Irrtum zweimal zu Lasten des R2 ausschlagen würde. Folglich ist R2 nicht wegen versuchten Totschlags strafbar. Hinter dem vollendeten Mord zu Lasten des H tritt die gleichsam verwirklichte gefährliche Körperverletzung als Durchgangsdelikt zurück.

4. Hat R1 den objektiven Tatbestand der Anstiftung zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 26 StGB) verwirklicht, indem er R2 beauftragte, den S zu töten (2. Teil: Strafbarkeit des R1)?

Ja!

Da ein Totschlag in Mittäterschaft (mangels Tatherrschaft und Täterwillens) nicht vorliegt, kommt nur eine Anstiftung infrage. Vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat ist der Totschlag des R2 an H. Den Tatentschluss hierzu rief R1 hervor, indem er R2 beauftragte, den S zu töten. Da R1 den R2 somit zur Tat bestimmte, ist der objektive Tatbestand der Anstiftung erfüllt. Fraglich ist aber, ob R1 sog. doppelten Anstiftervorsatz besaß. Er handelte zwar bezüglich des Bestimmens vorsätzlich. Mit Blick auf die Haupttat stellt sich aber die strittige Frage, wie sich der error in persona vel in obiecto des Haupttäters auf den Anstiftervorsatz auswirkt.

5. Behandelt eine Ansicht den error in persona des Haupttäters für den Anstifter als aberratio ictus?

Genau, so ist das!

Nach einer Ansicht ist der error in persona für den Anstifter eine beachtliche aberratio ictus, da das Fehlgehen der Tat aus Sicht des Anstifters seine Ursache außerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs habe.Danach könnte R1 nur wegen versuchter Anstiftung (ggf. in Tateinheit mit § 222 StGB) bestraft werden.Gegen diese Ansicht wird vorgebracht, dass die Figur der aberratio ictus entwickelt wurde, um Konstellationen zu behandeln, in denen der Täter das Angriffsobjekt vor sich sieht, aber ein anderes Objekt trifft. Da die schlichte Übertragung auf Anstiftungsfälle nicht möglich sei, wird diese aberratio ictus - Lösung überwiegend abgelehnt.

6. Hält die h.M. den error in persona des Haupttäters für den Anstifter grundsätzlich für beachtlich?

Nein, das trifft nicht zu!

Die h.M. stellt auf die allgemeinen Regeln zur Kausalabweichung ab. Demnach erachtet sie einen Identitätsirrtum des Haupttäters auch für den Anstifter als unbeachtlich, wenn die Verwechslung sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren bewegt und die Tat keine andere Bewertung verdient. Mit Blick auf die schlechten Lichtverhältnisse und darauf, dass der Tatablauf im Übrigen unverändert blieb, ist dies vorliegend der Fall.Somit ist der error in persona des R2 auch für R1 unbeachtlich. R1 handelte rechtswidrig und schuldhaft. Folglich ist er strafbar wegen (vollendeter) Anstiftung zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 26 StGB).Kritisiert wird, dass nach der hM eine zu harte Strafe des Anstifters drohe. Denn in einem Fall, in welchem der Täter den Fehler bemerkt und zusätzlich das tatsächlich gemeinte Opfer töte, müsste dann eine Bestrafung des Anstifters wegen zweifacher Anstiftung zum Mord bzw. Totschlag erfolgen, obwohl er nur die Tötung eines Menschen wollte („Blutbadargument“).

7. Hat sich R1 wegen Anstiftung zum Mord (§§ 211 Abs. 2, 26 StGB) strafbar gemacht, indem er R2 beauftragte, den S zu töten (2. Teil: Strafbarkeit des R1)?

Ja!

R1 hat den R2 zu dessen Mord an H bestimmt. Ferner wusste er um das tatbezogene Mordmerkmal der Heimtücke. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass R1 zwar Vorsatz hinsichtlich der Habgier bei R2 aufwies, dieses täterbezogene Mordmerkmal aber nicht in eigener Person verwirklichte. Die h.L. begreift den Mord als Qualifikation des Totschlags, mit der Folge, dass § 28 Abs. 2 StGB griffe, weshalb R1 wegen §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1, 26 StGB strafbar wäre. Die Rspr. versteht Mord und Totschlag als eigenständige Tatbestände, mit der Folge, dass § 28 Abs. 1 StGB griffe, weshalb R1 wegen §§ 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 3, Gr. 2 Var. 1, 26 StGB strafbar wäre.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Samin

Samin

31.1.2022, 22:57:03

Wieso steht in Frage 2, dass die körperliche Verletzung zurücktritt? Ich kann nicht ganz nachvollziehen wann H körperlich verletzt wurde, wenn er direkt von R2 getötet wurde. Müsste man hier dann auch die qualifizierte Körperverletzung prüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.2.2022, 16:33:30

