Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Fall zur Rückforderung von Vorleistungen bei Schwarzgeldabrede (OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.2022 - 12 U 190/21): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Fall zur Rückforderung von Vorleistungen bei Schwarzgeldabrede (OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.2022 - 12 U 190/21): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Rückforderung von Vorleistungen bei Schwarzgeldabrede (OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.2022 - 12 U 190/21): Die Frau K überreicht Gärtner B 50.000 Euro und sagt: "Eine Rechnung brauchen wir ja nicht".
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Klassisches Klausurproblem

B erledigt von 2018-2020 Gartenarbeiten für K, wobei B seine Arbeitszeit selbst bestimmt. Eine Vergütung vereinbarten K und B nicht. Anfang 2019 übergab K dem B ohne nähere Zweckbestimmung €50.000. Eine Rechnung wurde nicht ausgestellt und der Betrag nicht versteuert. 2020 verlangt K vor dem LG Rückzahlung der €50.000.

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Einordnung des Falls

Rückforderung von Vorleistungen bei Schwarzgeldabrede (

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Müsste zunächst der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sein (§ 13 GVG)?

Genau, so ist das!

Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind (§ 13 GVG). Auf die Rechtswegeröffnung ist im Zivilrecht - anders als in der Verwaltungsrechtsklausur - nur einzugehen, wenn sie problematisch ist. Es gibt fünf Gerichtsbarkeiten: Die Arbeits-, Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- und die ordentliche Gerichtsbarkeit.
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2. Handelt es sich bei der Beziehung von K und B um ein Arbeitsverhältnis, sodass für ihre Streitigkeit abweichend das Arbeitsgericht zuständig ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Maßgebend für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmerbegriff des § 611a Abs. 1 BGB), wobei die Weisungsgebundenheit das Hauptkriterium zur Abgrenzung von selbständigen Tätigkeiten ist. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit und Arbeitszeit bestimmen kann. B arbeitete so, wie er gerade Zeit hatte. Auch feststehende Tätigkeiten waren nicht vereinbart. Vielmehr entschied B selbst, was gerade anfiel. Das die Tätigkeit auf Außenarbeiten um den Hof beschränkt war, führt nicht zu einer Weisungsgebundenheit, da sonst jede vertragliche Pflicht stets ein Arbeitsverhältnis begründen würde. Somit liegt kein Arbeitsverhältnis vor.

3. Könnte K ein Anspruch auf Rückforderung aus Leistungskondiktion zustehen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)?

Ja!

Dies setzt voraus, dass der Bereicherungsempfänger (1) etwas (2) durch Leistung des Bereicherungsgläubigers (3) ohne Rechtsgrund erlangt hat. In der Klausur wäre zudem noch § 817 S. 1 BGB als eigenständige Anspruchsgrundlage zu prüfen.

4. Hat B durch Leistung der K etwas erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

Erlangtes Etwas kann jeder vermögenswerte Vorteil sein. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. B hat die €50.000, d.h. entweder Eigentum und Besitz am Bargeld oder - im Falle einer Überweisung - den Anspruch aus der Gutschrift auf dem Konto erlangt. Dies erfolgte auch durch Leistung der K.Nach der Rspr. des BGH folgt der Auszahlungsanspruch gegen die Bank bei Überweisungen aus §§ 700 Abs. 1, 488 Abs. 1 S. 2, 697, 695 BGB.

5. Wäre, sofern zwischen K und B ein Dienstvertrag vorgelegen hat, die Zahlung der €50.000 allerdings aufgrund eines Rechtsgrunds erfolgt?

Ja, in der Tat!

Ein Vertragsschluss ist dabe auch konkludent möglich. Beim Dienstvertrag schuldet der Dienstherr die vereinbarte Vergütung (§ 611 Abs. 1 BGB). Eine Vergütung gilt dabei als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine solche zu erwarten ist (§§ 612 Abs. 1, 157 BGB). Zwar haben K und B eine Vergütung nicht ausdrücklich vereinbart. Den objektiven Umständen nach war eine Vergütung aber zu erwarten. Da Bs Tätigkeit einem Minijob glich, ist das OLG Stuttgart von einem Monatslohn i.H.v. €450 für die 36 Monate ausgegangen. Der restliche Teil der €50.000 sollte danach eine Vorleistung für zukünftige Arbeit darstellen.

6. Können nur wirksame Verträge einen Rechtsgrund darstellen? Ist der Dienstvertrag jedoch gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 SchwarzArbG unwirksam?

