Öffentliches Recht

VwGO

Normenkontrollverfahren

Fallgruppe 2: Überprüfung untergesetzlicher Normen, sofern Landesrecht dies vorsieht (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO)

Fallgruppe 2: Überprüfung untergesetzlicher Normen, sofern Landesrecht dies vorsieht (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die niedersächsische Corona-Verordnung bestimmt, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln eine medizinische Maske getragen werden muss. Gundula (G) fühlt sich dadurch unverhältnismäßig in ihrer Freiheit eingeschränkt. Sie klagt deswegen gegen die Verordnung.

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Einordnung des Falls

Fallgruppe 2: Überprüfung untergesetzlicher Normen, sofern Landesrecht dies vorsieht (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. § 47 VwGO regelt zwei Fälle, in denen die Normenkontrolle statthaft ist.

Ja, in der Tat!

Ein Normkontrollantrag ist statthaft, (1) gegen Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen wurden, sowie gegen Rechtsverordnungen aufgrund des § 246 Abs. 2 BauGB(§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und (2) gegen andere im Rang unter den Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Landesgesetze in diesem Sinne sind z.B. Art. 4 BayAGVwGO, § 15 HessAGVwGO, § 75 NJG. In Hamburg existiert keine entsprechende Regelung, ein Normkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist daher nicht statthaft. In Berlin ist seit dem 1.07.2022 der § 62a JustG Bln in Kraft, der eine landesrechtliche Bestimmung im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO darstellt.
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2. Bei der Corona-Verordnung handelt es sich um ein formelles Gesetz.

Nein!

Ein formelles Gesetz ist eine generell-abstrakte Rechtsvorschrift. Formelle Landesgesetze sind die abstrakt-generellen Regelungen, die im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens vom verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsorgan eines Bundeslandes erlassen wurde. Demgegenüber sind Rechtsverordnungen untergesetzliche Rechtsvorschriften, die von Exekutivorganen auf gesetzlicher Grundlage (Verordnungsermächtigung) zur Regelung staatlicher Angelegenheiten erlassen werden (vgl. Art. 80 Abs. 1 GG). Die niedersächsische Corona-Verordnung ist kein formelles Gesetz. Sie wurde nach Art. 43ff. NV durch die Landesregierung erlassen. So ausführlich musst Du das in der Klausur nicht darstellen. Hier geht es darum, die Materie zu verstehen!

3. G wendet sich gegen eine untergesetzliche Regelung in Niedersachsen. Der Normkontrollantrag ist statthaft.

Genau, so ist das!

Ein Normenkontrollantrag ist statthaft gegen Rechtsvorschriften, die im Rang unter (formellen) Landesgesetzen stehen, sofern das Landesrecht dies bestimmt (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Fast alle Bundesländer - außer Berlin und Hamburg - haben eine solche Regelung getroffen. Für Niedersachsen findet sie sich in § 75 NJG. Die Corona-Verordnung steht im Rang unterhalb der formellen Landesgesetze. Ein Normenkontrollantrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (i.V.m. § 75 NJG) statthaft. Diese Einordnung reicht in der Klausur vollkommen aus, wenn es sich ohne Zweifel um eine untergesetzliche Vorschrift handelt. Es wirkt souverän, wenn Du die landesgesetzliche Regelung i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO aus Deinem Bundesland zitierst.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CLAUD

Claudia

26.11.2021, 11:06:25

Ich habe eine Verständnisfrage zur Antragsbefugnis: Muss ich iRd

47 VwGO

lieber mit einer Verletzung eines Grundrechts argumentieren oder ist es hier (und im Verwaltungsrecht allgemein?) immer die konkretere Norm, die der Argumentation dient? Woher weiß ich wo im öffentlichen Recht, auf welche Normebene ich mich stützen muss? Bitte um Antwort, das wäre sehr hilfreich!! 🤗🤗