Hallo Samin, die Tötung eines Menschen stellt letztlich die stärkste Form der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit dar. Sofern sowohl Totschlag, als auch die (gefährliche) Körperverletzung vollendet sind, tritt die (gefährliche) Körperverletzung im Rahmen der

Gesetzeskonkurrenz

(materielle Subsidiarität) hinter den Totschlag zurück. Dies ist so klar, dass es in einem Gutachten nicht einmal angeprüft werden müsste. Anders ist dies dagegen, wenn der Totschlag nur versucht wurde. Hier ist schon aus Klarstellungsgründen erforderlich, die (vollendete) Körperverletzung zu prüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JACOB

Jacob

3.4.2023, 09:32:13

Es wäre schön, wenn hier das Blubadargument genannt werden würde. Ansonsten wieder mal super 😁👍

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 13:12:47

Lieben Dank, Jacob! Das haben wir noch ergänzt :-) Dem "

Blutbadargument

" wird von der hM dann wiederum entgegengehalten, die zweite Tötung stelle sich für den Anstifter als Exzess dar, selbst wenn es sich dabei um das ursprünglich anvisierte Opfer handele. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

TO

TomBombadil

26.12.2023, 14:25:39

Ich muss gestehen, dass ich den von der Literatur und Rechtsprechung gemachte Unterschied mir in seiner Konsequenz nicht ganz einleuchtet. Vielleicht wäre es möglich, die Konsequenzen (samt Begründung) noch etwas ausführlicher darzustellen und nicht bloß auf § 28 Abs. 1 bzw. 2 StGB zu verweisen.

KE🦦

kerberos 🦦

20.1.2024, 10:35:10

Hey! Die Frage richtet sich nach dem Streit, ob es sich beim Mord um eine Qualifikation des Totschlags (Lit.) oder um ein eigenständiges Delikt (BGH) handelt. Nach Literaturmeinung wären die Mordmerkmale nur straferhöhend, da ja bereits der Grundtatbestand (Totschlag) verwirklicht wird, weshalb § 28 II StGB anzuwenden ist. Nach BGH-Ansicht kann nur § 28 I StGB greifen. Wichtig ist, dass sich das alles nur auf die täterbezogenen Mordmerkmale bezieht, bei tatbezogenen kann eine Zurechnung über die üblichen Akzessorietätsgrundsätze erfolgen, d.h. der Teilnehmer muss das tatbezogene Merkmal nur gekannt haben, also in seinen

Vorsatz

aufgenommen haben. Zurück zu den täterbezogenen Mordmerkmalen: je nach Ansicht und Konstellation kommt es zu unterschiedlichen Lösungen (und auf BGH-Seite auch zu dogmatischen Problemen). 1. Konstellation: Handelt der Täter mit

Habgier

, ist nach BGH-Ansicht erforderlich, dass der Teilnehmer das Motiv kannte. Wenn er es nicht kannte, kommt nur eine Teilnahme zum Totschlag in Betracht, da kein

Vorsatz

hinsichtlich einer Teilnahme zum Mord vorliegt. Kannte er das Motiv, kann er wegen Teilnahme zum Mord strafbar sein (mit Strafmilderung). Nach Literaturmeinung ist in dieser Konstellation nur das eigens verwirklichte täterbezogene Mordmerkmal relevant. Hat er selbst keins verwirklicht (also fehlt bei ihm selbst die

Habgier

), kommt nur eine Bestrafung nach dem Grunddelikt (also Totschlag) in Betracht. 2. Konstellation: Der Täter ist selbst nur wegen Totschlags strafbar, der Teilnehmer verwirklicht aber ein täterbezogenes Mordmerkmal. Nach BGH-Ansicht kann nur eine Bestrafung wegen Totschlags erfolgen, da keine andere Haupttat ersichtlich ist. Nach Literaturmeinung kann aber auch hier eine Strafbarkeit wegen Mordes erfolgen, da der Teilnehmer selbst ein Mordmerkmal erfüllt. (Was hinsichtlich des Schuldprinzips angemessener erscheint). 3. Konstellation: beide erfüllen unterschiedliche täterbezogene Mordmerkmale: hier zeigen sich besonders die Probleme der Rechtsprechung, denn zumindest müsste eine Strafmilderung zugunsten des Teilnehmers greifen, wenn er das Mordmerkmal des Täters kannte. Das erscheint aber ungerecht, weshalb sich der BGH mit der Theorie der gekreuzten Mordmerkmale behilft, wonach eine Strafmilderung nach § 28 I ausgeschlossen ist, wenn der Teilnehmer ein vergleichbares Mordmerkmal erfüllt. Dieses Problem besteht bei der Literaturansicht nicht, da der Teilnehmer hier einfach wegen des selbst erfüllten Mordmerkmals wegen Mordes strafbar sein kann. Ich hoffe, das hilft dir weiter. Jäger: Examens-Repetitorium StrafR BT arbeitet das mE sehr gut auf.

KE🦦

kerberos 🦦

20.1.2024, 10:36:46

* Die Frage richtet sich nach dem Streit, ob…


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