Ja!

Die Unwirksamkeit gemäß § 134 BGB setzt grundsätzlich voraus: (1) Vorliegen eines Verbotsgesetzes und im Falle mehrseitiger Rechtsgeschäfte (2) den beiderseitigen Verstoß. Ob ein Verbotsgesetz vorliegt hängt davon ab, ob der Normzweck die zivilrechtliche Nichtigkeit erfordert. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn öffentlich-rechtliche Bußgelder ausreichen. § 1 Abs. 2 SchwarzArbG ist ein Verbotsgesetz, da nur so ein gegenseitiger Anspruch auf Leistungsaustausch verhindert werden kann. K und B haben mangels Rechnungserstellung und Versteuerung auch beide hiergegen verstoßen, § 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 SchwarzArbG. Beim SchwarzArbG genügt auch der einseitige Verstoß, wenn der Vertragspartner diesen kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt

7. Liegt ein Rechtsgrund für die Leistung aber deshalb vor, weil bei nichtigen Verträgen ein Vergütungsanspruch gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 i.V.m. 1877 Abs. 3 BGB analog besteht?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anwendbarkeit der GoA bei nichtigen Verträgen ist umstritten. Der BGH hält die bei auch-fremden Geschäften geltende Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens nicht für widerlegt. Richtigerweise wird das Geschäft aber nur zur Erfüllung der vermeintlichen Verbindlichkeit ausgeführt. Diese Motivation überlagert das Wissen darum, dass es bei dem Geschäft um fremde Sache (hier den Garten der K) geht. Mit der h.L. besteht daher kein Anspruch aus GoA. Der BGH verneint den Anspruch dann über den Wortlaut des § 670 BGB. Eine verbotene Tätigkeit sei nicht erforderlich.

8. Könnte allerdings der Anspruch gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein?

Ja, in der Tat!

Gemäß § 817 S. 2 BGB ist die Rückforderung u.a. dann ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt. § 817 S. 2 BGB ist - entgegen seiner systematischen Stellung - nicht nur auf § 817 S. 1 BGB, sondern auf alle Leistungskondiktionen anwendbar. Denn bei einem beiderseitigen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot sind oft auch die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegeben. § 817 S. 2 BGB würde sonst ausgehöhlt.

9. Findet § 817 S. 2 BGB auf Rückforderungen im Kontext von Verstößen gegen § 1 Abs. 2 SchwarzArbG aber keine Anwendung?

Nein!

Früher hat die Rspr. insbesondere zulasten des in Vorleistung gehenden Dienstnehmers/Werkunternehmers § 817 S. 2 BGB nicht angewandt, da es sonst dazu kommen könnte, dass dieser Leistungen ohne Vergütung erbringt. Nach neuer Rspr. des BGH hat jedoch weder der vorleistende Dienstnehmer/Werkunternehmer einen Anspruch auf Wertersatz für seine geleistete Arbeit, noch der Dienstherr/Auftraggeber einen Anspruch auf Rückforderung einer bereits gezahlt Vergütung. Verstoßen beide Parteien gegen das SchwarzArbG, so sei keine Seite schutzwürdig. Zudem könne Schwarzarbeit nur dann effektiv verhindert werden, wenn keiner Partei Bereicherungsansprüche zustünden.

10. Schließt § 817 S. 2 BGB hier nicht nur die Rückforderung der für bereits erbrachte Arbeit gezahlten €16.200, sondern auch der restlichen €33.800 aus, für die K keinerlei Gegenleistung erhalten hat?

Genau, so ist das!

Der BGH hat § 817 S. 2 BGB auf den in Vorleistung gehenden Dienstnehmer/Werkunternehmer angewandt (BGH, NJW 2014, 1805), da auch dieser aufgrund des Verstoßes gegen das SchwarzArbG nicht schutzwürdig sei. Nichts anderes kann insoweit für den vorleistenden Dienstherrn/Auftraggeber gelten, der andernfalls privilegiert würde. Dies entspricht auch dem Gesetzeszweck der möglichst effektiven Prävention der Schwarzarbeit.