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.11.2021, 14:15:15

Liebe Claudia, vielen Dank für Deine Frage! Der

Normenkontrollantrag

ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner richtet und wenn die angegriffene Rechtsnorm gegen höherrangiges formelles oder materielles Recht verstößt. Im Hinblick auf das materielle Recht kommt es dabei zum einen darauf an, dass die

Ermächtigungsgrundlage

formell und materiell verfassungskonform ist, als auch dass die Rechtsverordnung selbst mit höherrangigem Recht im Einklang steht. An dieser Stelle kommen nun die Grundrechte ins Spiel. Sofern die Verordnung hiergegen verstößt, kannst Du dies an dieser Stelle anbringen. Bei der Frage, wann Du im übrigen Verwaltungsrecht direkt mit den Grundrechten argumentieren kannst, hilft es sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass Grundrechte in erster Linie ABWEHRrechte gegen den Staat sind. Aus den Grundrechten folgt in der Regel insofern zumeist kein unmittelbarer Anspruch. (Wichtig: Hiervon gibt es natürlich zahlreiche Ausnahmen, zB kann sich aus dem Gleichbehandlungsgebot durchaus ein positiver Anspruch ableiten. Grundrechte vermitteln insoweit zum Teil auch Leistungs- und Mitwirkungsrechte.) Sofern Du Dich also gegen staatliche Maßnahmen verteidigst, kannst Du Dich insofern regelmäßig auf die Grundrechte berufen. So ist die Anfechtungsklage begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Bei staatlichen Eingriffen sind eigentlich immer Grundrechte betroffen. Auch hier startest Du aber mit der Prüfung einer konkreten

Ermächtigungsgrundlage

für das staatliche Handeln. Relevant werden die Grundrechte dan im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bzw. bei einer etwaigen Ermessensprüfung. Anders liegt die Lage, wenn Du positiv etwas vom Staat willst (Verpflichtungsklage). Der entsprechende Anspruch ergibt sich in der Regel aus einer konkreten Anspruchsorm und nicht unmittelbar aus den Grundrechten. Nur wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sind, kannst Du letztlich den Anspruch geltend machen. Hier kannst Du Dich also nur bedingt auf die Grundrechte berufen. Als GROBE Daumenregel kannst Du Dir für den ersten Zugang also merken, dass bei der Abwehr staatlichen Handelns direkt auf die Grundrechte abgestellt werden kann, während Du bei Ansprüchen diese immer konkret anbinden musst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Gabs

Gabs

28.2.2022, 15:39:05

Wäre die entsprechende Regelung für Baden-Württemberg § 4 AGVwGO?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.3.2022, 10:56:53

So ist es, Gabs. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAS

Das_war_Kenny

2.7.2022, 12:34:52

Was wäre die bayrische Landesgesetzliche Regelung, die hinzuzitiert wird?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 13:57:09

Hallo Das_war_Kenny, in die Aufgabe hatte sich ein Tippfehler eingeschlichen. Richtige Norm wäre Art. 5 BayAGVwGO. Diese sieht die Kontrolle untergesetzlicher Landesnormen durch den Verwaltungsgerichtshof vor. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

AFR

Afrim

28.11.2023, 21:52:04

Mittlerweile ist es der Art.4 AGVwGO (Jahr 2023)

JUL

Julsg

26.5.2023, 18:36:31

Berlin hat inzwischen eine entsprechende Norm erlassen: § 62a Justizgesetz Berlin

DIAA

Diaa

1.8.2023, 12:18:37

Für Hessen ist es § 15 HessAGVwGO

Bubbles

Bubbles

29.9.2023, 17:31:59

Die Links zu niedersächsischen Normen gehen ins Leere

FABY

Faby

4.10.2024, 10:32:30

Immer noch defekt 😢

jeci

jeci

16.7.2024, 14:40:06

Hallo liebes Jurafuchsteam, es wäre total hilfreich, wenn ihr an solchen Stellen die Normen der entsprechenden Bundesländer einmal verlinken könntet. Danke! :)


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