+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
O ist Eigentümer eines Grundstücks in einem Wohngebiet. Os Grundstück grenzt an ein bisher unbeplantes Gebiet, welches durch einen neuen Bebauungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesen wird. O befürchtet, dass dies mit erheblichen Lärmbelästigungen verbunden ist.
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Einordnung des Falls
Sonderfall: Antragsbefugnis bei Verletzung des Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Bei dem Bebauungsplan handelt es sich um einen Verwaltungsakt. O kann die Anfechtungsklage erheben, um gegen den Bebauungsplan vorzugehen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Gemeinden beschließen Bebauungspläne als Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB). Satzungen sind Rechtsnormen, die von Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen werden. Gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO können Satzungen, die aufgrund der Regelungen des BauGB erlassen wurden, im Rahmen einer Normenkontrolle überprüft werden. O möchte gegen die Festsetzung des angrenzenden Baugebiets als Gewerbegebiet vorgehen. Statthaft ist daher ein Antrag auf Überprüfung des Bebauungsplans nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
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2. O müsste antragsbefugt sein. Dazu muss er geltend machen können, durch den Bebauungsplan in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.
Ja, in der Tat!
Die Antragsbefugnis im Rahmen der Normenkontrolle (§ 47 Abs. 2 S. 1 Var. 1 VwGO) ist an die des § 42 Abs. 2 VwGO angelehnt. Der Antragsteller muss die Möglichkeit geltend machen, durch die angegriffene Rechtsnorm oder ihre Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Nicht geschützt sind damit lediglich wirtschaftliche oder ideelle Interessen, sowie Dritt- oder Allgemeininteressen. Der Antragsteller muss hinreichend substantiierte Tatsachen vorbringen, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nahelegen. O muss die Möglichkeit darlegen, dass der Bebauungsplan ihn in seinen Rechten verletzt.
3. Der Bebauungsplan schränkt die zulässige Nutzung von Os Eigentum ein. Daraus ergibt sich die erforderliche Rechtsverletzung.
Nein!
Will der Antragsteller gegen einen Bebauungsplan vorgehen, ist zu unterscheiden, ob sich sein Grundstück im Bereich des Bebauungsplans befindet oder nicht. Liegt das Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans, betreffen die Festsetzungen, soweit es um die baurechtlich zulässige Nutzung geht, Inhalt und Schranken des Eigentums. Grenzt das Grundstück des Antragstellers lediglich an den Geltungsbereich des Plans an, so entfaltet der Bebauungsplan keine direkte Wirkung auf das Eigentum. Denn dieses befindet sich ja gerade außerhalb des Geltungsbereichs des Plans. Os Grundstück befindet sich nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Der Plan hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf Os Recht aus Art. 14 GG.
4. Die erforderliche Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung könnte sich aus § 1 Abs. 5, Abs. 6 i.V.m. Abs. 7 BauGB ergeben.
Genau, so ist das!
Grenzt das Grundstück des Antragstellers nur an ein Plangebiet an, betrifft der Bebauungsplan nicht direkt das Eigentums des Grundstücksinhabers. Dennoch kann der Bebauungsplan subjektive Rechte des Nachbarn verletzen. Dies ist etwa der Fall, wenn das planungsrechtliche Abwägungsgebot aus § 1 Abs. 5, Abs. 6 i.V.m. Abs. 7 BauGB verletzt wurde. Danach müssen die (genannten) „privaten Belange“ mit öffentlichen Belangen gerecht abgewägt werden. Die privaten Belange müssen gerade nicht Belange von Grundstücksinhabern im gleichen Planungsgebiet sein. Vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Fragen findet statt im Kurs Bauplanungsrecht
5. Begründet § 1 Abs. 5, Abs. 6 i.V.m. Abs. 7 BauGB selbst ein subjektives Recht, was hier verletzt sein könnte?
Nein, das trifft nicht zu!
Erkennt man in der Erwähnung der „privaten Belange“ ohne weiteres ein subjektives öffentliches Recht an, wäre der Kreis der Antragsbefugten sehr weit. Das BVerwG hat das Abwägungsgebot deswegen konkretisiert. Nach aktueller Rechtsprechung begründet § 1 Abs. 7 BauGB subjektive Rechte hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Damit sind alle nicht nur geringfügig betroffenen schutzwürdigen Interessen des Antragstellers gemeint. Nicht schutzwürdig sind z.B. solche Interessen, hinsichtlich derer sich der Antragsteller darauf einstellen musste, das „so etwas passiert“. Auch die Wertminderung eines Grundstücks begründet allein noch keine Verletzung eines schutzwürdigen Interesses.
6. Begründet die Festsetzung des an Os Grundstück grenzenden Plangebiets als Gewerbegebiet ein subjektives Recht des O nach § 1 Abs. 7 BauGB?
Ja!
Es ist danach zu fragen, ob hinter den in § 1 Abs. 6, Abs. 7 BauGB genannten Belange subjektive Rechte des Antragstellers aus einfachgesetzlichen Regelungen oder Grundrechten stehen. Diese Rechte, nicht die genannten Belange als solche, sind die für die Antragsbefugnis i.S.d. § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO erforderlichen subjektiven Rechte. Die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse müssen bei der Aufstellung von Bauplänen beachtet werden (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB). Dadurch, dass neben Os in einem Wohngebiet liegendem Grundstück ein Gewerbegebiet gebaut wird, könnten seine hinter diesem Belang stehenden Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen sein. O ist gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO antragsbefugt.