11. Steht K aber ein Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion zu (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB setzt eine Zweckabrede voraus. Der Zweck muss dabei in Abgrenzung zu § 313 BGB mehr als eine bloße Geschäftsgrundlage sein, darf in Abgrenzung zu § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1 BGB aber kein Gegenstand einer vertraglichen Bindung sein. Hier war der Zweck der Erbringung von Gartenleistungen gegen eine entsprechende Vergütung Gegenstand einer (unwirksamen) vertraglichen Vereinbarung. Es liegt daher keine Zweckabrede im Sinne der Norm vor.Auch wenn der Auftragnehmer das Geld behalten kann, ist die Schwarzarbeit für ihn nicht ohne Folgen. Vielmehr stellt die regelmäßig damit verbundene Steuerhinterziehung eine Straftat nach § 370 AO dar, die mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JL

J L

19.11.2022, 11:37:15

Man konnte die Frage trotzdem beantworten, aber dass die Zahlung aus zwei Teilen bestand, stand nicht im Fall und hat mich persönlich verwirrt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 15:49:46

Hallo J L, im zugrunde liegenden Fall gab es letztlich nur eine Zahlung iHv 50.000€. Die "unterschiedlichen" Beträge ergeben sich vielmehr daraus, dass ein Teil dieser Zahlung bereits erarbeitet wurde (15.750) und der restliche Teil als Vorauszahlung angesehen wurde (34.250). Zumindest die Vorauszahlung für die es keine Gegenleistung gegeben hatte, sollte B wieder zurückgeben. Der BGH hat die hierauf gerichtete Klage indes abgewiesen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Nico

Nico

8.6.2023, 18:21:04

In der Konstellation bleibt der Schwarzarbeit Leistende ja aber bereichert, obwohl er nicht privilegiert werden soll, oder verstehe ich das falsch?

JO

JonasRehder

10.11.2023, 16:48:35

Das stimmt, aber zugleich wird ja wie in der letzten Vertiefung ersichtlich wird, ein steuerrechtlicher Straftatbestand erfüllt, sodass der Dienstnehmer auch nicht unbedingt happy sein wird, wenn du auf die Billigkeit des Ergebnisses anspielst

Amelie

Amelie

10.4.2024, 00:27:52

Hallo, ich hätte eine Verständnisfrage zu den “Zweck” Begriffen. Eine Leistung ist ja die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Liegt diese also auch vor, wenn K dem B “ohne nähere Zweckbestimmung” das

Geld

gibt? Und wenn ja, liegt der Grund darin, dass “zweckgerichtet” hier einfach heißt “zur Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit”? Und was genau ist der Unterschied zu dem “bezweckten Erfolg”/einer Zweckabrede in § 812 I 2 Alt. 2? Was genau ist dies? Danke im Voraus :)

LS2024

LS2024

2.8.2024, 12:07:40

Könnte man hier noch den § 817 1 BGB prüfen?

LELEE

Leo Lee

4.8.2024, 16:04:10

Hallo LS2024, vielen Dank für diese SEHR GUTE und wichtige Frage! In der Tat könnte man hier überlegen, 817 1 zu prüfen (eine form der Leistungskondiktion). Allerdings gibt es hier eine Besonderheit; da bei einem Sitten- oder Gesetzesverstoß aufgrund der Rechtsgrundlosigkeit die „normale“ LK nach 812 greifen wird, bleibt für die Anwendung des 817 1 nur dann ein Raum, wenn bei einem EINSEITIGEN Sittenverstoß etwa (das ist der Fall bei 331 StGB) die Unwirksamkeitsnormen nicht greifen. Bei dem Schwarzarbeitsgesetz ist es allerdings so, dass selbst bei einseitigem Verstoß der Vertrag unwirksam ist, um die effektive Bekämpfung von Schwarzarbeit zu gewährleisten. D.h., hier hätten wir ohnehin schon den 812 – mal ungeachtet des 817 2 – der eingreift, weshalb 817 1 insofern nicht nötig wäre. Allerdings ist es nicht falsch, den 817 1 anzuprüfen; wir würden dir jedoch dann empfehlen, mit kurzer Begründung den TB abzulehnen. I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 817 Rn. 4 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LS2024

LS2024

4.8.2024, 16:43:51

Super @[Leo Lee](213375), danke für deine Antwort :)

CR7

CR7

15.8.2024, 21:23:46

Hierzu könnte man das sehr examensrelevante Urteil BGH Urteil vom 15.05.2024 – Az. V ZR 115/22 noch aufarbeiten. Es geht um eine

Schwarzgeldabrede

beim Grundstückskauf und die Löschung eines Widerspruchs (§

894 BGB analog

)

Foxxy

Foxxy

31.8.2024, 11:45:35

Hallo CR7, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team


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